Dresden

Die fesche Lola und der Kaiser von Atlantis

Benjamin Maroko und Alexandra Bentz Foto: Klaus Gigga

In der dunkelsten Zeit seines Lebens schrieb der slowakische Komponist Karol Elbert ein schwärmerisches Liebeslied, das zu seinem größten Erfolg wurde: »Malická slzicka« – »Eine winzige Träne«. Das Musikstück gab einem Liederabend in der Dresdner Kammerspielstätte »Semper Zwei« seinen Namen: »Eine winzige Träne. Verlorene Musik aus Dresden und anderen europäischen Städten«.

Zu Gehör kamen Werke von Komponisten, Musikern und Librettisten, die von den Nazis verfolgt wurden. Jüdische Künstler, darunter Elbert, Josef Weiss, Siegfried Sonnenschein, Arthur Chitz, Paul Aron und Richard Engländer, feierten in den Dresdner Konzertsälen Erfolge. Ab 1933 verloren sie alles: ihre Arbeit, ihr Vermögen, ihre Heimat – und oft ihr Leben.

Prag Viktor Ullmann komponierte seine Oper Der Kaiser von Atlantis, die in »Semper Zwei« auf dem Spielplan steht, im Konzentrationslager. Die Uraufführung erlebte er nicht mehr. Der in Prag geborene Arthur Chitz machte sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Dresden einen Namen als Komponist, Pianist und Kapellmeister. Er begleitete unter anderem den Kreuzchor und war musikalischer Chef und Komponist am Schauspiel. 1944 starb er in einem KZ bei Riga.

Der Künstler geriet für Jahrzehnte in Vergessenheit, bis die Musikwissenschaftlerin Agata Schindler sein Schicksal und das von anderen verfolgten Musikern recherchierte. Die Autorin, die in der Slowakei geboren wurde und seit vielen Jahren in Dresden lebt, hat mehrere Bücher über die Schicksale verfemter Künstler geschrieben, die aus Dresden stammten oder dort wirkten. Auch die Lebensgeschichte Karol Elberts konnte sie nachzeichnen: Er überlebte mehrere Lager und wurde 1945 befreit – danach fuhr er fort, schwungvolle Melodien zu schreiben. Agata Schindler hält ihn für den »ersten Popmusiker der Tschechoslowakei«.

Imrich Donath, Honorarkonsul der Slowakischen Republik für Hessen und Organisator der Slowakischen Kulturtage, wurde auf Schindlers Recherchen aufmerksam und schlug der Semperoper vor, die Werke der jüdischen Künstler in Dresden wieder auf die Bühne zu bringen. Nicht unkommentiert, sondern als Collage aus Musik und Texten mit Informationen zum Schicksal jedes Einzelnen. Manfred Weiß, Künstlerischer Leiter von »Semper Zwei«, war von der Idee angetan, und schon knapp sechs Monate später ging der Liederabend vor vollem Haus über die Bühne. Zum Konzert reisten eigens eine Enkelin und eine Urenkelin von Arthur Chitz aus den USA an; außerdem zwei Enkelinnen des Schlagerkomponisten Siegfried Sonnenschein.

Terrasse Im ersten Teil des Programms stellte Agata Schindler »verlorene Musik« aus Dresden vor. Die Musiktitel, darunter Arthur Chitz’ »Lied des Puppenvaters« und »Auf der Terrasse vom Romanischen Café« von Siegfried Sonnenschein, wurden von den Semperoper-Jungstars Grace Durham und Jirí Rajniš vorgetragen.

Den zweiten Teil gestalteten Frankfurter Künstler mit jüdischen Wurzeln: Alexandra Bentz, Benjamin Maroko und Anna Kupferschmidt. Unter der Moderation von Simone Hofmann präsentierten sie eine Zeitreise durch die Musik jüdischer Komponisten und Texter der 20er-Jahre bis heute – von der »Feschen Lola« von Friedrich Hollaender bis zu Leonard Cohens »Hallelujah«.

Simone Hofmann, Tochter eines Holocaust-Überlebenden, beschrieb die Musikauswahl als eine Reise ins Licht, denn sie führte von Europa über die USA nach Israel. Auch Imrich Donath wollte den Liederabend politisch verstanden wissen: »Wir, die zweite und dritte Generation nach dem Holocaust, haben die Verantwortung, nicht zu schweigen – und ich weiß, worüber ich spreche, meine Mutter war in Auschwitz und mein Vater in Bergen-Belsen.« Donath ist überzeugt: »Wer dieses Konzert erlebt hat, hört die bekannten Melodien danach mit anderen Ohren.«

Immobilie

Das jüdische Monbijou

Deutschlands derzeit teuerste Villa auf dem Markt steht auf Schwanenwerder und soll 80 Millionen Euro kosten. Hinter dem Anwesen verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte

von Ralf Balke  22.12.2025

Erfurt

Die Menschen halfen einander

Pepi Ritzmann über ihre Kindheit in der Gemeinde, ihre Familie und Antisemitismus. Ein Besuch vor Ort

von Blanka Weber  22.12.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebender Leon Weintraub wird 100 Jahre alt

Dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entkam Leon Weintraub durch eine Augenblicks-Entscheidung. Heute warnt er als Zeitzeuge in Schulklassen vor Rechtsextremismus. Am 1. Januar feiert er seinen 100. Geburtstag

von Norbert Demuth  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Porträt

Am richtigen Ort

Arie Oshri ist Koch, Dragqueen und lebt in seiner Wahlheimat Berlin

von Alicia Rust  20.12.2025

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025