Mitzvah Day

»Gerechtigkeit kennt keine Grenzen«

Lebensmittelspenden für eine Hilfsorganisation sammeln, mit einer Kindergruppe ein Seniorenheim besuchen und vorsingen, eine Grünanlage sauber machen. Ob große oder kleine Ideen, der Fantasie sind am »Mitzvah Day« keine Grenzen gesetzt. Hauptsache, man tut Gutes, indem man nicht Geld, sondern Zeit schenkt.

Den Mitzvah Day entdeckte die Britin Laura Marks 2005 bei einem Aufenthalt in den USA und war so begeistert, dass sie die Idee nach Großbritannien importierte. An einem Sonntag im November sollen Mitglieder der jüdischen Gemeinden und andere interessierte Freiwillige eine gute Tat (Mizwa) vollbringen. Ganz im Sinne der jüdischen Werte Tikkun Olam (Verbesserung der Welt), Tzedek (Gerechtigkeit) und Gemilut Chassadim (Mildtätigkeit).

Weltweit Seitdem wächst der Mitzvah Day beständig, in diesem Jahr machten Tausende Freiwillige weltweit mit. In Deutschland fand der Mitzvah Day am Sonntag und Montag zum ersten Mal überregional statt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte Mitarbeiter von Gemeinden und Landesverbänden aus ganz Deutschland nach Berlin eingeladen, um die Idee vorzustellen, erste Projekte zu realisieren und anschließend den Mitzvah Day in die Gemeinden zu tragen und weiter zu verbreiten.

Zunächst wurden den Teilnehmern die Werte Tikkun Olam, Tzedek und Gemilut Chassadim nähergebracht. Die Welt zu reparieren, Gerechtigkeit anzustreben und Mildtätigkeit auszuüben, seien für Juden ein Gebot Gottes und eine Notwendigkeit, betonten Rabbiner Julian-Chaim Soussan vom Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) und Rabbiner Jonah Sievers, Vorstandsmitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

»Wir müssen uns zu Armut und anderen politischen Themen äußern«, appellierte Rabbiner Sievers. »Die Gerechtigkeit kennt keine Grenzen, wir haben die Pflicht, jedem zu helfen«, betonte Rabbiner Soussan. Beide sahen viel Positives in der Idee des Mitzvah Day, die es jedem ermögliche, sich verantwortlich zu fühlen und konkret etwas zu tun.

Bewusstsein Auf den Einwand, ein einzelner Tag sei vielleicht zu wenig, antworteten die Rabbiner sowie Doron Kiesel, Professor für Sozialarbeit in Erfurt, einhellig, der Mitzvah Day sei ein guter Anstoß: Natürlich sollten Juden nicht nur am Mitzvah Day eine Mizwa vollbringen, aber dieser Tag könne das Bewusstsein für Ungerechtigkeit schärfen.

»Eine Mizwa verursacht eine neue Mizwa«, erklärte Rabbiner Sievers. Auch Sally Styles, Koordinatorin von Mitzvah Day International in London, betonte, es seien längerfristige Kontakte und Projekte aus dem Mitzvah Day heraus entstanden: »Der Mitzvah Day ist ein Anfang und kein Ende«, erklärte sie.

Manche Vertreter kleinerer Gemeinden befürchteten, keine Freiwilligen für den Mitzvah Day gewinnen zu können, da Aufgaben tendenziell immer auf den gleichen Schultern ruhten. Andererseits wurde die Hoffnung ausgedrückt, mit einem solchen Tag ältere Gemeindemitglieder aktivieren zu können: »Wir erreichen 40- bis 50-Jährige nicht«, sagte Alla Volodarska-Kelmereit von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. Junge Eltern erreiche man über ihre Kinder, Ältere jedoch würden andere Aufgaben in den Vordergrund stellen und oft die Seele vergessen, erklärte sie der Jüdischen Allgemeinen.

»Es ist immer schwierig, Menschen für ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen«, gab Rabbiner Sievers zu, doch müsse man einfach damit anfangen. Sally Styles betonte, es gehe nicht nur um große Projekte, sondern auch und ganz besonders um kleine. So könne die Gemeinde zu Kaffee und Kuchen einladen und dafür sorgen, dass ältere, in ihrer Beweglichkeit eingeschränkte Mitglieder abgeholt werden und so die Möglichkeit bekommen, am geselligen Beisammensein teilzuhaben.

