Karneval

Dreimal jeck

Der Toleranzwagen von Christen, Juden und Muslimen beim Rosenmontagszug will ein Zeichen für Vielfalt setzen. Foto: dpa

»Es gibt auch Muslime, die gerne Raki und Efes trinken.« So konterte Ataman Yildirim von den »engagierten Muslimen im Rheinland« bei der Pressekonferenz eine Bemerkung von Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

Szentei-Heise hatte zuvor etwas flapsig bemerkt: »Wir werden oft gefragt, wie wir als Zusammenschluss von Juden, Christen und Muslimen mit dem Thema Alkohol im Karneval umgehen. Das Problem ist gelöst, die kriegen keinen! Für uns bleibt dann halt mehr übrig.«

Die Chemie zwischen den beiden stimmt, das wurde nicht nur bei dieser »interreligiösen Problemlösung« deutlich. Der Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf, Thomas Geisel (SPD), war zur Ankündigung des diesjährigen gemeinsamen Karnevalswagens erschienen. Auch Walter Schuhen, Brauchtumsmanager der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, sowie Heinrich Fucks und Frank Heidkamp von der evangelischen und der katholischen Kirche waren bei der Präsentation dabei.

TOLERANZWAGEN Zum dritten Mal nimmt die Jüdische Gemeinde der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt am Rosenmontagszug teil. Damit ist man den Kölnern eindeutig voraus. Und auch in diesem Jahr setzen Juden, evangelische und katholische Christen sowie Muslime wieder ein Zeichen der Toleranz mit einem gemeinsam gestalteten Wagen.

Zum dritten Mal nimmt die Jüdische Gemeinde der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt am Rosenmontagszug teil.

Szentei-Heise rief die Besonderheit dieser interreligiösen karnevalistischen Tradition in Erinnerung: Als er vor drei Jahren Jacques Tilly, international renommierter Bildhauer und Gestalter von politisch-satirischen Motivwagen aus Düsseldorf, wegen seines Mutes und demokratischen Engagements gegen Antisemitismus ansprach und mit Erstaunen zur Kenntnis nahm, dass Heinrich Heine beim Zug in Düsseldorf mitfuhr, fragte er seinen Freund Tilly spontan: »Warum klauen die uns unseren Heine? Sollen wir Karneval auch mitmachen?« »Tolle Idee«, entgegnete ihm Tilly: »Aber ich mache den Wagen!«

Damals traf die Idee im Vorfeld beim Gemeindevorstand noch auf eine gewisse Skepsis: »Dann mach mal!«, lautete das Credo. 2018 feierte die Gemeinde mit einem eigenen Wagen. Auf diesem befand sich ein liegender und schreibender Heinrich Heine – immerhin einer der bedeutendsten Bürger Düsseldorfs.

Heute sei ihr gemeinsamer Auftritt mit 32 Teilnehmern auf dem Karnevalswagen ein riesiger Erfolg, gerade in Zeiten wachsender Bedrohung, zunehmenden Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit. Einer der acht eigenen Plätze auf dem Wagen sei für Landtagspräsident André Kuper (CDU) reserviert.

Die Teilnahme der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf am Zug fand dann auch internationale Aufmerksamkeit. Als er auf das diesjährige Motto »Toleranzwagen 2020« zu sprechen kommt, wird Szentei-Heise nachdenklich: »Die Wirklichkeit hat das Motto eingeholt.« Er sei froh, dass sich auch Muslime an dem Unternehmen beteiligten.

SENSATION Die Teilnahme des erst kürzlich gegründeten Karnevalsvereins »Orient-Okzident-Express – engagierte Muslime im Rheinland« ist eine kleine Sensation: Es ist der erste von einem Muslim gegründete Karnevalsverein überhaupt.

»Als ich den Düsseldorfer Karneval das erste Mal erlebte, fühlte ich mich wie im Paradies auf Erden.« Ataman Yildirim

Yildirim, Vorsitzender des Vereins und im Hauptberuf Sozialarbeiter im Fachdienst Migration und Integration bei der Arbeiterwohlfahrt, begründet dies mit seinem Umzug ins Rheinland. »Als ich 2013 aus Herten im Ruhrgebiet ins Rheinland gezogen bin, kannte ich den Karneval nur aus dem Fernsehen«, sagt der Sozialpädagoge.

»In der Moschee habe ich oft gehört: Im Himmel ist es bunt, es wird überall gefeiert. Als ich den Düsseldorfer Karneval das erste Mal erlebte, fühlte ich mich wie im Paradies auf Erden«, schwärmt Yildirim.

Er wolle gemeinsam ein Zeichen gegen Antisemitismus und Homophobie setzen. Sein Karnevalsverein sei nicht ausdrücklich muslimisch und stehe allen Interessierten offen. »Wir sind für alle offen, die ein offenes Herz haben«, sagt Yildirim. Ziel sei, »gemeinsam jeck zu sein.«

Berlin

Unter die Haut

Der Künstler Gabriel Wolff malt, formt und tätowiert »jüdische Identität

von Alicia Rust  15.06.2025

Porträt der Woche

Zwischen den Welten

Ruth Peiser aus Berlin war Goldschmiedin, arbeitete bei einer Airline und jobbt nun in einer Boutique

von Gerhard Haase-Hindenberg  15.06.2025

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Beschuldigter bittet um Entschuldigung

Am 5. April 2024 war ein Brandsatz gegen die massive Tür des jüdischen Gebetshauses in der Leo-Trepp-Straße geworfen worden

 11.06.2025

Erinnerung

731 Schulen erinnern an Anne Frank

Der Aktionstag findet seit 2017 jährlich am 12. Juni, dem Geburtstag des Holocaust-Opfers Anne Frank (1929-1945), statt

 11.06.2025

Grand Schabbaton

Eine 260-köpfige Familie

In Potsdam brachte der»Bund traditioneller Juden« mehrere Generationen zusammen

von Mascha Malburg  11.06.2025