Eigentlich sollte der Chanukkaleuchter mannshoch werden. So hatte es sich Michael Span vorgestellt. Doch ein Blick auf die zu erwartenden Materialkosten ließ ihn zurückrudern: Eine fast zwei Meter große Statue des Berliner »Buddy Bären«, eine Hommage an die vielen Gesichter der Stadt, wäre viel zu teuer geworden. Nun hat er sich für einen etwa 30 Zentimeter großen Berliner Bären entschieden.
An diesem Dienstagnachmittag ist er mit seiner Frau Anna in der Kunstschule Berlin, um nun die Chanukkia anzufertigen. Zuvor hatten die beiden eine Skizze beim Wettbewerb »Individuelle Chanukkiot« eingereicht, der von Kahal Adass Jisroel (KAJ) ausgelobt wird.
»Wir wollten etwas Künstlerisches zu Chanukka anbieten: einen selbst angefertigten Leuchter«, sagt German Moyzhes, Geschäftsführer von KAJ.
Als Kooperationspartner bot sich die Kunstschule Berlin in Prenzlauer Berg an, in deren Räumen gearbeitet werden kann. Auch Fördergelder vom Berliner Senat, dem Bund und aus dem Topf »Demokratie in der Mitte« wurden bewilligt. Jeder, unabhängig von Religion und Wohnort, war eingeladen, einen Leuchter zu bauen. »Der Einsendeschluss war zwar schon, aber noch heute erreichen uns Entwürfe«, sagt Moyzhes. Einer kommt sogar aus Schleswig-Holstein.
»Es ist schon lange ein Traum von mir, selbst einen Leuchter anzufertigen.«
Auf dem großen Tisch haben Anna und Michael ihre Spraydosen und den Prototypen des Buddy Bären ausgebreitet. »Wir nutzen unsere Urlaubstage«, sagt Michael Span, der als Arzt in einer Klinik arbeitet. »Jetzt haben wir endlich Zeit, unsere Chanukkia zu verwirklichen«, freut sich Anna. Der Buddy Bär ist noch ganz weiß und steht gelassen auf dem Tisch. Ringsherum sind die Regale gefüllt mit Farben und Papier.
»Es ist schon lange ein Traum von mir, selbst einen Leuchter anzufertigen«, sagt der 28-Jährige. Der Bär soll eine Stahlplatte tragen, auf der wiederum Teelichtbehälter stehen. »Die Maße für die Stahlplatte habe ich mir von ChatGPT ausrechnen lassen«, meint er vergnügt. Dann ließ er sie zuschneiden.
Allmählich füllt der Geruch der Farbe den Raum
Anna schüttelt die Sprayflasche. »Gold R 308« steht darauf. »Ich habe neulich eine Doku über die verschollene Menora aus dem Vatikan gesehen«, sagt Michael. »Ich stelle sie mir goldglänzend vor, deshalb wird der Leuchter nun mit dieser Farbe besprüht.«
Allmählich füllt der Geruch der Farbe den Raum. »Es gibt hier eine Unebenheit«, stellt die 26-jährige Finanzmanagerin fest. Das mache nichts; wenn die Farbe erst getrocknet sei, werde es schon gleichmäßig, meint Michael. Vor einem Jahr, genau zu Chanukka, ist das Paar nach Berlin gezogen. Anna kommt aus Aachen, Michael hat in Köln Medizin studiert. »Hier finden wir die jüdische Infrastruktur, die wir uns gewünscht haben.« Es gebe koschere Läden, Restaurants und Kitas.
»Ich liebe Berlin«, ergänzt Anna. Sie dreht die Statue, um auch die anderen Stellen anzusprühen. »Ich würde von mir sagen, dass ich wenig mit Kunst zu tun habe«, sagt Michael. Vielleicht sei er deshalb mit so viel Freude dabei. Die Stahlplatte und der Bär strahlen nun goldglänzend. Anna hält die Acrylflasche parat, damit alles gleichermaßen glänzt. Vorsichtshalber öffnet Michael nun doch die Fenster, denn das Spray riecht intensiv.
Michael engagiert sich seit 2013 bei Kahal Adass Jisroel. »Ich habe an etlichen bundesweiten Programmen teilgenommen«, sagt er, während er die Teelichter auspackt. Die Farbe ist mittlerweile trocken. Zusammen stellen sie die gelben Fassungen auf die Platte und bestücken sie mit LED-Lichtern. Schließlich nehmen beide ihre Handys, um ihr Werk zu fotografieren. »Ich würde den Leuchter sehr gern in unser Fenster stellen«, sagt Michael. Aber zum Wettbewerb gehört, dass alle Leuchter versteigert werden und der Erlös einem guten Zweck zugutekommt.
Der Erlös geht ans Jugendprogramm des »Berliner Forums der Religionen«.
Für Nazar Baltabekov war auch das ein Grund, mitzumachen. Der 30-Jährige hatte in der Kunstschule die Plakate mit der Ausschreibung gesehen. »Ich möchte die Möglichkeit nutzen, einen Beitrag zu leisten, auch wenn ich nicht religiös bin.« Erst einmal informierte sich der Kunststudent und Bildhauer über den Feiertag. Dann überlegte er, wie sein Leuchter aussehen könne. Fest stand, dass er etwas Symbolisches und Assoziatives schaffen wollte. Schließlich hatte er eine Idee: eine Berliner Mauer in Miniatur. »Mir scheint, der Fall der Mauer war wie ein Lichtstrahl für alle Menschen, die in Deutschland leben«, sagt Baltabekov, der aus Kasachstan kommt und erst seit zwei Jahren in Berlin lebt.
Für die Fertigstellung seines Mauer-Werkes hat er eine Woche eingeplant.
Auch Mariella Grope ist noch am Arbeiten. Sie hatte die Ausschreibung bei Instagram gesehen und dachte sofort, dass es sie reizen würde, mitzumachen. Seitdem verbringt die 18-jährige Abiturientin viel Zeit in ihrem Keller in Ahrensfelde, wo sie sich eine Werkstatt eingerichtet hat. In einem Baum möchte sie die LED-Lichter installieren; außerdem hat sie Granatäpfel als Symbol für Fruchtbarkeit, Fülle und Segen, weiße Rosen für die Opfer der Schoa und weiße Lilien, die für Schönheit stehen sollen, eingeplant.
Am Sonntag wird die erste Chanukkakerze bei einer Feier in der Kunstschule angezündet
Sie wolle nicht nur an der Ästhetik arbeiten, sondern auch die Symbolik aufgreifen. »Ich habe den Wettbewerb zum Anlass genommen, mich intensiv mit dem Judentum auseinanderzusetzen«, sagt sie. Am Wochenende wird die Chanukkia fertig sein. »Am liebsten würde ich sie behalten, aber ich finde es auch wichtig, Geld für einen guten Zweck zu spenden.«
Am kommenden Sonntag wird die erste Chanukkakerze bei einer Feier in der Kunstschule angezündet. Zusätzlich gibt es bereits ab 14 Uhr Workshops, Theateraufführungen, Musik und Lesungen. Außerdem werden die Objekte in der Kunstschule ausgestellt und versteigert. Der Erlös soll an das Kinder- und Jugendprogramm des Berliner Forums der Religionen gehen.
Vielleicht können Anna und Michael Span ihren Leuchter ja selbst ersteigern und ihn wie gewünscht zu Chanukka ins Fenster stellen – dann mit acht Kerzen.