Berlin

Projekt für junge Eltern

Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt entscheidend von der Zukunft der Familien ab.» Diesem viel zitierten Satz kann wohl jeder zustimmen. Angesichts des demografischen Wandels stehen die Familien im besonderen Blickfeld von Politik und Gesellschaft. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland haben ebenso wie etwa die Kirchengemeinden mit der Herausforderung der Überalterung ihrer Gemeinden zu kämpfen. Viele jüdische Institutionen sind deshalb seit einiger Zeit verstärkt darum bemüht, eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die insbesondere junge Familien unterstützt und ihnen eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung und Elternberatung anbietet.

Um die bisher auf dem Gebiet der jüdischen Familienarbeit gesammelten Erfahrungen zusammenzubringen und zum Austausch der unterschiedlichen Akteure anzuregen, hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland am Montag und Dienstag dieser Woche Gemeindevertreter aus dem gesamten Bundesgebiet zu einem Seminar nach Berlin eingeladen.

kooperation Im Zentrum der Veranstaltung, die in Kooperation mit der Genesis Philanthropy Group und dem American Jewish Joint Distribution Committee stattfand, standen dabei die Fragen, wie man junge jüdische Familien für das Engagement in der Gemeinde begeistern kann und welche Angebote vonseiten der Gemeinde gemacht werden sollten, um insbesondere für diese Zielgruppe attraktiv zu werden.

«Für die Altersgruppe der 35- bis 55-Jährigen gibt es in den Gemeinden bisher eindeutig zu wenige Angebote», sagte der Geschäftsführer des Zentralrats, Daniel Botmann, in seinem einleitenden Statement. Habe man sich nach der großen Zuwanderungswelle aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ab 1990 verstärkt um Angebote für Senioren und junge Erwachsene gekümmert, seien die speziellen Bedürfnisse von jungen Familien vielfach zu kurz gekommen.

zielgruppe «Wir müssen diese Zielgruppe dringend stärker in die Gemeindearbeit einbeziehen. Geschieht dies nicht, bekommen wir in den kommenden Jahren gravierende demografische Probleme», betonte Botmann. Die Einbindung junger Eltern und ihrer Kinder in die Gemeindestrukturen sei vor diesem Hintergrund also Ausdruck praktischer Zukunftsarbeit. Über diesen Punkt sprach auch Elinor Honigstein in ihrem Vortrag unter dem Titel «Grundlagen der Motivation von und Arbeit mit jungen Familien». Honigstein leitet in ihrer Gemeinde in London bereits seit einigen Jahren erfolgreich Familienprojekte.

Das Familien-Programm gilt ab dem dritten Schwangerschaftsmonat bis zum dritten Lebensjahr.
Der Zentralrat hat sich seinerseits Gedanken gemacht, wie er die Gemeinden in Deutschland bei der Arbeit mit jungen Familien unterstützen kann. Herausgekommen ist das neue Familienprogramm «Mischpacha», das sich speziell an werdende Eltern und junge Familien richtet. Neben Workshops und Vorträgen zu bestehenden Angeboten und der Schaffung eines familienfreundlichen Klimas in den Gemeinden stand die Vorstellung des Mischpacha-Programms im Zentrum des Seminars.

«Viele Gemeindemitglieder stellen sich heute doch zu Recht die Frage, warum sie eigentlich Kultussteuern bezahlen sollen, und welchen persönlichen Mehrwert sie von so einer Mitgliedschaft überhaupt haben», erläuterte Botmann. Im Sinne eines kompetenten Dienstleisters müsse eine zukunftsorientierte Gemeinde genau an diesem Punkt ansetzen.

handwerkszeug Das Mischpacha-Programm soll den Gemeinden jetzt das dafür nötige Handwerkszeug für die Zielgruppe ab dem dritten Schwangerschaftsmonat bis zum dritten Lebensjahr des Kindes bereitstellen. Wer sich als werdende beziehungsweise frisch gebackene Eltern auf der Webseite anmeldet, kann sich auf regelmäßige Elternbriefe freuen. Diese regelmäßig alle drei Monate zugestellte «MischpaPost» soll die Eltern in einer für sie überaus emotionalen Phase mit jüdischen, medizinischen und allgemeinen Themen über Schwangerschaft, Geburt und die Entwicklung ihres Kindes informieren, immer gemäß der jeweiligen Etappe, in der sich die Familie gerade befindet.

