Lernen

Frag’ die Rabbis

Diskussionsbedarf: Wie umgehen mit der Hamas? Foto: Mario Bücker

Schultern hochziehen und in den Schal atmen, nur so erreicht man am Wochenende die Synagoge in Köln. Am Eingang hängt schon das Zeichen. Für Nichteingeweihte ist sie eher unauffällig, die Krone mit drei Zacken.

Doch die Teilnehmer erkennen es sofort. Es ist das Logo des 3-Rabbiner-Seminars, einem Zusammenschluss der Rabbiner Julian Chaim Soussan aus Frankfurt, Avichai Apel aus Dortmund und Jaron Engelmayer aus Köln. Eine Krone, die für drei Tage voller Gespräche und Gedanken steht.

Wärme Hinein durch den Sicherheitseingang, rein in die Wärme. Das helle Foyer der Synagoge schluckt alle Geräusche. Es ist still. Die großen Steinmauern strahlen Ruhe aus. Hier und da klebt ein Plakat der Gemeinde. Und da, in der Nähe zum Gebetsraum, huschen zwei junge Frauen mit schwarzen Haaren, knielangen Röcken und Mützen vorbei. Sie sprechen Russisch miteinander, fragen sich, ob das wohl der richtige Eingang zum Abendgebet ist.

Eine von ihnen zieht die schwere Tür auf, sie schauen vorsichtig hinein und sehen: nur Männer. Dann müssen sie wohl eine Etage höher. Auch das ist typisch für das 3-Rabbiner-Seminar – die Frage: Welche Sitzordnung herrscht während des Gebets? Denn viele der rund 100 Teilnehmer sind mit den Riten und Regeln des Judentums wenig vertraut.

»Das zeigt sich besonders beim Gebet«, weiß Noa Fischer. Doch beim Seminar sind alle Programmpunkte freiwillig. Das bedeutet auch, dass hier und da mal jemand fehlt. Die 41-Jährige ist zwar etwas älter als die angesprochene Zielgruppe der 20- bis 35-Jährigen. Aber ihre enthusiastische Art kaschiert diesen Fakt. Sie trägt ein schwarzweißes langes Kleid. Ihre Ohren werden von glänzenden Ringen geschmückt, das Haar ist kunstvoll zusammengesteckt. Auch die anderen Teilnehmer sind festlich gekleidet. Die Frauen tragen Röcke und Kleider, die Männer Anzüge und Krawatten.

Tradition Noa war 2007 das erste Mal beim Seminar. Seitdem fährt sie immer wieder zu den großen und kleinen Veranstaltungen, um zu lernen, sich zu vernetzen und zu diskutieren. »Manchmal sind es auch einfach Alltagsfragen, die ich sonst mit niemandem besprechen kann. Zum Beispiel, wie ich an den Feiertagen frei bekomme. Soll ich meinem Chef einfach die Wahrheit sagen oder es eher geheim halten und anders lösen?«, sagt sie. Diesen Erfahrungsaustausch gebe es eigentlich nur hier. »Da sind wir mal unter uns.«

Sie schätzt das Gefühl, unter ihresgleichen zu sein, sicher und keinen Vorurteilen ausgesetzt. Denn Antisemitismus ist im Alltag immer präsent. Die Anschläge auf die Satiriker von Charlie Hebdo und die Kunden im jüdischen Supermarkt in Paris haben diesen Missstand noch einmal schmerzlich klar gemacht. »Es wurden Menschen umgebracht, einfach aus dem Grund, dass sie Juden sind«, sagt Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Podiumsdiskussion mit dem Titel »Humus statt Hamas?«.

Nahostkonflikt Die Fragen, mit denen sich die Teilnehmer das Wochenende über beschäftigten waren zum Beispiel, ob man den Staat Israel mit dem Judentum gleichsetzen kann, was der Nahostkonflikt mit dem Alltag in Deutschland zu tun hat und was eigentlich den Islam mit dem Judentum verbindet.

Den Gemeinsamkeiten der Religionen auf die Spur zu gehen, das hat Rachel Jacobsohn besonders gefallen. »Ich habe gelernt, dass den Islam und das Judentum eigentlich mehr verbindet, als ich erwartet hatte«, sagt die 30-Jährige. »Eine Teilnehmerin hat sogar erzählt, dass ihre Großmutter als Jüdin im Irak gelebt hat. Und bis zur Staatsgründung Israels habe es keine Probleme gegeben. Das war schön zu hören«, meint die Hamburgerin. Denn oft würde man sich nur auf die Konflikte konzentrieren. In den Gemeinsamkeiten könnte man vielleicht einen Ansatz für Lösungen und Frieden finden.

Doch davon ist die Realität weit entfernt. Im Nahen Osten herrscht Krieg, auch wenn der Gazastreifen zurzeit weniger für Schlagzeilen sorgt. In Syrien und im Irak wird gegen die IS-Miliz gekämpft. Was hat das mit uns zu tun? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Teilnehmer am Freitag.

Sie sollten sich vorstellen, forderte Rabbiner Soussan die Teilnehmer auf, in einer Kneipe zu sitzen, wo sich ein paar Leute lauthals und politisch unkorrekt über Israel aufregen. Wie soll man reagieren? Sich einmischen oder sie reden lassen?

Widerwort
»Gar nicht so einfach«, meint der 34-jährige Alex Istiborovich. »Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass man abwägen muss, in welchem Zustand die Leute sind. Total betrunkenen Menschen kann man keinen Vortrag halten. Aber es gibt Situationen, da muss man aufstehen und ein Widerwort geben«, so der Kölner, der in Kiew geboren wurde. Es komme eben ganz darauf an – wie so oft im Leben.

»Schwarz-weiße Antworten gibt es leider nicht«, meinte auch Rabbiner Engelmayer. Auch wenn er die Kölner Gemeinde jetzt verlässt, wird er die Seminare von Israel aus weiterhin begleiten. Ihm ist wichtig, dass junge Juden eine Plattform haben, bei der sie offen über alles sprechen können.

Schabbatruhe »Wir legen Wert darauf, dass die Themen zeitgemäß sind und die Lebenswirklichkeit der Studenten treffen«, sagte er. Im Vordergrund stünden aber die Religion und damit auch die jüdische Sichtweise. »Deswegen bitten wir unsere Teilnehmer, in der Synagoge ihre Handys während des Schabbats nicht zu benutzen.« Was außerhalb geschieht, ist freigestellt.

Die Teilnehmer schätzen diese Freiheit. »Das ist für uns auch ein Treffen mit Freunden«, sagt Alex. »Das Wochenende fühlt sich an wie eine Auszeit vom Alltag. Wir sprechen intensiv miteinander, wir essen und lachen. Die Stimmung ist wirklich gut.«

Denn sobald die ernsten und emotionalen Gespräche vorbei sind, schalten die Teilnehmer um. Sie quatschen miteinander, bringen sich auf den neuesten Stand. Viele kennen sich bereits von anderen Seminaren und freuen sich über die intensive Zeit miteinander. Hier und da fällt ein Kompliment zum schönen Kleid oder zum eleganten Anzug. Man ist einfach unter sich – und es ist Schabbat.

Jom Haschoa

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