Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Mina Dadashov, Frankfurt
Eine neue weiße Tischdecke habe ich bereits für Pessach gekauft, und für die Teller gibt es eigene Untersetzer. Ich mag es, den Tisch schön zu dekorieren. Wir feiern die Sederabende immer bei uns zu Hause. Es ist mein Lieblingsfeiertag – das änderte sich nur ganz kurz, als ich frisch verheiratet war, unsere Söhne bekam und merkte, wie viel Arbeit diese Tage bedeuten. Gleich nach Purim fange ich immer an, alles zu putzen, nehme die Teppiche raus, damit wir sozusagen krümelfrei sind. Das ist mit vier Jungs zwischen zwei und sieben Jahren natürlich eine Herausforderung. Ferner säubere ich die Kühlschränke, die ganze Wohnung und kaufe in unserem koscheren Supermarkt »Migdal« und in Straßburg ein. Auf unseren Tisch kommen natürlich die symbolischen Speisen. Ich bin eigentlich eine aschkenasische Jüdin, mein Mann hingegen kaukasischer Bergjude. Nun leben wir nach sefardischen Bräuchen. Die Oma meines Mannes hat gern Rouladen, die mit Hackfleisch, das in Rote-Bete-Blätter gerollt wird, gefüllt sind. Nun kochen wir gemeinsam. Der Gefilte Fisch, den meine Mutter macht, ist auch immer dabei. Es handelt sich dabei um ein Rezept, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ich rechne damit, dass etwa 12 bis 14 Leute an unserem Tisch sitzen werden. Mein Mann wird wieder mit entsprechenden Bibelstellen und Erklärungen aus der Haggada durch den Abend führen. Am ersten Seder habe ich auch noch Geburtstag. Natürlich kommt auch ein Glas für den Propheten Elijahu auf den Tisch. In diesem Jahr werden wir einen Stuhl, der leer bleiben wird, hinstellen. Dieser soll symbolisch für eine Geisel vom 7. Oktober stehen und daran erinnern, dass nicht jeder bei seiner Familie sein kann.

Anja Rottberger, Endingen am Kaiserstuhl
In diesem Jahr habe ich nicht so viel Kraft wie sonst, um mich um den Sederabend zu kümmern, denn ich erwarte mein viertes Kind. Wahrscheinlich werden wir Pessach ganz unter uns zu fünft feiern, aber auch die Synagoge besuchen. Auf jeden Fall werde ich das elegante Geschirr hervorholen, das mir meine Trauzeugin vor etlichen Jahren zur Hochzeit geschenkt hat. Die flachen Teller und Suppenteller sind in einem schlichten Weiß, die kombiniere ich mit rotem Besteck. Davon hätte ich gern noch mehr, aber das gibt es leider nicht mehr. Dazu nehme ich unsere hellgrüne Tischdecke, die wunderbar zum Frühling passt. Acht Leute würden bei uns um den Tisch passen, es bleiben somit noch drei Plätze frei. Früher habe ich mit meinen Eltern und Geschwistern, mit meinen Kindern, Neffen und Nichten zusammen den Abend verbracht, was sehr schön war. Da waren wir zwischen 20 und 30 Personen. Aber nun ist es für meine Eltern etwas zu viel. Ich koche immer eine Mazzeknödelsuppe, Kartoffeln, Gemüse und Fleisch. Ebenfalls kommen bittere Kräuter, Maror, Petersilie, Salzwasser, ein Knochen, wahrscheinlich vom Huhn, ein hartes Ei und Charosset, das den Lehm symbolisiert, auf meinen Tisch. Und natürlich verstecke ich den Afikoman für meine Kinder. Mein Vater räumt gerade sein Haus auf und bringt mir gern eine Chanukkia oder einen Schabbesleuchter von sich mit. Nun habe ich zu ihm gesagt, dass ich mir von ihm einen Pessachteller wünsche – denn der fehlt mir.

Maja Harel, Oldenburg
Es ist das erste Pessachfest, das Jens und ich als verheiratetes Paar feiern, denn im vergangenen Oktober standen wir unter der Chuppa. Freunde und Angehörige haben wir nun zum Sederabend zu uns eingeladen. Zwar haben bisher noch nicht alle zugesagt, aber ich denke, es werden zwischen 16 und 25 Gäste kommen. Eine weiße Decke werde ich über den Tisch legen. Leider bin ich nicht so gut im Dekorieren. Unser Geschirr für Pessach haben wir bestellt und hoffen, dass es rechtzeitig da sein wird. Es sind ganz simple weiße Teller. Wir kochen selbst, aber es darf auch jeder etwas fürs Buffet mitbringen. Die Sederteller werde ich so platzieren, dass sie jeder sehen und die Speisen mit symbolischer Bedeutung erreichen kann. Ich erinnere mich sehr gern an früher, als mein Vater noch lebte. Er war jemand, der Leute zusammenbrachte. Etwa 40 Freunde und Verwandte kamen zu uns zum Sederabend, den er angeleitet hat. Vergangenes Jahr war ich Pessach zu Hause in der Region Hannover und habe den Abend moderiert. Es fühlte sich besonders an, seine Aufgabe nun zu übernehmen und die Atmosphäre weiterzutragen, sozusagen von Generation zu Generation. In diesem Jahr möchte ich es wieder so machen – und darauf freue ich mich. Pessach ist für mich ein Familienfest – und mein Lieblingsfest.

