Gemeindetag

Persönlich, echt, gemeinsam

Hawdala beim Gemeindetag 2016 Foto: Marco Limberg

Nie war rabbinischer Rat so wertvoll wie heute. Antisemitische Attacken, bei denen einem Studenten im Fitnessstudio die Kippa vom Kopf gerissen wird, Rabbiner bespuckt werden und die Gemeinde Halle an Jom Kippur mit Schusswaffen angegriffen wird. Es liegt nahe, dass angesichts solcher Vorkommnisse ein persönliches, ja intimes Gespräch mit Rabbinern gesucht wird. Der Gemeindetag will das in diesem Jahr auf beispielhafte Weise leisten.

Hier habe man sich auch nach den Bedürfnissen der Teilnehmer gerichtet und das Programm des Gemeindetages in allen Belangen erweitert, sagt der Geschäftsführer des Zentralrats, Daniel Botmann. Das Herzstück des Gemeindetags sind die Sessions, in denen die aktuellen und brennendsten Fragestellungen in der jüdischen Gemeinschaft diskutiert werden. »Dazu gehören natürlich auch die Sorgen, die durch das Attentat in Halle entstanden sind oder verstärkt wurden«, sagt Botmann. Er hebt aber auch die positiven Debatten darüber hervor, »wie die Angebote in unseren Gemeinden erweitert und noch attraktiver gestaltet werden können«.

Halle »Nach dem Anschlag in Halle«, erzählt der Rabbiner der liberalen Gemeinde Beth Shalom in München, Tom Kucera, »schrieb mir ein Mitglied: ›Allerdings bewegt mich dieser Anschlag, morgen entgegen meiner Gewohnheit zum Abendgebet in die Gemeinde zu gehen. Erst einmal einfach schlicht aus Trotz gegenüber dem versammelten völkischen Pack.‹«

Die Bedrohungslage ist vorhanden, doch die Antworten könnten nie eindimensional sein, gibt Botmann zu bedenken. »Neben sicherheitspolitischen Aspekten sind Bildung und Antisemitismusprävention wichtige Instrumente, um Judenhass zu bekämpfen«, betont er. »Diese beiden Themenbereiche gehören mit zum Schwerpunkt der inhaltlichen Diskussionen auf dem Gemeindetag.«

Objektiv gesehen, sei es natürlich nicht gut, wenn nur äußerer Druck die Gemeinschaft zusammenbringt, sagt Kucera, subjektiv betrachtet sei der Anschlag von Halle schon ein besonderes Ereignis, auf das man gemeinschaftlich reagieren müsse.

»Die Einheit in der jüdischen Gemeinde war schon immer ein Schlüsselelement bei der Bekämpfung von Ideologien, die der Welt und dem Judentum abträglich sind.« Landesrabbiner Zsolt Balla

Der Landesrabbiner von Sachsen, Zsolt Balla, pflichtet seinem Kollegen bei. »Die Einheit in der jüdischen Gemeinde war schon immer ein Schlüsselelement bei der Bekämpfung von Ideologien, die der Welt und dem Judentum abträglich sind. Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um zusammenzuhalten«, sagt Balla.

Er stelle fest, dass die jüdische Gemeinschaft immer deutlicher sehe, wie notwendig religiöse Werte sind, »um in der heutigen Gesellschaft erfolgreich zu sein. Diese Werte sind nicht nur lebendig und gut, sondern könnten auch nicht relevanter sein als heute«, betont der Rabbiner.

Identität Tom Kucera sieht in der deutlichen Hinwendung zur religiösen Vergewisserung eine »Identitätsverstärkung«. Vor Kurzem habe ihn jemand angesprochen, der der Gemeinde beitreten wollte. »Mit der Religion kann ich nichts anfangen, aber ich möchte die Rituale meiner Tradition besser kennenlernen«, habe er zur Begründung gesagt. Dieses Ansinnen habe ihn schon sehr beeindruckt, sagt der Münchner Rabbiner. »Das Angebot des Gemeindetages ist natürlich viel breiter, darum viel attraktiver«, kündigte Kucera an.

Themen sind unter anderem jüdische Kriegsethik, Homosexualität im Judentum, Rezepte einer glücklichen Ehe und wie die Tora politisch gelesen werden kann.

»Wir haben neben traditionellen und liberalen Gottesdiensten auch ein breites Angebot an Schiurim. Hier sprechen Rabbinerinnen und Rabbiner unter anderem zur jüdischen Kriegsethik, zur Homosexualität im Judentum, zu Rezepten einer glücklichen Ehe, wie die Tora politisch gelesen werden könne, zur Hirnforschung im Talmud, aber auch über jüdische Piraten«, stellt Botmann die Themen vor. »Das Interesse am religiösen Angebot ist erfreulich groß«, sagt der Geschäftsführer.

Ein Programmpunkt wird auch das Lernen in Kleinstgruppen sein. Beim Beit Midrasch bieten zehn Frauen und zehn Männer an drei verschiedenen Terminen am Schabbat Unterricht für Kleinstgruppen von bis zu vier Personen an. »So erhält jeder die Möglichkeit, das Lernen in einer Jeschiwa hautnah zu erleben«, sagt Botmann.

Kompetenz Rabbiner Balla freut sich schon sehr auf den Gemeindetag. »Ich glaube, dass dies eine unglaubliche Entwicklung ist. Dies zeigt, dass die klassische jüdische Kompetenz an Bedeutung gewonnen hat und das Interesse der jüdischen Gemeinden an klassischen jüdischen Werten wächst.« Sein Stichwort lautet »Authentizität«. Er glaube, »dass Authentizität und liebevolle Freundlichkeit der Schlüssel sind, um junge Familien für unsere Gemeinschaften zu gewinnen«.

»Gute Erlebnisse mitten im Alltag zu vergegenwärtigen, ist schon motivierend.« Rabbiner Tom Kucera

Der sächsische Landesrabbiner und sein Kollege aus München sehen auch mit Vergnügen der Hawdala entgegen, wenn so viele Juden wie kaum sonst gemeinsam den Schabbat verabschieden und den Alltag willkommen heißen. »Die Kraft des Gemeinschaftsgebets brachte Tausende zu ihren jüdischen Wurzeln zurück oder stärkte ihre jüdische Identität«, bemerkt dazu Zsolt Balla. »Wir alle brauchen Spiritualität, was bedeutet, dass wir uns mit einer höheren Wahrheit verbinden wollen. Unser Werkzeug ist eine authentische Kommunikation mit dem Göttlichen. Das ist es, was unser Gebet ist«, sagt er. Und ist überzeugt, »dass wir das beim Gemeindetag erleben werden«.

Tom Kucera erinnert sich in diesem Zusammenhang an seine Zeit als Rabbiner der Jugendabteilung der Union progressiver Juden. »Die Treffen waren immer rührend, besonders, wenn die Jugendlichen nach dem Minhag haMakom zwischen den Brachot ihre Wünsche für sich selbst, für das Judentum und für die Welt sprachen.« Auch ohne diese Wünsche werde die Hawdala beim Gemeindetag ein Schabbat-Ende sein, »das uns in die kommende, oft schwierige Zeit hinausbegleiten soll. Gute Erlebnisse mitten im Alltag zu vergegenwärtigen, ist schon motivierend«, wissen beide Rabbiner.

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