Hamburg

»Ich möchte Vorurteile beseitigen«

Bewegt nahm Shmuel Havlin am Donnerstag vergangener Woche die Ernennungsurkunde von Militärbundesrabbiner Zsolt Balla entgegen. In einer Feierstunde wurde er in der Führungsakademie der Bundeswehr in der Generalleutnant-Graf-von-Baudissin-Kaserne in Hamburg zum Militärrabbiner ernannt. Seine Ehefrau Yehudit verfolgte aufmerksam die Zeremonie.

Rabbiner Shmuel Havlin ist für den Bereich Nord und damit für knapp 60 Dienststellen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Für ihn richtete die Bundeswehr eine Dienststelle an der Führungsakademie in der Clausewitz-Kaserne in Hamburg-Blankenese ein. Havlin wird nicht nur jüdische Soldatinnen und Soldaten betreuen, sondern alle Bundeswehrangehörigen.

Lebenskundlicher Unterricht und Beratung in ethischen Fragen

Der Hamburger Standort des Militärrabbinats ist mit jüdischen Kultusgegenständen und mit einer Bibliothek zum Judentum ausgestattet, um den Soldatinnen und Soldaten das religiöse Lernen zu ermöglichen. Schwerpunkt seines Amtes als Militärrabbiner ist das Fach Lebenskundlicher Unterricht und Beratung in ethischen Fragen.

Thematisiert werden Bereiche wie »Inklusion von Minderheiten« oder »Sport für Körper und Geist« und auch die jüdische Auffassung zur Menschenwürde und zum Freiheits- und Gleichheitsgrundsatz. Ganz praxisnah geht es zudem um jüdische Lebensführung, das Einhalten des Schabbats und jüdischer Feiertage, um koschere Lebensführung und die Gebote. Aufgabe des Militärrabbiners ist es auch, die jeweiligen Dienststellen dafür zu sensibilisieren. Der Lebenskundliche Unterricht mit politischer Bildung an der Führungsakademie der Bundeswehr ist einzigartig in der NATO.

»Jeder ist verpflichtet, seinen Teil dazu beizutragen, dass wir unsere Werte nicht verlieren, denn wir müssen Menschlichkeit und Ethik hochhalten«, sagte Bundesmilitärrabbiner Zsolt Balla bei der Amtseinführung. Er überreichte Shmuel Havlin neben der Ernennungsurkunde den Tallit und sprach im Anschluss ein Gebet für die israelischen Geiseln der Hamas: »Gib ihnen die Kraft, die Pläne des Feindes zu vereiteln.«

Moralisch gebildet

Die Bundeswehr brauche moralisch und ethisch gebildete Soldaten, die »Leuchttürme der Hoffnung und des Trostes in schweren Zeiten« sind. An die Gäste gewandt, sagte er: »Antisemitismusbeauftragte sind wir alle!«

Shmuel Havlin erinnerte daran, dass es schon im Ersten Weltkrieg Militärrabbiner gab, die damals Feldrabbiner hießen. Zurzeit jedoch würde er in zwei Welten leben, denn Familienangehörige und Freunde von ihm seien Reservisten der israelischen Armee und jetzt am Gazastreifen stationiert. Als Zsolt Balla ihn fragte, ob er Militärrabbiner werden wolle, habe er nicht gezögert.

Viele Soldaten möchten mehr über das Judentum erfahren.

Doch was hat den 1985 in Jerusalem geborenen Shmuel Havlin bewogen, nach Deutschland zu gehen? Im Juli 2012 zog er mit seiner Familie von Israel nach Hamburg und arbeitete als Schulrabbiner im Joseph-Carlebach-Bildungshaus in der ehemaligen Talmud-Tora-Schule. In Hamburg trafen er und seine Ehefrau Yehudit mit ihren zwei Kindern auf Familie, auf seine Schwester Chani Bistritzky, die Ehefrau von Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky. Später baute das Ehepaar Havlin ein Chabad-Zentrum in Bremen auf. Sie haben fünf Kinder im Alter von drei bis 13 Jahren. Die Ausbildung zum Rabbiner absolvierte Havlin in New York.

Etliche Soldatinnen und Soldaten möchten mehr über das Judentum erfahren. »Für viele Bundeswehrangehörige ist es das erste Mal, dass sie mit einem Juden sprechen«, weiß Havlin. Konkrete Zahlen, wie viele jüdische Soldaten in der Bundeswehr beschäftigt sind, gibt es nicht, da die Religionszugehörigkeit nicht erfragt wird.

