20. November

»Ein Grundgesetz für Kinder«

Ein Kind darf so sein, wie es ist. Es muss nicht so sein, wie andere es haben wollen. Foto: imago

Vor über 100 Jahren, es war 1914, verabschiedete sich der polnisch-jüdische Pädagoge und Kinderarzt Janusz Korczak schweren Herzens von den Kindern in seinem Waisenhaus in Warschau.

Der Erste Weltkrieg hatte begonnen, und er musste als Soldat an die Front. Jetzt lag er in irgendeinem Schützengraben. Kugeln flogen ihm um den Kopf, und es war – was sollte man anderes erwarten – einfach schrecklich. Janusz Korczak hatte Angst. Gegen diese Angst wollte er anschreiben, denn er war Journalist und Schriftsteller.

Janusz Korczak notierte Gedanken in das kleine Heft, das er immer bei sich trug. Er wollte sich nicht durch einen Krieg in seinen Überlegungen unterbrechen lassen. Er füllte Heft um Heft mit seinen Ideen, wie man Kindern gerecht wird. Und so entstand das Buch Wie man ein Kind lieben soll. 1919 ist es gedruckt worden. Was da im Kapitel »Das Kind in der Familie« zu lesen steht, klingt irgendwie revolutionär – an ein paar Stellen auch ein bisschen seltsam.

Recht »Ich fordere«, schrieb Janusz Korczak, »... ein Grundgesetz für das Kind«. Beinahe vorsichtig fügte er hinzu: »Vielleicht gibt es noch andere – aber diese drei Grundrechte habe ich herausgefunden«. Weil Janusz Korczak schon den Kleinsten eigene Erfahrungen zugestehen will, nennt er sein erstes Grundrecht: »Das Recht des Kindes auf seinen Tod«. Das klingt sehr dramatisch. Korczak meinte damit, dass sich ein Kind nur dann selbst entdecken kann, wenn es die Welt frei und selbstbestimmt erkunden kann, ohne dass die Erwachsenen ihm dabei Vorschriften machen: »Aus Furcht, der Tod könne uns das Kind entreißen, entziehen wir es dem Leben«, schrieb er.

Zweitens forderte Janusz Korczak »das Recht des Kindes auf den heutigen Tag«. Das heißt: Heute ist heute! Vermasselt uns nicht den schönen Moment, den wir gerade erleben, für irgendeine vielversprechende Zukunft! Schließlich lautete das dritte Grundrecht des Janusz Korczak: Ein Kind darf so sein, wie es ist. Es muss nicht so sein, wie andere es haben wollen.

70 Jahre später, am 20. November 1989, hat die Vollversammlung der UN, der Vereinten Nationen (das sind Vertreter von fast allen Ländern, die es auf der Welt gibt), die Kinderrechtskonventionen beschlossen.

Dieser Tag gilt seitdem als Tag der internationalen Kinderrechte. Die Grundrechte klingen in den internationalen Kinderrechtskonventionen zwar etwas anders als die, die Janusz Korczak 1919 gefordert hatte. Und es sind auch nicht nur drei Grundrechte wie bei Korczak, sondern insgesamt 54 Artikel zum Wohle des Kindes.

UN Die internationalen Kinderrechtskonventionen fordern den Schutz vor Diskriminierung, das Recht auf Gesundheit, Bildung, Freizeit, auf eine eigene Meinung, gewaltfreie Erziehung und Privatsphäre – was bedeutet, dass es Bereiche gibt, die Erwachsene nichts angehen. Alle Länder der UN (außer den USA), auch Deutschland, haben die Kinderrechtskonventionen unterzeichnet. Diese Länder garantieren Kindern wichtige Rechte.

Auch den Flüchtlingskindern! Wir sehen zurzeit in den Nachrichten Bilder von Kindern und Jugendlichen, die nach einer langen und gefährlichen Flucht in Deutschland ankommen. Viele von ihnen leben jetzt in Heimen, Zelten und Turnhallen. Wie können ihre Rechte in dieser Situation bewahrt werden? Tatsächlich fordert UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, die deutschen Behörden auf, den Kinderrechtskonventionen gerecht zu werden. Kümmert man sich genug um die Privatsphäre der Kinder, ihre Bildung, ihre Gesundheit? Werden sie ausgegrenzt? Und kennen sie ihre Rechte überhaupt?

In Janusz Korczaks Waisenhaus wären die 54 Artikel wahrscheinlich ans Schwarze Brett genagelt worden (übrigens auch eine Erfindung von ihm). Und vielleicht hätten alle gemeinsam dafür demonstriert, dass die Kinderrechte auch ins deutsche Grundgesetz kommen. Erst dann nämlich kann man sie wirklich einfordern!

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025