Eine Berufsdemonstrantin kann man sie nicht nennen, denn die Berliner Juristin Karoline Preisler bestreitet ihren Lebensunterhalt nicht damit, auf israelfeindliche Demonstrationen in Berlin zu gehen. Doch in den vergangenen zwei Jahren sorgte ihre Präsenz dort für große öffentliche Aufmerksamkeit, und das weit über Deutschland hinaus.
Denn seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag der Massaker gegen Zivilisten in Israel und der Verschleppung von 251 Geiseln in den Gazastreifen, hat Preisler schon Hunderte »propalästinensische« Versammlungen besucht und dort auf das Schicksal der Geiseln und die brutale Gewalt der Hamas gegen israelische Frauen aufmerksam gemacht. Die »Bild«-Zeitung nannte das FDP-Mitglied deswegen »Berlins mutigste Politikerin«.
Zwei bis drei Demos besucht sie pro Woche, auch bei schlechtem Wetter
Zwei bis drei Demonstrationen besucht die 54-Jährige pro Woche, auch bei schlechtem Wetter. In der einen Hand hält sie dabei meist ein Schild, auf dem Slogans wie »Believe Israeli Women«, »Rape is not Resistance« oder »Until the last Hostage« stehen. In der anderen Hand hat sie stets Blumen.
Das wirke deeskalierend, wie sie selbst sagt. »Ich suche dort nicht Konfrontation, sondern das offene Gespräch – mit den vernünftigen Leuten. Unsere Demokratie lebt doch vom Dialog«, betont Preisler. Manchmal klappe das auch mit dem Austausch.
Aber nicht immer. Denn Preislers Anwesenheit ist für viele eine Provokation. Ordner und Teilnehmer versuchen, sie abzudrängen, obwohl sie meist nur still mit dem Demonstrationszug mitläuft. Nicht selten wird Preisler von aufgebrachten Teilnehmern angebrüllt und beleidigt. Diese Clips finden dann in den sozialen Medien Verbreitung.
Mittlerweile braucht die Mutter von vier Kindern bei den Demos Polizeischutz. Sie ist den Beamten dafür dankbar: »Die sagen mir zwar immer wieder, dass sie nicht garantieren können, dass mir nichts zustoßen werde. Aber wären die Polizisten nicht da, könnte ich dort gar nicht hingehen.« Weil sie allein kommt, gilt Preislers Anwesenheit rechtlich nicht als Gegendemonstration. Eine solche liegt laut Versammlungsgesetz erst ab zwei Teilnehmern vor.
Als einsame Mahnerin hat es Preisler in Israel zu großer Bekanntheit und Beliebtheit gebracht.
Sie habe zwar auch schon an Gegendemonstrationen teilgenommen, sagt Preisler. Aber lieber sei sie mittendrin im Geschehen. »Was nützt es, wenn ich 600 Meter weiter stehe? Da ist dann kein Dialog mehr möglich über Antisemitismus. Und genau den braucht es doch.« Als einsame Mahnerin hat es Preisler in Israel zu großer Bekanntheit und Beliebtheit gebracht.
Als sie das Land vor einigen Monaten erstmals bereiste, traf sie sich auch mit den Eltern von Shani Louk, die am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Festival ermordet und dann in den Gazastreifen verschleppt wurde. Shanis Mutter Ricarda Louk nennt Preisler »eine tolle Frau« und fügt hinzu: »Sie verdient großen Respekt.« Auch die Angehörigen der Geiseln standen bis zuletzt im engen Austausch mit ihr.
Das zivilgesellschaftliche Engagement der gebürtigen Berlinerin, die als junge Frau 1989 in der friedlichen Revolution der DDR aktiv war, wird nun auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland gewürdigt. Am 5. November soll Karoline Preisler in Berlin den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage bekommen. Die Laudatio wird Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) halten. »Karoline Preisler wird für ihr herausragendes Engagement gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Islamismus ausgezeichnet«, erklärte der Zentralrat dazu. Sie habe den Mut, »Extremisten auf öffentlichen Demonstrationen nicht das Feld zu überlassen«.
Preislers Anwesenheit ist für viele eine Provokation
Wie kaum eine andere stehe Preisler »für Zivilcourage in unserer Zeit«, betont auch Zentralratspräsident Josef Schuster. »Ihr Einsatz für die nach Gaza verschleppten Geiseln macht Mut. Sie ist Vorbild für uns alle.« Der Paul-Spiegel-Preis wird seit 2009 alle drei Jahre verliehen. Er erinnert an den ehemaligen Präsidenten des Zentralrats, Paul Spiegel (1937–2006), der sich zeitlebens gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie für eine starke Bürgergesellschaft eingesetzt hatte. Zuletzt wurde die Auszeichnung an den Sportverein Tennis Borussia Berlin verliehen, für sein Engagement gegen Diskriminierung im Sport.
Karoline Preisler freut sich über die Auszeichnung. Und auch darüber, dass Paul Spiegels Witwe Gisèle ihr geschrieben hat, dass ihr verstorbener Mann sich über die Preisträgerin sehr gefreut hätte. Aber Preisler sieht sich noch nicht ganz am Ziel. »Ich werde so lange auf diese Demonstrationen gehen, bis auch die letzte tote Geisel wieder bei ihren Angehörigen ist. Denn ich habe mir gesagt: Du ziehst das jetzt durch.« Als Anfang des Monats dann die letzten lebenden Geiseln endlich freikamen, sei eine enorme Last von ihr abgefallen, sagt Preisler. »Wer hätte denn gedacht, dass das zwei Jahre dauern würde?«
Mit Sorge blickt sie auf die zunehmende Radikalisierung nicht nur in der anti-israelischen Szene in Berlin. Es gebe aber, betont Preisler, auch positive Erfahrungen. »Es gibt da eine Frau, die kommt seit zwei Jahren zu den Demos. Letztens haben wir uns umarmt. Sie hat mir gesagt: Guck mal, deine Geiseln sind zurück, ich freue mich für dich. Und dann ist sie wieder in die Menge gegangen und hat ›Death to the IDF‹ skandiert. Aber so leicht gebe ich nicht auf.«