Es sei meist nicht sehr schwierig, Freiwillige zum Kuchenbacken zu finden, junge Leute könnten für die Musik zuständig sein. Nach den Erfahrungen von Sally Styles macht der Mitzvah Day den Teilnehmenden viel Spaß und kann der Gemeinde einen neuen Schub geben.

Nachhaltigkeit Eyal Levinsky und Manuel Ruschin, stellvertretende Leiter des Jugendzentrums der Jüdischen Gemeinde Berlin, haben bereits darin Erfahrung gesammelt, Kinder und Jugendliche für Hilfsprojekte zu gewinnen. Man müsse die Aktion gut vorbereiten, dann würden die Kinder solche Projekte sehr gut annehmen, betonten sie gegenüber dieser Zeitung.

Dass sie damit die Lage von Bedürftigen nicht grundlegend ändern können, sei für sie nicht frustrierend, denn es gehe vor allem darum, »die Haltung der Kinder und ihr Bewusstsein zu ändern«, so Eyal Levinsky: »Sie sollen verstehen, in welcher Welt wir leben«. Und: Eine solche Aktion könne ihnen »einen Schubser geben, etwas zu tun«. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit, die Rabbiner Soussan und Rabbiner Sievers als erstrebenswert betonten.

Am Montag nahmen dann die Teilnehmer des Mitzvah Days an entsprechenden, vom Zentralrat der Juden vorbereiteten Aktionen in Berlin teil. Eine Gruppe machte sich auf den Weg ins Jüdische Seniorenzentrum in der Dernburgstraße, um mit den Bewohnern spazieren zu gehen und sich zu unterhalten.

Bäume pflanzen Eine weitere Gruppe half in der Suppenküche der Evangelischen Kirchengemeinde Am Lietzensee aus und verteilte dort Süßigkeiten. Die dritte Gruppe ging in die Gartenarbeitsschule Wedding, um Bäume zu pflanzen. Anschließend sollen sie den Mitzvah Day in ihren Gemeinden vorstellen, eigene Ideen entwickeln und umsetzen und so das Projekt in Deutschland nach und nach etablieren.

Über die jüdische Gemeinde hinaus ist der Mitzvah Day interkulturell und interreligiös gedacht. So sollen die guten Taten nicht nur der jüdischen Gemeinde zugutekommen, alle Interessierten können mitmachen, egal welche Religion sie haben, oder auch, wenn sie nicht religiös gebunden sind.

Sally Styles berichtete von einem Projekt im Norden Londons, bei dem Freiwillige aus jüdischen, christlichen und Hindu-Gemeinden ein brachliegendes Gelände von weggeworfenem Unrat befreiten, damit es als kommunales Naherholungsgebiet genutzt werden kann. So seien wunderbare Kontakte zwischen Menschen entstanden, die sich sonst nie kennengelernt hätten.

Ein nicht zu verachtender Nebeneffekt des Mitzvah Days: Es ist eine Aktion, die die jüdische Gemeinde, jüdische Werte und Juden ganz allgemein positiv in die Öffentlichkeit bringt.

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

B’nai B’rith

»Wie eine große Familie«

Delegierte aus 20 Ländern kamen zusammen, um sich eine neue Organisationsstruktur zu geben

von Ralf Balke  03.11.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an November-Pogrome

Zum 87. Jahrestag der NS-November-Pogrome von 1938 werden am Sonntag ganztägig die Namen der im Holocaust ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden vorgelesen. Bei einem Gedenken am Abend wird Berlins Regierender Bürgermeister sprechen

 03.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

Zur feierlichen Enthüllung werden unter anderem Zentralratspräsident Josef Schuster, die brandenburgische Kulturministerin Manja Schüle (SPD) und der Beauftragte für Erinnerungskultur beim Kulturstaatsminister, Robin Mishra, erwartet

 03.11.2025

Porträt der Woche

Zufluchtsort Musik

Naomi Shamban ist Pianistin, lebt in Dresden und hat eine Schwäche für Märchenfilme

von Alicia Rust  03.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Hund, Katze & Co

Beste Freunde

Wenn Tiere Familie werden: Gemeindemitglieder erzählen vom leisen oder lauten Glück, mit Vierbeinern zu leben

von Christine Schmitt  02.11.2025

Berlin

Parfüm mit Geschichte

Das israelische Label Zielinski & Rozen stellte seine Duftkollektion vor, die 1905 in Jaffa kreiert wurde

von Alicia Rust, Erez Zielinski Rozen, Gemeinde Berlin, Parfüm  02.11.2025