Orion Martz-Sigala, Baden-Württemberg
Petersilie, Meerrettich, Charosset, Sellerie, Papierknochen, Kartoffel, Orange, normale Mazze, glutenfreie Mazze, Wein und Wasser. Wie mit allen Sachen im Leben muss auch der Sedertisch meiner Familie außergewöhnlich sein – eine Mischung aus sefardisch und aschkenasisch, aus alten Traditionen, modernen Ideen und kreativen Anpassungen. Sefardisches Charosset: Nüsse, Datteln, getrocknete Feigen und Honig, und am Ende des Seders »Un Cabrito«, weil »Chad Gadya« bei uns auf Ladino aufgesagt wird. Neben Elijahus Weinbecher steht jedes Jahr Miriams Becher gefüllt mit Wasser; eine Erinnerung an ihre Tapferkeit und die Tapferkeit aller jüdischen Frauen. Dazu wurde eine Orange in der Mitte des Sedertellers vor ein paar Jahren hinzugefügt – als Repräsentation aller LGBTQ+-Juden. Aus unserer egalitären Haggada liest jeder abwechselnd, ohne dass wir eine bestimmte Person haben, die den Seder führt. Diese Sachen hören sich vielleicht für manch anderen fremd oder komisch an, aber für mich ist es Zuhause.

Tal Rimon, Berlin
Dieses Jahr wird der Seder in jeder Hinsicht eher klein. Zum ersten Mal mache ich selbst nichts Großes. Ich gehe zu einem Seder von Israelis, die mit ihren Partnern von überall auf der Welt in Berlin leben. Ich hatte die Wahl, entweder etwas richtig Krasses zu machen oder eben nicht. Uns allen ist aber eher nach einer kleinen Zusammenkunft mit den allerengsten Freunden. Das ist für uns die beste Art, in diesem Jahr Pessach zu feiern. Mir ist ganz generell nicht nach Feiern zumute. Alles, was ich mache, wird von einer großen Traurigkeit begleitet. Es fällt mir schwer, 100 Prozent glücklich zu sein, 100 Prozent zu feiern. Es gibt da diesen Schatten. Ich denke an die über 133 Geiseln, die Zukunft Israels ist sehr unklar, die Regierung ist immer noch dieselbe, die uns in diese Situation gebracht hat, und meine Familie ist noch im Land. Daher wird dieses Pessach schlicht und zurückhaltend.

David Studniberg, Berlin
Ich bin jetzt 38 Jahre alt und kann an einer Hand abzählen, wie oft ich nicht zu Hause war am Seder. Heißt: Pessach ist für mich DAS Familienfest. Fast die komplette Kernfamilie ist am Start. Dieses Jahr kommen liebe Freundinnen aus der Gemeinde dazu. Neben einer wunderschön gedeckten Tafel mit leckeren Speisen und Getränken sind es vor allem die Songs, die mich immer aufs Neue begeistern. Als Kind war mein Favorit – natürlich – »Ma Nishtana«. Als Erwachsener teilen sich zwei Lieder den ersten Platz: »Vehi Scheamda« (im Stil von Yossi Azulay) und »Echad Mi Jodea«. Ich lebe in Berlin, habe hier tolle Freundinnen und Freunde und Aufgaben, die mich erfüllen. Gleichzeitig bin ich nicht mehr so oft zu Hause in Mannheim wie früher. Daher sind diese Gelegenheiten für mich umso wertvoller, denn die Zeit vergeht super schnell. Meine Nichte macht dieses Jahr Abitur, mein großer Neffe ist gerade für ein halbes Jahr in den USA, und mein kleiner Neffe wird schon 14 im Sommer. Ich freue mich sehr auf die »quality time« mit allen zusammen. Gerade jetzt in diesen Zeiten brauche ich – und ich glaube, wir alle – das vertraute Gefühl der Familie und Gemeinschaft. Außerdem bin ich schon gespannt darauf, wer das »Echad-Mi-Jodea-Wettsingen« gewinnen wird. Neben meiner Schwester und mir sind meine Nichte und Neffen auf einem guten Weg dahin. Chag Pessach Sameach an alle und: Am Israel Chai!

Aufgezeichnet und zusammengestellt von Katrin Richter und Christine Schmitt

Frankfurt

»Voll akzeptiert in der Gemeinde«

Rabbinerin Elisa Klapheck über das Jubiläum des Egalitären Minjans und das Konzept »Alle unter einem Dach«

von Ralf Balke  07.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  07.12.2024

Bedrohung

Wehrt euch!

Wie kann es sein, dass Juden wieder in Angst leben müssen? Wie kann es sein, dass Kippa zu tragen, gefährlich ist, während die Kufiya zum Fashion-Icon für Pseudo-Wokies wird? Ein Aufschrei

von Yaron Jacobs  07.12.2024

München-Schwabing

Ein Stück Hoffnung

Die Synagoge Shaʼarei Zion in der Georgenstraße erhielt eine neue Torarolle

von Luis Gruhler  07.12.2024

Porträt der Woche

Beamtin aus Leidenschaft

Diana Goldschmidt aus Hannover entdeckte als Schülerin ihr Interesse für öffentliche Aufgaben

von Gerhard Haase-Hindenberg  07.12.2024

Potsdam

Kein Café, keine Besichtigungen in der neuen Synagoge

Wo liegt der Grund für diese Entscheidung?

 06.12.2024

Köln/Kürten

Lob für Gründung des Verbands Jüdischer Journalisten

Die Gesellschaft Katholischer Publizisten bietet JJJ Zusammenarbeit und Unterstützung an

 06.12.2024

Potsdam

Wo Rabbiner lernen

Die Nathan Peter Levinson Stiftung erinnerte mit einer Feierstunde an ihren Namensgeber

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Holocaustüberlebende

Esther Bejarano vor 100 Jahren geboren

Sie spielte im »Mädchenorchester« in Auschwitz und überlebte die Schoa

von Leticia Witte  05.12.2024