Vorurteile und Unwissenheit beseitigen

»Die Bundeswehr muss Teil der Gesellschaft sein«, fordert der Militärrabbiner. Shmuel Havlin unterrichtet gern. »Damit kann ich Vorurteile und Unwissenheit beseitigen«, sagt der Rabbiner und ergänzt: »Wie ich erste Berührungspunkte mit dem Judentum schaffe, ist eine hohe Verantwortung und eine große Herausforderung. Das mag ich.«

An der Amtseinführung nahm auch Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, teil. »Der Aufbau der jüdischen Militärseelsorge in der Bundeswehr ist ein Meilenstein in der jüdisch-deutschen Geschichte«, lobte er. Es sei vielleicht sogar eine Normalisierung in der schwierigen Post-Schoa-Zeit. Auch Botmann ging auf das Hamas-Massaker im Süden Israels ein: »Die Terroristen hassen nicht nur Juden, sie hassen unsere freiheitliche, westliche, demokratische Art zu leben, die nun verteidigt werden muss.« An Havlin gerichtet, sagte Botmann: »Sie werden einen wichtigen Beitrag leisten für den demokratischen und weltoffenen Geist innerhalb der Bundeswehr.«

Oberst im Generalstab Michael Schlechtweg, Chef des Stabes der Führungsakademie der Bundeswehr, sagte: »Ich hoffe, es werden noch weitere Militärrabbiner folgen, denn ohne sie geht es nicht.« Schlechtweg verurteilte zudem die »unvorstellbaren Verbrechen« der Hamas: »Sie übersteigen jede Vorstellungskraft.«

Die Ernennung folgt auf den Beschluss des Bundestages vom Mai 2020, dass die Bundeswehr auch jüdische Seelsorger für die Soldatinnen und Soldaten in Dienst nimmt. 2021 richtete die Bundeswehr in Berlin ein Militärrabbinat ein, seit 2022 ist Militärbundes­rabbiner Zsolt Balla im Amt, im Juni dieses Jahres wurde Konstantin Pal in Leipzig als erster Militärrabbiner ordiniert. Weitere Rabbiner für bundesweit fünf Außenstellen sollen folgen.

Konzert

Erlös für das Jugenddorf Hadassim

Die WIZO München widmete David Stopnitzer sel. A. einen bewegenden Abend mit Kantor Chaim Stern

von Luis Gruhler  25.03.2025

Bildung

Förderung für zehn Projekte zu NS-Verbrechen

Die geförderten Projekte verteilen sich auf mehrere Bundesländer

 25.03.2025

Austausch

Der andere Blick

Petra Pau und Jenny Havemann sprachen im Gemeindezentrum über ihre Wahrnehmung der Länder Deutschland und Israel

von Nora Niemann  24.03.2025

Schwäbische Alb

Erinnerung sucht Nachfolger

Ehrenamtliche rekonstruieren in großer Fleißarbeit jüdische Geschichte. Doch wer kümmert sich darum, wenn sie es nicht mehr schaffen?

von Valentin Schmid  23.03.2025

Porträt der Woche

Der unbeirrbare Maler

Amnon David Ar folgt mit Disziplin und Leidenschaft seiner Kunst

von Alicia Rust  23.03.2025

Nachruf

»Du fehlst schon heute«

Peggy Parnass war Gerichtsreporterin, Journalistin und Künstlerin. Unsere Autorin Sharon Adler nimmt Abschied von ihrer langjährigen Freundin. Ein letzter Brief

von Sharon Adler  21.03.2025

Prenzlauer Berg

Veras Stein

Das neue Buch von »Welt am Sonntag«-Chefredakteur Jacques Schuster erzählt Geschichten von Menschen, die auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee beerdigt sind. Ein exklusiver Vorabdruck

von Jacques Schuster  21.03.2025

Leserbriefe

»Es gibt uns, nichtjüdische Deutsche, die trauern und mitfühlen«

Nach der Sonderausgabe zum Schicksal der Familie Bibas haben uns zahlreiche Zuschriften von Lesern erreicht. Eine Auswahl

 20.03.2025

Medien

Gil Ofarims Anwälte sollen ihn »zum Geständnis geprügelt haben«

Lange hatte der Musiker zum Verleumdungs-Prozess gegen ihn geschwiegen. Jetzt erwecken seine Anwälte den Eindruck, dass Ofarim nur aus einer Not heraus gestanden hat

 20.03.2025