Ratsversammlung

Füreinander da sein

Eine Darth-Vader-Tasse und eine Gollum-Tasse hat Markus Söder bereits. Seit vergangenem Sonntag besitzt der bayerische Ministerpräsident nun auch einen Avengers-Endgame-Becher. Mit Infinity-Steinen, wie Söder, das ockerfarbene Gefäß in der Hand haltend, der Ratsversammlung fachkundig erläutert.

Es ist ein Moment, den das Treffen des obersten Entscheidungsgremiums des Zentralrats so wohl noch nie erlebt hat, und ein harmonischer – und etwas charmant-nerdiger – Abschluss einer Rede, in der es um alles andere als um Superhelden und um Comics ging. Denn Söder bekräftigte nicht nur sein »staatliches Schutzversprechen« für jüdisches Leben in Deutschland, sondern gab der jüdischen Gemeinschaft zudem noch ein »persönliches Engagement-Versprechen«.

Seit dem 7. Oktober 2023 ist nichts mehr so, wie es war

Nach einem Jahr mit antisemitischen Übergriffen, mit offen gezeigtem Judenhass und israelfeindlichem Aktivismus ist das bitter nötig. Denn seit dem 7. Oktober 2023 ist nichts mehr so, wie es war – auch nicht in Bayern, wo sich die Ratsversammlung in den Räumen der Israelitischen Kultusgemeinde auf Einladung von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch traf.

Zentralratspräsident Josef Schuster blickte in seiner Eröffnungsrede der Ratsversammlung auf ein Jahr zurück, das noch immer im Schatten der Angriffe der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel steht.

»Wenn wir geschlossen auftreten, werden wir aus diesem Tal herausfinden«, sagte Josef Schuster.

»Der 7. Oktober hat Wunden aufgerissen, die nur langsam verheilen, und es gibt zudem einige, die an diesem Heilungsprozess kein Interesse haben, sondern aktiv jüdisches Leben infrage stellen«, betonte Schuster. Es sei eine Entwicklung beschleunigt worden, die sich bereits abgezeichnet hatte. Zudem habe sich eine Querfront von links bis rechts, von einem muslimisch-islamistischen Milieu bis in die Mitte der Gesellschaft gebildet, »die die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens der Gegenwart sowie der Erinnerungskultur in Deutschland infrage stellt«.

Es sei ein Jahr gewesen, so Schuster weiter, das die Arbeit der Vertreter der jüdischen Gemeinschaft »enorm gefordert hat – und diese Zeit ist noch nicht vorbei«. Man habe erlebt, wie notwendig diese Arbeit sei; für die Gemeindemitglieder, aber auch als Vermittler gegenüber der Politik und der Gesellschaft. »Wenn wir geschlossen auftreten und unser Selbstbewusstsein, ja unseren Stolz bewahren, werden wir gemeinsam aus diesem Tal herausfinden.«

Die Auswirkungen des Terrorangriffs auf Israel sind Thema vieler Gespräche

Wie bei der Jewrovision, bei der über 1200 jüdische Jugendliche aus ganz Deutschland zusammenkamen, oder bei der Grundsteinlegung für die Jüdische Akademie in Frankfurt. Und nicht zuletzt auch bei der Verleihung des Leo-Baeck-Preises an Hans-Joachim Watzke, den Vorsitzenden der Geschäftsführung des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Dennoch sind die Auswirkungen des Terrorangriffs auf Israel Thema vieler Gespräche auf der Ratsversammlung.

Auch der erste Gastredner am vergangenen Sonntag, Israels Botschafter Ron Prosor, ging auf die Auswirkungen des 7. Oktober ein. »Dieses Jahr hat uns alle ein paar Dinge gelehrt«, sagte er. Ähnlich wie 49 v.d.Z., als Caesar den Rubikon überschritten hatte, heißt es seit dem »Schwarzen Schabbat«: »Die Würfel sind gefallen.« Man könne nicht wieder zurück.

Juden hätten Angst in der S-Bahn, in der U-Bahn, hätten Angst, Hebräisch zu sprechen. »Das kann so nicht weitergehen«, betonte Prosor. »Die Verantwortung, dass man sicher auf die Straße geht, an die Uni, liegt beim Staat und damit auch bei den Bundesländern.« Ein Satz, gesprochen vor dem Hintergrund der jüngsten Äußerungen der Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik, die betont hatte, dass Juden und Homosexuelle in manchen Teilen der Hauptstadt nicht sicher seien. Eine Äußerung, die Markus Söder kritisierte. Das sei eine »Kapitulation vor Gewalt und eine Kapitulation vor Judenhass«. Jüdisches Leben habe das Recht, sich in Deutschland zu entwickeln.

Der Schutz jüdischen Lebens in Bayern hat Priorität

Der Schutz jüdischen Lebens in Bayern habe Priorität: »Wir müssen nicht nur die Einrichtungen schützen, sondern auch im Netz gegen Hass vorgehen.« Radikalisierungen geschähen nicht »über Nacht«. »Nur zu mahnen, das reicht nicht. Machen ist angesagt. Herzlich willkommen in Bayern«, betonte Söder zum Abschluss seiner Rede, für die er stehende Ovationen erhielt.

Bayerns Ministerpräsident bekräftigte: »Wir stehen zu Israel und zu dem Recht auf Selbstverteidigung.« Der CSU-Politiker sagte: »Ich finde es befremdlich, wenn der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Israel und die Hamas gleichsetzt.« Der Gerichtshof habe sich »massiv selbst beschädigt«. In einer anschließenden Fragerunde stellte Söder auf die Frage eines Delegierten zum jüngsten Beschluss des IStGH klar: »Ich hielte es für absurd, wenn auf deutschem Boden der Regierungschef von Israel verhaftet werden würde.«

Die 92 Delegierten, die in den Hubert-Burda-Saal gekommen waren, diskutierten allerdings nicht nur die großen politischen Themen, sondern befassten sich auch mit Anträgen und der Verabschiedung des Haushalts.
Für die Orthodoxe Rabbinerkonferenz (ORD) sprach zudem Militärbundesrabbiner Zsolt Balla, der seine Rede mit der schockierenden Nachricht über die Ermordung des Chabad-Gesandten Zvi Kogan in Dubai beginnen musste. Balla schickte im Namen aller die »tiefste Kondolenz« an die Familie Kogan.

Traditionell beginnt die Ratstagung am Samstag nach Schabbatende mit einem Abendessen der Delegierten.

Rabbinerin Elisa Klapheck, die Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK), betonte in ihrer Rede vor allem die Notwendigkeit, dass sich das Judentum in aktuelle gesellschaftliche Debatten einbringt. Zudem sei die Lebendigkeit des Judentums eines der zentralen Anliegen.

Traditionell beginnt die Ratstagung bereits am Abend zuvor, am Samstag nach Schabbatende, mit einem Abendessen der Delegierten, das in diesem Jahr von einer Rede des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Carsten Breuer, begleitet wurde.

»Sind wir bereit zu kämpfen? Sind wir bereit, für unsere Demokratie einzustehen?«

Breuer beschönigte nichts, als es um die aktuelle Bedrohung der westlichen und freiheitlich-demokratischen Welt ging. Er fragte: »Sind wir bereit zu kämpfen? Sind wir bereit, für unsere Demokratie einzustehen?« Man müsse heute wieder »um unsere Werte kämpfen«.

Manchmal kommen Freiheit, Dialog und Verständigung auch mit ganz kleinen Gesten. So wie die, die Charlotte Knobloch am Samstagabend beschrieb. Eine Initiative der B’nai B’rith Loge München, die unter dem Motto »Coffee with a Jew« Passanten einlädt, mit Jüdinnen und Juden ins Gespräch zu kommen. »Redet mit uns, nicht über uns! Wir laden dich auf einen Kaffee und ein Gespräch ein!«, heißt es auf dem Instagram-Account der Initiative. Vielleicht kann ein Gespräch nicht schöner beginnen. Die Tasse für den Kaffee könnte Markus Söder bereitstellen.

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