Mein Vater war der Dirigent Heribert Beissel und er hatte ein Faible für alte Rheinschlösser. In einem solchen wuchs ich in der Nähe der damaligen Bundeshauptstadt Bonn dann auch auf. Es sah wunderschön aus, war aber undicht, weshalb es gelegentlich hereinregnete. Neben seinen Konzerten mit der Klassischen Philharmonie Bonn und anderen Orchestern stellte er auch bei uns viele Hauskonzerte auf die Beine.
Ich bin also mit klassischer Musik groß geworden und durchlief als Kind die typische »Laufbahn« der Musikerziehung: zuerst Klavier, dann Geige. An Letzterer unterrichtete mich eine der besten Lehrerinnen, zu der ich immer nach Köln fahren musste. Leider erwies ich mich als sehr talentiert, was zur Folge hatte, dass ich, ehe ich mich versah, im Orchester der Klassischen Philharmonie Bonn saß.
Eigentlich wollte ich bloß für mich Musik machen, einfach nur Spaß haben. In der Pubertät habe ich mir dann ein Schlagzeug gewünscht – und es auch bekommen. Aber es dauerte nicht lange, da saß ich schon wieder im Orchester, spielte die Triangel und das Becken in der Carmina Burana und in Beethovens Neunter. Mein Vater, der alte Fuchs, hatte jedes Mittel genutzt, um mich da einzubauen.
Rückblickend finde ich es gut, aber damals wollte ich das alles nicht. Also suchte ich mir andere musikalische Betätigungsfelder und spielte in einer Schülerband Grunge und Punkrock. Als ich etwas älter war, fand ich den Weg zur elektronischen Musik und habe lange als DJane gearbeitet, sowohl in einem Kölner Klub als auch international von Großbritannien über Griechenland bis nach Thailand.
Heute habe ich noch mit Freunden ein kleines Musikprojekt
Da habe ich den guten alten dreckigen Techno aufgelegt. Es war die Musik, bei der ich mich frei entfalten konnte. Der Beat im Techno ist »4-to-the-floor«, also ein klarer Vierviertel-Takt, und lässt sehr viel Interpretationsspielraum. Man kann seine ganzen Emotionen – egal, welche das gerade auch sind – darin integrieren, viel feiern und Spaß haben. Das war eine wilde Zeit.
Heute habe ich noch mit Freunden ein kleines Musikprojekt, es heißt »Schwarzbunt«, da erstelle ich die Vocals. In den vergangenen Jahren habe ich für »Radio One Ibiza« auch »Mixe« gemacht. Die nimmt man zu Hause auf und verschickt sie als Datei an den Sender. Jedenfalls stehe ich mir mit meinen 46 Jahren nicht mehr nächtelang in den Klubs die Beine in den Bauch.
Wir durften bei den Dreharbeiten eines Films zusehen. Da wusste ich: Das will ich auch!
Was ich schon immer mochte, sind Rollenspiele. Deshalb war ich an der Schule in jeder Theater-AG, wusste aber lange nicht, dass man auch eine Schauspielschule besuchen kann. So habe ich nach dem Abitur erst einmal angefangen, in Bonn Astronomie und Physik zu studieren – ursprünglich wollte ich Astrophysikerin oder Tierärztin werden. Inzwischen aber ging es nur noch darum, die Zeit zu überbrücken, weil ich kurz vor dem Abitur ein entscheidendes Erlebnis hatte.
Ich war mit einer Freundin im Ferienhaus meiner Familie im Wienerwald. Nachdem wir in Wien ein bisschen gefeiert hatten, fuhren wir angeschickert die Serpentinen hinauf, als wir von einem Typen mit Warnweste und Kelle angehalten wurden. Das war aber glücklicherweise kein Polizist, sondern der Set-Aufnahmeleiter einer Filmproduktion, der die Straße absperren musste. Meine Freundin und ich sagten, wenn wir schon halten müssen, wollen wir auch bei den Dreharbeiten zusehen.
Es wurde uns gestattet, und wir durften bei Aufnahmen des Kinofilms Die drei Posträuber zusehen. Was ich sah, hat mich derart fasziniert, dass ich wusste: Das will ich auch! Noch während ich an der Bonner Uni eingeschrieben war, spielte ich bei verschiedenen Schauspielschulen vor. Von der Fritz-Kirchhoff-Schule in Berlin wurde ich schließlich aufgenommen. Also packte ich mein Köfferchen und zog von der ehemaligen deutschen Hauptstadt in die neue.
Schon während meiner Ausbildung habe ich erste Theatererfahrungen gemacht
Bonn hieß nicht ohne Grund »Bundeshauptstadt ohne nennenswertes Nachtleben« – das war in Berlin natürlich anders. Für mich als junger Mensch war diese Stadt wie das gelobte Land. Schon während meiner Ausbildung habe ich erste Theatererfahrungen gemacht, so auch am Theater am Dom in Köln. In dieser Zeit habe ich den Schauspieler Tom Gerhardt kennengelernt, der mit der Fernsehserie Hausmeister Krause erfolgreich war und den ich schließlich geheiratet habe. Nach der Schauspielschule ging ich zurück nach Köln und drehte mit meinem Mann den Kinofilm Pura Vida Ibiza.
