Porträt der Woche

»Kunst kann Brücken bauen«

»In Berlin entdeckte ich neben meiner israelischen auch meine jüdische Identität«: Ruth Rosenfeld Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

»Kunst kann Brücken bauen«

Ruth Rosenfeld ist Schauspielerin und kommt aus einer musikalischen Familie

von Gerhard Haase-Hindenberg  06.12.2020 08:26 Uhr

Meine Mutter ist Nurit Hirsch, eine tolle und in Israel sehr bekannte Komponistin. Von ihr stammt die weltweit bekannte Melodie zu den Gebetszeilen »Osse schalom bimoraw« aus dem Kaddisch. Immer wieder höre ich, dass Leute denken, dies sei eine uralte jüdische Melodie. Das stimmt aber nicht, meine Mutter hat sie 1968 für ein chassidisches Musikfestival geschrieben. Sie war auch beteiligt daran, dass Israel 1978 mit dem Lied »Abanibi« den Eurovision Song Contest gewann.

Obgleich meine Mutter die Musikerin war, hat mich mein Vater an die klassische Musik herangeführt. Leider starb er, als ich gerade 20 Jahre alt war. Er ist ein wunderbarer Mensch gewesen, und in meiner Kindheit und Jugend war er mein Anker. Als ich in Los Angeles geboren wurde, war er Finanzattaché am dortigen israelischen Generalkonsulat. Danach wohnten wir, bis ich knapp acht Jahre alt war, in Israel, in einem kleinen Ort in der Sharon-Ebene.

Gesang Nachdem meine Eltern sich getrennt hatten, als ich zwölf Jahre alt war, spielte sich mein Leben überwiegend in Manhattan bei meinem Vater ab. Durch ihn habe ich die Liedinterpretationen von Dietrich Fischer-Dieskau kennengelernt. Als ich nach der Highschool begann, in Israel an der Rubin Academy of Music Gesang zu studieren, lebte ich bei meiner Mutter. Dann kam mein Vater in New York ins Krankenhaus, und ich bin wieder dorthin gegangen, um bei ihm zu sein.

Nachdem er gestorben war, geriet ich in ein emotionales Loch. Bis heute weiß ich nicht, woher der Gedanke kam, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, nach Tokio reisen zu müssen. Dort lebte ich dann eine Weile, und an sechs Nächten in der Woche servierte ich Japanern in einer Bar Whisky auf Eis. Tagsüber unterrichtete ich Englisch, und manchmal habe ich Liederabende gegeben. Dann kehrte ich nach Israel zurück und besuchte ein weiteres Jahr die Musikakademie.

Meine Mutter Nurit Hirsch komponierte Israels Siegersong bei der Eurovision 1978.

Da meine große Leidenschaft dem Kunstlied gehörte, entschied ich mich schließlich, nach Europa zu gehen. Bis dahin gab es für mich neben der israelischen keine spezielle jüdische Identität. Das wurde völlig anders, nachdem ich nach Berlin gekommen war. Hier bekam ich regelmäßig zu hören, wenn ich mich vorgestellt habe, dass mein Name jüdisch sei. Das war mir vorher nie so bewusst gewesen.

In meiner Familie gibt es neben Rosenfeld auch Silberschatz, Goldstein und eben Hirsch. Solange ich die deutsche Sprache nicht kannte, wusste ich nichts über die Bedeutung dieser Namen. Dann entdeckte ich die ersten Stolpersteine, und mir wurde bewusst, dass es mir 60 Jahre zuvor an diesem Ort ziemlich schlecht ergangen wäre, wenn mich schon der Name verriet. Die Schoa war mit einem Mal sehr präsent.

MEISTERKURS Ich hatte mich an den besten deutschen Musikhochschulen beworben. Die erste Aufnahmeprüfung hatte ich in Berlin an der Hochschule Hanns Eisler. Dabei kam mir der Gedanke: Ich singe heute für meinen Vater und für alle Juden, die umgekommen sind. Nachdem ich angenommen worden war, fuhr ich oft mit dem Fahrrad durch Berlins Mitte zur Hochschule am Gendarmenmarkt. Dabei dachte ich manchmal: »Wie krass ist das denn, dass du heute hier leben darfst!« Dieser Gedanke war einerseits schön und gleichzeitig grausam.

An der Hanns-Eisler-Hochschule gab der weltberühmte Sänger Dietrich Fischer-Dieskau Meisterkurse. Man musste sich um die Teilnahme bewerben. Ich hatte ihm ein Demo-Tape von mir geschickt, mir jedoch keine Chancen ausgerechnet. Dann aber fand ich eine Nachricht vom Meister selbst auf dem Anrufbeantworter, dass er mich unterrichten würde. In diesem Moment war ich einerseits glücklich und andererseits sehr traurig, dass ich meinen Papa nicht anrufen konnte, der einer seiner größten Fans gewesen war.

