Trier

Größter Wunsch: Normalität

Die Synagoge Trier in der Kaiserstraße wurde 1957 eröffnet. Foto: imago stock&people

Ein Kalender mit vielen, noch völlig leeren weißen Blättern, so stellen sich viele Leute ein neues Jahr gern bildlich vor. 5781, das steht jetzt schon fest, wird so beginnen, wie 5780 endete: mit Sorgen und Unsicherheit darüber, dass sich die Corona-Pandemie wieder weiter ausbreiten könnte und die früher so alltäglichen kleinen Freiheiten dann zugunsten des Infektionsschutzes wieder eingeschränkt werden müssen.

Und so stehen auch individuelle Erwartungen und Hoffnungen für das neue Jahr weit hinter dem großen Wunsch nach dem baldigen Ende der Pandemie zurück. Wie bei der jüdischen Gemeinde in Trier, einer mit rund 460 Mitgliedern eher kleinen Gemeinde, wie ihre Vorsitzende Jeanne Bakal sagt. »Aber eigentlich sind wir keine kleine Gemeinde, sondern eine große Familie.«

einschränkungen Die Einschränkungen durch Corona seien das alles überschattende Thema, berichtet Bakal. »Alle sind sehr diszipliniert, denn wir wissen, dass wir nicht lockerlassen dürfen und immer aufpassen müssen, um niemanden zu gefährden.«

Entsprechend wünsche sie sich zu Rosch Haschana vor allem, dass »endlich wieder die Normalität zurückkehrt, die wir im Januar und Februar noch hatten. Und natürlich Gesundheit für alle«. Das ständige Bangen um ebendiese Gesundheit aller, sei es in der Familie, im Freundeskreis oder in der Gemeinde, sei eine enorme Belastung und Verantwortung. »Aber das geht gerade allen Vorsitzenden und Vorständen so.«

Natürlich habe man versucht, das Beste aus der Situation zu machen, gerade während des Lockdowns. »Wir haben für die Gemeinde einiges neu angeschafft, renoviert, geputzt und das erledigt, wozu normalerweise selten Zeit ist«, freut sie sich einerseits. Anderseits seufzt sie: »Nun ist es genug, es soll in der Gemeinde nicht alles ständig blitzeblank und ruhig, sondern endlich wieder laut und fröhlich und voller Trubel sein, so wie früher, als wir ohne Einschränkungen zusammen Kiddusch feiern konnten.«

Mikwe Einen Wunsch für die Gemeinde könne sie eigentlich nicht formulieren. »Im Moment gehen alle Gedanken dahin, wie das während der Hohen Feiertage sein wird, angesichts der begrenzten Teilnehmerzahlen und der sonstigen Einschränkungen. Wir versuchen unser Bestes, aber wie das in der Realität wird, wissen wir nicht.«

Sie hofft: »Vielleicht werde ich meinen Wunsch am Freitag während des Gebets wissen, wenn alles von mir abfällt.« Eine Mikwe vielleicht – die Gemeinde hatte seit dem Ende des Krieges noch nie eine. »Aber ganz ehrlich, Dinge kann man kaufen oder eben nicht, wenn man sie sich leisten kann, aber Gesundheit eben nicht.«

Am Montag habe sie mit Kindern und Jugendlichen über ihre Erfahrungen gesprochen, sagt Sofiya Usach, die Leiterin des Jugendzentrums. »Jeder bekam zwei leere Blätter und sollte aufschreiben, was gut und was weniger gut war. Und dann stellte sich heraus, dass 5780 zwar ein Jahr voller Veränderungen und Schwierigkeiten war, das Positive aber für sie im Vordergrund stand.«

Vom Spirit der Kinder könnten sich die Erwachsenen eine Scheibe abschneiden, meint Jugendzentrumsleiterin Sofiya Usach.

Der Ausfall der Jewrovision gehörte zu den negativen Geschehnissen des Jahres, wie auch für manche der Urlaub, der nicht stattfinden konnte. »Aber die Kinder und Jugendlichen waren trotzdem in der Lage zu sagen, ja, das hat uns gefehlt, aber auf eine Art und Weise war es auch besser so, denn es war die einzige Möglichkeit, Ansteckungen zu verhindern.«

Sie sei immer noch sehr beeindruckt davon, sagt Sofiya Usach: »Dieser Spirit ist etwas, von dem sich mancher Erwachsene eine Scheibe abschneiden könnte, ich hoffe, dass die Kids ihn behalten und dass wir zusammen stark bleiben.«

Jewrovision Natürlich sei der Ausfall der Jewrovision ein Dämpfer gewesen, erklärt Usach, zumal Betreuer und Kinder ein halbes Jahr Arbeit und viel Kreativität in den geplanten großen Auftritt gesteckt hatten. »So einen Rückschlag hinzunehmen und auch enttäuscht zu sein, aber eben auch das Big Picture zu sehen und sich zu sagen, dass es um viel mehr als nur einen geplatzten Termin ging, das gehört zur Lebenserfahrung dazu. Wie eben auch zu lernen, dass man nicht sicher weiß, was nächste Woche passiert.«

Und nun freue man sich auf die Jewrovision 5781 und hoffe, dass sie stattfinden kann, sagt Usach, die 5780 ein persönliches Ziel erreicht hat, nämlich den Master in Kommunikationsdesign. Einen großen individuellen Wunsch für das neue Jahr hat sie nicht. »Das Größte, was man sich wünschen kann, ist Gesundheit für sich und alle anderen.«

Für Gennadiy Nayfleysh vom Jugendzentrum Elef Drachim ist Rosch Haschana »einer der fröhlichsten und schönsten Feiertage, man freut sich schon das ganze Jahr darauf«. Bei seinem »ersten Neujahrsfest« sei die Synagoge in Trier rappelvoll gewesen, sagt er, »wie eigentlich später auch immer an diesem Feiertag«.

Für ihn »steht dabei das Gemeinschaftsgefühl im Vordergrund, denn man weiß, dass alle Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt an diesem Tag feiern, dass fast alle mit ihren Familien in die Synagoge gehen, sich schick gemacht haben und sich auf das neue Jahr freuen«. Entsprechend habe er im Hinblick auf sein privates Leben »eigentlich keine Wünsche, aber weil ich bei Rosch Haschana eben immer an das Judentum denke, wünsche ich mir, dass uns 5781 nur positive Nachrichten bringt«.

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