Zusätzlich soll ein ebenfalls per Post zugestelltes Willkommenspäckchen zur Geburt des Kindes sowie eine Schabbat-Box für die wöchentliche Feier zu Hause bereitgestellt werden. Auch spezielle Päckchen für die Feiertage, die im Laufe des Jahres anstehen – mit altersgerechten Spiel- und Bastelsachen – und kleine Geburtstagsgeschenke für das Kind sind in dem Service des Mischpacha-Programms enthalten. Shila Erlbaum, Kultus- und Bildungsreferentin des Zentralrats, hat das Mischpacha-Programm mit entwickelt.

«Kern­idee ist, den jungen Familien einerseits konkrete Hilfestellungen zu geben und andererseits die individuelle und kollektive jüdische Identität zu stärken», sagte Erlbaum. Man wolle die Menschen mit einem niedrigschwelligen Angebot dort abholen, wo sie stehen. «Wenn die Eltern nicht in die Gemeinden kommen, dann kommen die jüdischen Inhalte eben einfach zu ihnen nach Hause», erklärte sie. Auf diesem Wege könne man die Menschen erreichen und sie Schritt für Schritt an das Gemeindeleben heranführen.

lücke Zentralratsgeschäftsführer Botmann zeigte sich davon überzeugt, dass Mischpacha eine Lücke im Angebot der Gemeinden schließen werde: «Das Programm ist ein durchdachtes und gut entwickeltes Angebot, das den Akteuren vor Ort konkrete Mittel an die Hand gibt, um mit jungen Familien in Austausch zu treten.»

Maria Lyamets bedankte sich beim Zentralrat für das neue Familienprogramm. Sie war aus Chemnitz für das Seminar nach Berlin gereist. «Wir brauchen Unterstützung auf dem Gebiet der Familienarbeit», bekannte sie. In ihrer kleinen Gemeinde in Sachsen gebe es bereits seit einiger Zeit eine verstärkte Nachfrage nach familienfreundlichen Angeboten, erläuterte Lyamets. So habe man 2012 eigenständig Bundesmittel beantragt, um eine Eltern-Kind-Gruppe zu organisieren. Drei Jahre lang habe das Projekt gut funktioniert. «Es kamen damals Menschen zu uns, die vorher noch nie in der Gemeinde waren», erläuterte Lyamets. Um künftig wieder ähnliche Projekte durchführen zu können, sei es wichtig, einen eigenen Ansprechpartner für Familienfragen in der Gemeinde einzusetzen.

Nina Peretz, Mitglied in der Synagogengemeinde am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg, führt regelmäßig Elterntreffen durch. «Wir haben in unserer Gemeinde viele junge Familien, die sich sehr aktiv engagieren und sich in unsere Gemeinschaft einbringen wollen», sagte Peretz, die selbst ein Kind erwartet. Auch sie hält das Mischpacha-Programm für eine gelungene Initiative.

www.mischpacha.de

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Hanau

Rabbiner antisemitisch beleidigt

Für die Gemeinde ist die Pöbel-Attacke kein Einzelfall

 25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025

Digitales Gedenken

App soll alle Stolpersteine Deutschlands erfassen

Nach dem Start in Schleswig-Holstein soll eine App in Zukunft alle Stolpersteine in Deutschland erfassen. In der App können Biografien der Opfer abgerufen werden

 24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

München

Nicht zu überhören

Klare Botschaften und eindrucksvolle Musik: Die 39. Jüdischen Kulturtage sind eröffnet

von Esther Martel  23.11.2025

Berlin

Gegen den Strom

Wie der Ruderklub »Welle-Poseidon« in der NS-Zeit Widerstand leistete und bis heute Verbindung zu Nachfahren seiner jüdischen Mitglieder pflegt

von Alicia Rust  23.11.2025

Porträt

Glücklich über die Befreiung

Yael Front ist Dirigentin, Sängerin, Komponistin und engagierte sich für die Geiseln

von Alicia Rust  22.11.2025

Berufung

Schau mal, wer da hämmert

Sie reparieren, organisieren, helfen – und hören zu: Hausmeister von Gemeinden erzählen, warum ihre Arbeit als »gute Seelen« weit mehr ist als ein Job

von Christine Schmitt  21.11.2025