Bildung

Gemeinsam lernen

Diskussion in Offenbach: Nicht allen Eltern ist die Öffnung der Marienschule recht. Foto: Rafael Herlich

Mehr als 80 Jahre lang besuchten nur christliche Mädchen die Marienschule im hessischen Offenbach. In diesem Jahr hat die katholische Schule – nach einem langen Diskussionsprozess – erstmals ihre Klassentüren auch für Schülerinnen anderen Glaubens geöffnet. Vier muslimische Mädchen werden derzeit unterrichtet und – so hofft die Schulleitung – demnächst auch jüdische Schülerinnen.

Für Mark Dainow, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Offenbach, kommt diese Entscheidung zu spät. Er erinnert sich noch gut an das Gespräch, das er vor 26 Jahren mit der damaligen Leiterin der Marienschule führte. »Es war ein sehr unangenehmes Zusammentreffen«, berichtet er während einer Diskussionsveranstaltung mit Eltern, Lehrern, dem Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann, und dem Frankfurter Professor für Koranexegese, Ömer Özsoy, in der Marienschule.

Dainow war in den 70er-Jahren mit seiner Familie aus Weißrussland ins Rhein-Main-Gebiet gekommen. Seine damals zehnjährige Tochter konnte er nicht in der Marienschule anmelden.

Alltag Von den 120.000 Einwohnern Offenbachs haben rund 58 Prozent einen Migrationshintergrund. Offenbach ist damit die Stadt in Deutschland mit dem höchsten Ausländeranteil. In den Bildungseinrichtungen und im täglichen Leben gehören Menschen unterschiedlicher Staats-, Kultur- und Religionszugehörigkeit zum Alltag.

Darauf reagierte Schulleiterin Marie Luise Trocholepczy, und wandte sich nach wiederholten Bitten um eine Öffnung, vor allem von muslimischen Müttern, an das Bistum Mainz und Karl Kardinal Lehmann wandte. Zwei Jahre dauerte der durchaus kontroverse, kritische Entscheidungsprozess zusammen mit Schülerinnen, Eltern und Lehrern, bis feststand: »Wir müssen etwas wagen«, wie Lehmann und Schulleiterin Trocholepczy betonen. Einige Besucher formulieren an diesem Abend ihre Zweifel und Befürchtungen. Ihnen macht vor allem die mögliche Aussicht Angst, dass muslimische Schülerinnen demnächst mit Kopftuch im Klassenzimmer sitzen könnten. Eine Mutter, die als Jugendliche selbst die Marienschule besucht hatte, wirft der Schule vor, »den Vertrag einseitig gebrochen zu haben«. Das Besondere der katholischen Mädchenschule gehe verloren. Sie habe ihr Kind in einem »Schutzraum« christlichen Glaubens aufziehen wollen. Die Öffnung für andere Glaubensgemeinschaften hält sie für den falschen Schritt.

»Wir müssen unsere Kinder lebensfähig machen für die heutige Gesellschaft.« Im Alltag seien sie jeden Tag mit Migranten oder Andersgläubigen konfrontiert. Die Mädchen sollen selbstbewusst aufwachsen, den Glauben anderer achten und »kommunikationsfähig in ihrer eigenen Religion sein«, kontert Schulleiterin Trocholepczy. Außerdem seien Eltern, Schüler und auch Lehrer in die Entscheidung eingebunden gewesen.

Nachbarn »Religion muss in der richtigen Weise gestärkt werden, um ein friedliches Miteinander zu finden«, ist sie überzeugt. »Wir müssen die religiöse Identität unserer Nachbarn kennen«, betont auch Kardinal Lehmann angesichts der derzeitigen Flüchtlingssituation. Er plädiert für eine grundsätzliche Haltung der Offenheit und Dialogfähigkeit ohne missionarische Ansprüche.

Ein Ansatz, den die Jüdische Gemeinde Offenbach schon seit Langem in ihrem Kindergarten pflegt, ergänzt Mark Dainow. Dort werden zu jeweils einem Drittel Kinder jüdischen, christlichen und auch muslimischen Glaubens aufgenommen. Gemeinsam beten sie vor dem Frühstück und vor dem Schabbat – »mit der Kippa auf«, betont der Vizepräsident des Zentralrats. »Wenn man das sieht, weiß man, dass aus diesen Kindern keine Mörder und keine Antisemiten werden«, sagt Dainow.

Die von der Diözese getragene Marienschule hat derzeit 900 Schülerinnen. Für die vier muslimischen Mädchen wurde eigens eine muslimische Religionslehrerin eingestellt und ein eigener Gebetsraum eingerichtet. Die Leiterin der Frankfurter Lichtigfeld-Schule, Noga Hartmann, jedenfalls ist an diesem Abend extra nach Offenbach gekommen, um ihre Begeisterung für das Projekt zu bekunden: »Ich finde die Öffnung der Marienschule toll«, sagt sie.

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025