Es kamen verschiedene Serienrollen auf mich zu, und ich spielte in Düsseldorf am »Theater an der Kö«. Daneben habe ich in jener Zeit eben auch als DJane gearbeitet. Von Tom Gerhardt bin ich inzwischen geschieden, aber wir sind nach wie vor gute Freunde. Kurz darauf bin ich wieder nach Berlin zurückgekehrt, in die Stadt, die ich sehr vermisst hatte. Hier lebe ich den Alltag vieler Schauspieler, gehe zu Castings, von denen mal eins klappt oder eben auch nicht. Aktuell synchronisiere ich eine Menge, habe hin und wieder ein paar Drehtage, und es sind einige Anfragen auch noch offen.
Ich habe einen 13-jährigen Sohn, wobei ich sagen muss, dass dessen Vater und ich zwar nicht zusammenleben, bezüglich der Erziehung unseres Sohnes aber ein gutes Team sind. Nach dem Tod meines Vaters ist meine Mutter vor drei Jahren nach Berlin gezogen, und sie unterstützt mich, wo sie nur kann. Sie ist gebürtige Wienerin, hat Psychologie studiert und hatte jahrelang eine eigene Praxis. Obwohl meine Schwester und ich auf Wunsch meines Vaters getauft wurden und als katholische Mädchen aufwuchsen, wusste ich immer schon, dass meine Mutter einen jüdischen Familienhintergrund hat.
Meine Großmutter habe ich noch gekannt. Sie hat ihre jüdische Herkunft lange verschwiegen.
Sie besaß viel Literatur über das Judentum, aber auch historische Bücher über Auschwitz und die Schoa. Wir haben dann dies und das gefragt, und sie erzählte von ihrer Großmutter. Sie war mit einem vermögenden Wirtschaftsprüfer in Wien verheiratet, der nach dem Einmarsch der Nazis für seine Frau falsche Papiere besorgt hatte. Meine Großmutter habe ich noch gekannt.
Sie hat ihre jüdische Herkunft lange verschwiegen. Erst als mein Großvater starb, sprach sie darüber. Da war ich zehn Jahre alt. Bei meiner Mutter aber war die jüdische Herkunft nie ein Tabu. Meine Schwester und ich haben uns in der katholischen Kirche auch überhaupt nicht wohlgefühlt. Ich ging schon zur Firmung nicht mehr hin. Mit Erreichen der Volljährigkeit bin ich sofort ausgetreten.
Damals wusste ich nicht, dass ich das auch schon mit 14 Jahren hätte tun können. Aber dass ich proaktiv den Weg zur Religion meiner Vorfahren mütterlicherseits gesucht habe, geschah eigenartigerweise erst durch meinen Sohn. Auch ihm hatte meine Mutter immer vom Judentum erzählt, und er war sehr neugierig. Schon ganz früh hat mein Sohn beschlossen, dass er Jude sein möchte, was mich wirklich erstaunte. Er hat auch schon bald fleischige und milchige Speisen getrennt.
Endlich waren wir dort angekommen, wo wir hingehören
Als ich mit ihm während eines Städtetrips nach Prag durch das ehemalige jüdische Viertel lief, wollte er unbedingt eine Kippa haben. Nachdem ich ihm eine gekauft hatte, lief er mit der Kippa durch Prag und genoss das koschere Essen in den jüdischen Lokalen. Diese Identifikation meines Sohnes mit dem Judentum war dann auch für mich ausschlaggebend, in der Gemeinde um einen Vorstellungstermin zu ersuchen.
Wir waren bei Rabbiner Jonah Sievers, und ich habe ihm die Familiengeschichte vorgetragen. Auf dessen Einladung besuchten wir die Gottesdienste in der Synagoge Pestalozzistraße. Was wir dort erlebten, traf uns mitten ins Herz. Schon während der Corona-Pandemie hatte ich, um die Zeit zu nutzen, privat Hebräisch-Stunden genommen. Auf Vorschlag des Rabbiners wurde ich von der langjährigen Religionslehrerin der Gemeinde unterrichtet. Um meinen Sohn hat sich dann der wunderbare Kantor Isidoro Abramowicz gekümmert, und in diesem Frühjahr konnte er seine Barmizwa feiern.
Das zu erleben, war für mich ein sehr emotionales Erlebnis. Nicht nur, weil ich sehr stolz darauf war, wie er das gemacht hat, sondern weil ich ein Gefühl der Erleichterung und einer ganz tief empfundenen Dankbarkeit hatte. Endlich waren wir dort angekommen, wo wir hingehören. Für mich war das einer der wichtigsten Tage in meinem Leben. Inzwischen ist die Synagoge Pestalozzistraße auch für meine Mutter zu einer Heimat geworden.
Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg