9. November

Gedenken in Spandau

Bis zur Pogromnacht 1938 stand in der Spandauer Lindenstraße eine Synagoge. Foto: Uwe Steinert

In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde auch die Synagoge am Lindenufer in Berlin-Spandau zerstört. Am Freitag gedachten dort anlässlich des 77. Jahrestags der Novemberpogrome Vertreter der Politik, Kirchen, Zivilgesellschaft und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gemeinsam der Opfer des Naziregimes.

»Wir lassen uns nicht einschüchtern«, sagte Gudrun O’Daniel-Elmen von der AG Christen und Juden im Evangelischen Kirchenkreis Spandau in ihrer Ansprache. Angehörige der Familie Salomon, Stadträte, Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlung und der Kirchen sowie zahlreiche Interessierte kamen zum Mahnmal ans Lindenufer.

neuverlegung »Jeder Mensch hat einen Namen, und wir werden uns weiter dafür engagieren, dass noch mehr Stolpersteine an die Schicksale der Juden erinnern«, betonte O’Daniel-Elmen – insbesondere angesichts der Schändung von Stolpersteinen für Zilka, Leonie und Gerhard Salomon, die erst im Juni in Spandau verlegt worden waren.

Unmittelbar nach ihrer Verlegung waren die Steine geschändet und der Stein für Zilka gestohlen worden. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur. Heute Nachmittag werden sie erneut in der Lutherstraße 13, dem früheren Wohnort der Familie, eingelassen. »Das Schicksal dieser Familie steht für viele andere Schicksale«, sagte Gudrun O’Daniel-Elmen.

An der Gedenkstunde nahmen auch die Angehörigen Marion Schubert und Roni Cohen-Kallner teil. Beide leben in Berlin. Ein anderer Zweig der Familie lebt in Israel und war zu der Verlegung im Juni angereist. Die Schändung erschüttert die Familie. »Wir sind sehr traurig«, zitierte Gudrun O’Daniel-Elmen aus dem Brief der Familie. Der Stolperstein sei »wie ein Grab eines Menschen, der nirgendwo eines hat«.

geschichtswerkstatt Sarah, Maja, René, Patrick und Yannik, alle Schüler des Oberstufenzentrums TIEM, haben die Geschichte der Familie mithilfe der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau aufgearbeitet und in einem Rollenspiel inszeniert. Damit sie bei der Gedenkstunde dabei sein konnten, musste sogar eine Klausur verlegt werden. Die Schüler haben bei ihren Recherchen herausgefunden, dass die Familie Salomon ihre beiden Textilwarengeschäfte auf Druck der Nazis verkaufen musste.

Die erwachsenen Kinder, Gerhard und Leonie, mussten Zwangsarbeit leisten, während eine Tochter es mit Mann und Kindern schaffte, nach Palästina zu emigrieren. Bei der sogenannten »Fabrikaktion« wurden Gerhard und Leonie abgeholt und deportiert, einen Tag später ihre Mutter Zilka. Alle drei wurden in Auschwitz ermordet.

Marion Schubert berichtete nach der Gedenkveranstaltung, dass ihr Vater mit seinem Cousin Gerhard immer gerne Skat gespielt hätte und ihr deswegen dieser Onkel, der in den Erzählungen ihres Vaters oft vorkam, vertraut sei, obwohl sie ihn nicht kennengelernt habe. Deshalb hatte sie für ihn den Stolperstein legen lassen.

erinnern »Die alljährliche Feierstunde am Spandauer Mahnmal mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde zu Berlin stellt ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus, Gewalt und Rassismus dar«, sagte Helmut Kleebank (SPD), Bezirksbürgermeister von Spandau. Angesichts der derzeitigen Flüchtlingswelle würden Rassismus, Vorurteile, und Menschenfeindlichkeit aufkeimen, die längst überwunden schienen. Es ein wichtiges Zeichen, dass gerade junge Menschen – wie an diesem Tag die Schüler – einen aktiven Beitrag leisten.

Gemeinderabbiner Jonah Sievers sagte, dass er im Geiste schon oft an einer Traueransprache gearbeitet habe für den letzten Schoa-Überlebenden. »Keiner kann sich vorstellen, wie es sein wird, wenn kein Zeitzeuge mehr da ist, um von der Schreckenszeit berichten zu können.« Er sehe es als ein schönes Zeichen für die Zukunft, wenn Schüler die Erinnerung lebendig werden ließen. Worte aus Psalm 116 und das El Male Rachamim sang Kantor Simon Zkorenblut. Zusammen mit dem Rabbiner sprach er das Kaddisch. Anschließend legten Politiker und Vertreter der Kirchen Kränze am Mahnmal nieder.

Das Spandauer Mahnmal wurde 1989 nach Entwürfen von Ruth Golan-Zareh (1944–2012) und Kay Zareh am Lindenufer errichtet und erinnert an die Synagoge, die hier einst stand. Durch Brandstiftung wurde sie in der Pogromnacht zerstört. Unter dem Motto »Jeder Mensch hat einen Namen« kam 2012 eine Namensmauer hinzu, auf der eingefügte Namenssteine an die deportierten und ermordeten Spandauer Juden erinnern.

Jom Haschoa

Geboren im Versteck

Bei der Gedenkstunde in der Münchner Synagoge »Ohel Jakob« berichtete der Holocaust-Überlebende Roman Haller von Flucht und Verfolgung

von Luis Gruhler  05.05.2025

Berlin/Potsdam

Anderthalb Challot in Apartment 10b

In Berlin und Potsdam beginnt am 6. Mai das Jüdische Filmfestival. Die Auswahl ist in diesem Jahr besonders gut gelungen

von Katrin Richter  05.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  04.05.2025 Aktualisiert

Nachruf

»Hej då, lieber Walter Frankenstein«

Der Berliner Zeitzeuge und Hertha-Fan starb im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Stockholm

von Chris Meyer  04.05.2025

Essay

Das höchste Ziel

Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Was, einer zu bleiben? Überlegungen zu einem Begriff, der das jüdische Denken in besonderer Weise prägt

von Barbara Bišický-Ehrlich  04.05.2025

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025