Auftritt

Die wundersame Wandlung des Csanád Szegedi

Predigte früher Hass und jetzt Moral: der jüdische Ungar Csanád Szegedi Foto: Gregor Zielke

Bis vor Kurzem Antisemit, jetzt toratreuer Jude: Alle Augen sind auf Csanád Szegedi gerichtet. Zunächst ist der Abgeordnete des Europaparlaments und ehemalige stellvertretende Vorsitzende der rechtsextremen Jobbik-Partei auf einer großen Leinwand zu sehen, in einem israelischen TV-Beitrag, der zum Auftakt des Jugendkongresses in Berlin gezeigt wird: ein begabter Hetzer, der sich gegen »jüdische Einflüsse« wendet. »Wir oder die«, ruft der Redner. Sein rhetorisches Talent ist offensichtlich auch für Zuhörer, die kein Ungarisch verstehen.

Gebannt verfolgt das Publikum eine fast unglaubliche Entwicklung: Aus der eigenen Partei wird der Rechtsextremist mit Recherchen über seine jüdischen Wurzeln konfrontiert und erpresst. Schließlich zeigt der Film, wie Szegedi selbst nachforscht und entdeckt, dass seine Großmutter Auschwitz überlebt hat, während ein großer Teil der Familie von Deutschen ermordet wurde.

Nationalist Großmutter und Mutter hatten ihr Judentum aus Angst vor Verfolgung verheimlicht; geprägt wurde der heute 32-jährige Szegedi vor allem von seinem Vater, einem Nationalisten und Anhänger eines »Groß-Ungarn«. »Du hättest Bauingenieur oder Rechtsanwalt werden können«, beklagt sich die Mutter in dem TV-Beitrag: »Warum musstest du ausgerechnet ein rechtsextremer Politiker werden?«

Dann betritt Csanád, der die Jobbik-Partei 2012 verließ und sich jetzt mit jüdischem Vornamen Dovid nennt, selbst die Bühne. Nach einem solchen Video habe er »einen gewissen Nachteil aufzuarbeiten«, sagt der Ungar ironisch, um zu seinem Besuch am Berliner Holocaust-Mahnmal überzuleiten. Das Judentum sei wie eine Blume mit vielen Dornen, aber im Zentrum der Blume stehe, so übersetzt Dolmetscherin Flora Tree, »das absolute Licht – die Tora«. Nicht einmal seine Großmutter, heute 94, sei bereit gewesen, mit ihm über ihr Judentum zu reden.

In seiner Verwirrung habe er einen jungen Chabad-Rabbiner in Budapest konsultiert. Nun fühle er sich in der Synagoge und in Israel zu Hause. Als ehemaliger Antisemit habe er sogar gelernt, wie man Tefillin legt. Und dann zitiert Szegedi den Rebben Menachem Mendel Schneerson, der den ehemaligen UN-Botschafter Benjamin Netanjahu angewiesen habe, »Licht in diesen Raum« zu bringen. Um das Licht weiterzutragen und Jude zu sein, sei es nur möglich, religiös jüdisch zu leben, zitiert Szegedi weiter.

Analyse Doch im Berliner Hotel Leonardo fühlen sich nicht alle erleuchtet. Das Publikum fragt kritisch nach: Ob Szegedi bei Jobbik auch ausgetreten wäre, wenn man ihn nicht auf seine Herkunft aufmerksam gemacht hätte? Ob Jobbik noch mehr jüdische Mitglieder habe? Und dann steht Flora Petak auf. Sie glaube dem Redner kein Wort, erklärt die 23-jährige Ungarin, die in Konstanz studiert: »Einer der Gründe, warum ich in Deutschland bin, sind Menschen wie Sie, Herr Szegedi!« Später analysiert die Psychologiestudentin: »Wenn jemand von einem Extrem ins andere fällt, sind das einfache Antworten auf einfache Fragen. Darauf basiert auch die Jobbik-Partei.«

Andere Zuhörer stört, dass Szegedi nun eine jüdische Bühne nutze: Tschuwa sei Privatsache, finden sie. Der Budapester Rabbi Baruch Oberlander bescheinigt Szegedi Ehrlichkeit; er habe sogar die Brit Mila nachgeholt. Beni Bloch, ZWST-Vorsitzender, wünscht dem Ungarn Erfolg, sagt aber: »Sie haben viele gute Taten zu vollbringen, bevor man diesen Blödsinn, den Sie davor verzapft haben, entschuldigen kann.«

Auf die Frage, warum er rechtsextremer Politiker geworden ist, antwortet Szegedi: »Das ist alles von Gott bestimmt. Wäre ich nicht Mitglied bei Jobbik gewesen, wäre ich nicht mit meinem Judentum konfrontiert worden.«

Feiertage

Tradition im Paket

Das Familienreferat des Zentralrats der Juden verschickt die neuen Mischpacha-Boxen mit allerhand Wissenswertem rund um Rosch Haschana und Sukkot

von Helmut Kuhn  12.09.2025

Interview

»Berlin ist zu meiner Realität geworden«

Die Filmemacherin Shoshana Simons über ihre Arbeit, das Schtetl und die Jüdische Kunstschule

von Pascal Beck  11.09.2025

München

Ein Fundament der Gemeinde

Die Restaurierung der Synagoge an der Reichenbachstraße ist abgeschlossen. In den Erinnerungen der Mitglieder hat das Haus einen besonderen Platz

von Luis Gruhler  11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Dialog

Brücken statt Brüche

Eine neue große Tagung der Denkfabrik Schalom Aleikum widmet sich der digitalen Kommunikation in Krisenzeiten

 11.09.2025

Dialog

Freunde wie Berge

Juden und Kurden verbindet eine jahrtausendealte Freundschaft. Um ein Zeichen der Gemeinsamkeit zu senden und sich des gegenseitigen Rückhalts zu versichern, kamen sie nun auf Einladung der WerteInitiative in Berlin zusammen

von Katrin Richter  10.09.2025

Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Der Historiker Philipp Lenhard und die Schriftstellerin Dana von Suffrin über den von ihnen gegründeten Jüdischen Buchklub, vergessene Klassiker und neue Impulse

von Luis Gruhler  09.09.2025

Ausstellung

Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln, Überleben

Im Literaturhaus München wird das Leben der amerikanischen Denkerin und Publizistin Susan Sontag gezeigt

von Ellen Presser  09.09.2025

München

Spur der heiligen Steine

Es war ein Sensationsfund: Bei Baumaßnahmen am Isarwehr wurden Überreste der früheren Hauptsynagoge entdeckt. Der Schatz wird nun vom Jüdischen Museum erforscht

von Michael Schleicher  07.09.2025