Omanut

Einmalig in Europa

Das neue Gesetz war keines von denen, die Schlagzeilen produzieren. Am 30. Mai 2017 standen andere Themen auf den Titelseiten der deutschen Printmedien, nicht das neue Bundesteilhabegesetz. Dessen »Förderrichtlinie zur Durchführung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung« (EUTB) war an jenem Tag im Bundesanzeiger veröffentlicht worden.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales will damit »niedrigschwellige Beratungsangebote zur Stärkung der Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen« auf den Weg bringen. Mehr als ein Jahr später informierte nun die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) in den Räumen des Kunstateliers Omanut in Berlin darüber, dass sie als erster jüdischer Träger bundesweit den Zuschlag für eine solche Förderung bekommen hat.

tandem Omanut war nicht zufällig als Ort für den kleinen Empfang gewählt worden. Obgleich die Trägerschaft der neuen Beratungsstelle bei der Berliner Sektion der ZWST liegen wird, so wird das Atelier der Ort des Geschehens sein – dort also, wo auch bisher schon überwiegend jüdische Menschen mit Handicap eine kreative Betätigung finden. Mit der neuen Beratungsstelle wendet man sich jedoch keineswegs exklusiv an einen jüdischen Personenkreis. Vielmehr steht diese jedem behinderten Menschen zur Verfügung, der Beratungsbedarf hat.

»Da unser Personenkreis bisher hauptsächlich aus Leuten mit Migrationshintergrund besteht, werden natürlich auch Menschen mit Migrationshintergrund und deren spezifische Probleme ein Schwerpunkt für uns sein«, stellt die Leiterin von Omanut, Judith Tarazi, hierzu fest. Dabei werden einige der Omanut-Mitarbeiter mit Behinderung zum Einsatz kommen, die als Peer-to-Peer-Berater geschult werden – eine Beratung auf Augenhöhe zwischen Menschen mit Behinderung.

Die behinderten Peer-Berater geben entweder allein Auskunft, wenn sie sich das zutrauen, oder sie helfen in einer Art Tandem, bei dem ein hauptamtlicher Berater gemeinsam mit einem Peer-Berater das anleitende Gespräch durchführt. Dabei ist an verschiedene Beratungsformen gedacht. Wer es nicht schafft, ins Atelier zu kommen, kann sich telefonisch Auskunft einholen, möglich ist dies auch per E-Mail oder Chat. Darüber können die Mitarbeiter den Hilfesuchenden auch zu Hause aufsuchen, entweder einmalig oder über mehrere Monate hinweg.

Ethik Das Motiv seines Verbandes, sich um eine solche EUTB zu bewerben, erklärt Günter Jek, Leiter des Berliner ZWST-Büros, mit einer »religiösen Ethik als Leitbild«. Auf dieser Grundlage erbringe die ZWST schon seit geraumer Zeit Leistungen der allgemeinen Daseinsvorsorge, und zwar für alle Zielgruppen, die sich durch das Angebot angesprochen fühlen. So gestalte man etwa Flüchtlingsprojekte oder – zusammen mit einer israelischen Partnerorganisation – Aktivitäten für traumatisierte Frauen und von sexueller Gewalt betroffene Menschen.

Allerdings versteht Judith Tarazi das Beratungsprojekt aus Sicht von Omanut keineswegs nur als selbstlos. Vielmehr verspricht sie sich durch die räumliche Nähe auch Synergieeffekte. »Leute aus dem Atelier profitieren von der Beratungsstelle, und umgekehrt können Hilfesuchende, die hierherkommen, auch vom Atelier profitieren«, sagt die Leiterin.

Vernetzung Zudem sehe sich Omanut in der Lage, etwas einzubringen, was nicht zu unterschätzen sei: nämlich eine gute Vernetzung mit Sozialarbeitern, Psychologen, anderen Beratungsstellen und der Fachstelle für Migration und Behinderung der Arbeiterwohlfahrt. Somit bildete die Bewerbung der ZWST als Träger mit Omanut als Ort mit qualifizierten Beratern von Anfang an ein ideales Tandem.

Umso unverständlicher, dass die Bewerbung als EUTB-Berater während des Verfahrens auf Bundesebene nicht durchgängig auf Gegenliebe stieß. »Die präferierten Kandidaten konnten ihre Projekte über eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragte Agentur abwickeln«, berichtet Günter Jek. »Das war nicht einfach, denn die Konkurrenzsituation war durchaus groß. Zum Glück hatten wir das Team der Berliner Sozialsenatorin auf unserer Seite.«

Warum das so war, erläuterte Staatssekretär Alexander Fischer am Rande der Eröffnungsveranstaltung: »In dieser Stadt leben ja Menschen aus ganz verschiedenen Kulturkreisen und ganz unterschiedlichen Religionen. Nun wendet sich dieses Projekt zwar an alle, aber eben auch speziell an behinderte Menschen mit einem jüdischen Einwanderungshintergrund.« Dieser Ansatz habe ihn überzeugt. »Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt. Dass es nun geklappt hat, ist für mich ein Anlass zur Freude!«

Relevanz Zu Beginn seines Grußwortes vor verschiedenen Vertretern anderer Beraterorganisationen, dem Berliner Staatssekretär Fischer und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sagte ZWST-Präsident Abraham Lehrer, dass er zunächst einmal nachlesen musste, worum es sich bei einer EUTB überhaupt handelt – ein Geständnis, das bei den anwesenden Gästen für Heiterkeit sorgte. Bei dieser Lektüre, so Lehrer, habe er die Bedeutung solcher Projekte für die Gesellschaft erkannt.

erfolg Es sei ein Erfolg, dass sich mit der zugesagten Förderung nunmehr auch eine jüdische Einrichtung um jene Menschen kümmern könne, die besonderer Hilfe bedürfen, sagte Lehrer. Seine Recherchen hätten zudem ergeben, dass in den Räumen von Omanut nun wahrscheinlich einmalig in Europa eine Beratung von Behinderten für Behinderte stattfinden wird. Dabei aber solle und dürfe man nicht stehen bleiben. Vielmehr sei es wünschenswert, in absehbarer Zeit zwischen München und Hamburg weitere solcher Beratungsstellen in ZWST-Trägerschaft einzurichten. Zunächst aber startet man in Berlin. Und bereits einen Tag nach dem feierlichen Empfang lud das Kunstatelier Omanut zu einem Tag der offenen Tür.

www.kunstatelier-omanut.de

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025