Ein kleines Zeichen der Solidarität gab es bereits vor Beginn des ersten kurdisch-jüdischen Kongresses in Berlin, nämlich in Form eines klingelnden Mobiltelefons. Ali Ertan Toprak griff in seine Tasche, blickte kurz auf das Display und sagte: »Das ist mein Sohn. Er ist sieben Jahre alt. Er trägt übrigens einen kurdisch-jüdischen Namen.« Damit war die angespannte Erwartung der Tagung gelockert, und was dann bis in den späteren Abend folgen sollte – Panels, Diskussionen, Breakout-Sessions –, ist durchaus mit »ein bestens gelungener Anfang« zu beschreiben.
Die Zusammenkunft von Vertreterinnen und Vertretern jüdischer und kurdischer Communitys in Berlin, die von dem Verein WerteInitiatve um Elio Adler organisiert wurde, sollte vor allem ein erstes Vernetzen bieten, ein Kennenlernen und Festigen der gemeinsamen Wertvorstellungen. Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung, Identität – alles das muss nicht diskutiert werden, denn das eint sowohl Jüdinnen und Juden als auch Kurdinnen und Kurden. Aber diese selbstverständlichen Werte sind zunehmend bedroht.
Starker Anstieg antisemitischer Vorfälle
In der breiten Gesellschaft, in kleinen Gruppen, in Vereinen, auf Schulhöfen und in Klassenräumen – der starke Anstieg antisemitischer Vorfälle vor und seit dem 7. Oktober 2023 zeige sich in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Zusammenhängen, betont Shila Erlbaum, politische Referentin beim Zentralrat der Juden, im Panel »Innenpolitik – Gemeinsame Probleme, gemeinsame Lösungen«. Ob bereits im Kindergarten, an der Schule, an der Universität, im kulturellen Bereich, in den Medien – vieles sei mittlerweile »salonfähig« und bleibe »ohne Widerspruch«. Daher brauche man Allianzen, um zu zeigen: Du bist nicht allein.
Auch Cahit Basar, selbst Pädagoge und Vertreter der Kurdischen Gemeinde, kennt Diskriminierungsszenarien aus Schulen, schickt aber voraus: Pädagogen seien generell überfordert mit dem Nahostkonflikt, und »wenn dann die Kinder miteinander streiten oder sich prügeln, dann sind es eben zwei ›Mustafas‹ oder zwei ›Achmeds‹, die sich prügeln, so wie es eben bei ›den Südländern‹ sei oder bei impulsiven Kindern, die unerzogen sind«. Worum es bei dem Streit eventuell auch geht – religiöse, ethnische oder politische Konflikte –, das erfassten die wenigsten Pädagogen und könnten darauf dann auch nicht reagieren. In der Fastenzeit würden Schüler andere Mitschüler, die alevitischen Glaubens oder säkulare Muslime seien, drangsalieren mit der Frage, warum sie nicht fasteten, oftmals seien auch Themen wie Kleidung oder das Verhalten Ursache für Ausgrenzung und Diskriminierung.
Kurdische und jüdische Schüler äußern sich sehr vorsichtig bis gar nicht zu ihrer Herkunft.
Kurdische und jüdische Schüler würden sich daher sehr vorsichtig bis gar nicht zu ihrer Herkunft äußern. »Das ist erschreckend«, sagt Erlbaum. Die Gesellschaft verstehe nicht, dass dies ein Problem für alle sei, wenn man sich verstecken müsse. Davidsterne unterm Pulli, Sportverein-Shirts nicht in der Öffentlichkeit – Teenager und junge Erwachsene müssen in manchen Gegenden traurigerweise aufpassen, wie viel sie von sich preisgeben. Um diesem vorauseilenden Verstecken auch in den kleinsten Anfängen ein starkes Zeichen entgegenzusetzen, pocht Rebecca Schönenbach, Beraterin im Bereich der Terrorismusbekämpfung, von den drei bekannten Maßnahmen — Prävention, Eingreifen und Sanktionen – vor allem auf Sanktionen, »um die latente Feindschaft nicht zum Ausbruch zu bringen«. Täter fühlten sich somit gar nicht erst bestätigt.
Gefragt seien in diesem Punkt die Meldestellen, deren Berichte allerdings auch ernst genommen werden müssten. Lehrer seien gefordert, sie müssten dringend weitergebildet werden. Auch die Eltern eines auffälligen Schülers seien in der Pflicht, denn »ein elfjähriges Kind kommt nicht allein auf die Idee, jemanden anzugreifen, weil er kurdisch oder jüdisch ist«. Erst wenn die Abschreckung groß genug ist, könne man die Frage klären, wie man zusammenleben kann.
Der Staat, so Schönenbach, müsse auch im Kleinen aufmerksam bleiben, wer sich in der Jugendarbeit, beim Sport und in anderen Vereinen engagiert. Denn oftmals würden sich demokratiefeindliche Initiativen unter dem Denkmantel einer offenen und pluralistischen Gesellschaft gegen genau diese einsetzen. »Wie kann es sein, dass die Demokratie Demokratiefeinde fördert?«, fragte Cahit Basar in der von Alina Stiegler moderierten Diskussion. Der Staat müsse doch wissen, mit wem man es in diesem Land zu tun habe.
Veränderung des Nahen Ostens nach dem 7. Oktober 2023
Der erste Kongress ist viel mehr als ein gegenseitiges Versichern. Es geht um ein Kennenlernen. In Gesprächen über die Stuhlreihen hinweg, bei einem Kaffee in der Pause. Neugierig auf den anderen sein und Fragen stellen. Wie Mustafa Kurt es tut. Der Politikwissenschaftler und Sozialarbeiter berichtet, dass er seit den 90er-Jahren in der kurdischen Bewegung aktiv sei. Und er ist in der Linkspartei, wo er klar sage, dass er an der Seite Israels stehe. Einfach sei das nicht immer. Einsam sei er deswegen aber nicht.
Wie sich der Nahe Osten insbesondere seit dem 7. Oktober verändert hat, welche Effekte die Entwicklungen auf Deutschland und Europa haben, darüber diskutierten Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinschaft, Mirjam Rosenstein, Geschäftsführerin des Nahost Friedensforums, und Guy Gilady, Gesandter des Staates Israel, auf dem von Leonard Kaminski moderierten Panel »Vor unserer Haustür: Juden, Kurden und die deutsche Außenpolitik«.
»Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 muss jedem klar sein, wer die Hamas ist.«
ali ertan toprak
Es war ein Panel, das seinesgleichen suchte, das – wie auch die Diskussionsrunde zuvor – von Applaus unterbrochen wurde und von Sätzen lebte, die keinerlei Erklärungen bedürfen. Wie dem von Ali Ertan Toprak: »Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 muss jedem klar sein, wer die Hamas ist.« Oder dem von Mirjam Rosenstein: »Das Bild, das sich in Frankreich und in Deutschland für die Juden zeichnet, ist ein fatales.« Das müsse man auch in der Innenpolitik berücksichtigen, damit sich Bürger, egal welchen Glaubens, hier wieder wohlfühlen und in einem Miteinander leben können, sagte Rosenstein.
Guy Gilady hob vor allem die Bedeutung Israels für die Region hervor und betonte: »Wenn die Hamas ihre Waffen niederlegt, ist Frieden. Wenn Israel seine Waffen niederlegt, hört es auf zu existieren.« Seine Werte zu ändern, das sei keine Option für die einzige Demokratie im Nahen Osten.
Für die jüdische wie auch für die kurdische Community ist dieses erste Treffen eine Möglichkeit zu sehen, dass »freiheitlich-demokratische Grundwerte nur dann als gemeinsame Basis für ein vielfältiges Zusammenleben funktionieren, wenn sie auch aktiv gelebt werden«, hieß es im Fazit der Veranstalter.
Eine Schlussfolgerung allerdings kam noch inmitten der Konferenz – Rebecca Schönenbach erzählte von einem Podcast, in dem sie ein kurdisches Sprichwort gehört hatte, das lautete: »Die Kurden haben nur die Berge als Freunde.« Mit diesem Kongress haben die Kurden auch die Juden als Freunde.