Der Unterricht würde bei Fischer-Dieskau zu Hause stattfinden, das wusste ich, und so überlegte ich, was ich anziehen sollte. Ich entschied mich für ein legeres Kleid und Absatzschuhe. Ich klingelte an seinem Haus, er öffnete die Tür und bat mich, die Schuhe auszuziehen und in Hotellatschen zu schlüpfen. Das sah zu dem Kleid ziemlich blöd aus. Als Liedbegleiterin war Claar ter Horst von der Hochschule dabei, die schon oft mit Fischer-Dieskau gearbeitet hatte. Er war ein sehr strenger, aber auch ein liebevoller Lehrer, bei dem ich sehr viel gelernt habe.

Zeitgleich mit dem Abschluss an der Hochschule wurde ich durch einen Aushang darauf aufmerksam, dass Frank Castorf, der Intendant der Volksbühne, für eine Kammerversion der Meistersinger von Wagner nach Sängern suchte. Ich sang vor und bekam einen von vier Gesangsparts; drumherum agierte das tolle Schauspielensemble der Volksbühne. Frank Castorf war wie ich wild, frei und extrem.

Gleichzeitig spielte ich am Opernhaus in Braunschweig eine Kinderoper. Immer wieder kam es vor, dass ich vormittags in Braunschweig probte oder für die Kids spielte und am Abend in der Berliner Volksbühne. Diese merkwürdige Doppel-existenz ging einige Jahre so.

FALAFEL-LADEN An einem Tag während des letzten Libanonkriegs hatte ich vor dem Auswärtigen Amt an einer Kundgebung teilgenommen, auf der ich mit vielen anderen Israelis gefordert hatte, dass unsere Armee den Libanon verlässt. Direkt danach war ich in Prenzlauer Berg in einem libanesischen Falafel-Laden. Es wurde Musik von einem drusischen Sänger gespielt, die ich aus Israel kannte.

Ich habe ein bisschen mitgesungen und mich im Rhythmus bewegt. Der Kellner, der die ganze Zeit sehr nett war, fragte, ob ich Drusin sei. Nach kurzem Zögern sagte ich: »Israelin«. Da verwandelte sich sein Gesicht in eine angewiderte, von Ekel entstellte Fratze. Ich habe das Lokal verlassen und bin heulend die Straße hinunter in Richtung meiner Wohnung gelaufen.

Eines Tages hatte ich die Idee, ein Programm mit Liedern von Umm Kulthum einzustudieren, jener ägyptischen Sängerin, die zu ihrer Zeit in der arabischen Welt berühmter war als in Europa die Callas. Ich habe darüber mit Ariel Efraim Ashbel gesprochen, einem meiner besten Freunde hier in Berlin. Ariel ist jemenitisch-aschkenasischer Israeli und Regisseur, der diese Musik auch sehr mag.

Als dann die Flüchtlinge aus Syrien kamen, hatten wir die Idee, uns nach arabischen Musikern umzusehen. Schließlich haben wir ein Orchester gegründet, dessen Mitglieder von überallher kamen. Für mich war es sehr viel Arbeit, die arabischen Texte zu lernen, ich hatte dafür aber einen sehr guten ägyptischen Coach.

Hebräisch Zu Probenbeginn habe ich überhaupt nicht thematisiert, dass ich Israelin bin, und niemand hat gefragt. Wir haben einfach miteinander musiziert und mochten uns sehr. Nach einer Weile kriegte einer mit, dass ich mit Ariel Hebräisch sprach, und sein Gesicht verriet einen leichten Schock. Trotzdem war es kein Problem – bis zum Abend der Premiere in einem Kulturzentrum in Wedding.

Einer der Oud-Spieler, ein sehr gebildeter und toller Mensch, hatte auf Facebook eine Ankündigung gesehen, auf der Ariel als »israelischer Regisseur« bezeichnet wurde. Er bat sehr freundlich darum, entweder den Hinweis auf die Nationalität des Regisseurs oder seinen Namen als Musiker zu streichen. Er würde sonst Probleme bekommen. Wir sahen einander lange an und hatten Tränen in den Augen. Das tat verdammt weh. Ein Jahr später spielten wir das Programm im Hau, dem früheren Hebbel-Theater. Die Vorstellungen waren schon lange vorher ausverkauft.

Syrien Während der Proben empfingen einige der arabischen Musiker über die sozialen Medien massive Drohungen. Ein hervorragender syrischer Sänger, der mit mir ein Duett singen sollte, hat eine Woche vor der Premiere seinen Ausstieg erklärt. Ein anderer, klassisch ausgebildeter Kollege hat den Part übernommen. Der Veranstalter hatte dann veranlasst, dass in den Vorstellungen BKA-Beamte in Zivil saßen. Das war irre! Aber auch in Israel gab es, nachdem unser Projekt in den Medien sehr positiv besprochen worden war, negative Kommentare.

Ich weiß, wir haben einige Probleme in unserer Region, aber Kunst kann doch auch Brücken bauen.

In dieser Zeit war ich noch an der Volksbühne. Das war irgendwann mit dem Ende der Intendanz von Frank Castorf vorbei. Dann bin ich mit dem Regisseur Herbert Fritsch an die Schaubühne gewechselt, wo ich auch andere Regisseure kenngelernt habe. Über meine Zukunft denke ich nicht nach, habe ich nie gemacht. Ich lebe im Hier und Heute, und da arbeite ich gerade mit dem Regisseur Thomas Ostermeier, und das macht Spaß.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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