Geschichte

Die anderen Flüchtlinge

Politikwissenschaftler Stephan Grigat Foto: Margrit Schmidt

Wenn in Zusammenhang mit dem UN-Teilungsplan für Palästina vom November 1947 von der Gründung Israels sechs Monate später die Rede ist, kommt in aller Regel das Thema Flüchtlinge auf den Tisch. Gemeint sind dann arabische Palästinenser.

Bis heute vererben sie als einzige Flüchtlingsgruppe weltweit diesen Status. Hingegen wird den 900.000 jüdischen Flüchtlingen, die in den 50er- und 60er-Jahren aus den arabischen Ländern vertrieben wurden, kaum mediale Aufmerksamkeit zuteil.

Studie Der französische Historiker Georges Bensoussan hat mit seinem Buch Die Juden in der arabischen Welt nun eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, und das mit autobiografischem Bezug. Wurde er doch vor 68 Jahren in Marokko in eine alteingesessene jüdische Familie geboren.

Für die auf Deutsch erschienene Ausgabe hat der Politikwissenschaftler Stephan Grigat das Vorwort geschrieben und darüber in der vergangenen Woche in der Jüdischen Volkshochschule gesprochen.

Die Zuhörer im Gemeindehaus in der Fasanenstraße erfuhren unter anderem, dass der arabische Antisemitismus keineswegs – wie von Forschern vielfach behauptet – erst mit der Gründung Israels eingesetzt hat. Erinnert sei dabei an das Pogrom in Hebron von 1929 oder das von Bagdad im Jahr 1941, wo immerhin ein Drittel der Bevölkerung jüdisch war. Die Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern fand ohne unmittelbares Kriegsgeschehen statt.

Monarchie In Ägypten war dies erst etwas später der Fall, denn selbst nach dem Sturz der Monarchie im Jahr 1953 weigerte sich Muhammad Nagib, der erste Präsident der jungen Republik, der Forderung der Arabischen Liga nachzukommen, jüdisches Eigentum zu konfiszieren.

Das holte dessen Nachfolger Gamal Nasser 1956 nach, als er mit dem antisemitischen Pamphlet Die Protokolle der Weisen von Zion argumentierte und die seit Jahrhunderten in Ägypten lebende jüdische Bevölkerung des Landes verwies. Die Kairoer Gemeinde zählte damals mehr als 70.000 Juden – heute sind es gerade noch fünf Personen. Grigat erwähnte in seinem Vortrag auch, dass sich die deutsche Botschaft in Kairo in einer enteigneten jüdischen Immobilie befindet.

Einen wesentlichen Teil des Buches nehmen der muslimische Antisemitismus und die Ignoranz der französischen Linken ein, einer Gruppe, aus der der Autor selbst kommt. Dabei brachte er eine ganze Reihe von in diesen Kreisen »verbotenen Fragen« zur Sprache, wie etwa den Umstand, dass erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine massive Einwanderung von Arabern nach Palästina erfolgt sei.

Moderne Die Ansicht also, dass jene »Flüchtlinge« dort seit Jahrhunderten ansässig gewesen seien, stimme in den meisten Fällen schlichtweg nicht. Bereits 1928 sei die Muslimbruderschaft als Reaktion auf das Hereinbrechen der Moderne gegründet worden, die als »jüdisch« gebrandmarkt wurde.

»Dies ist das Jahrhundert der Frauen, der Juden und der Dollars« stand in einer der frühen Schriften jener islamistischen Organisation. Die diskriminierende Gleichsetzung von »Frauen und Juden« sollte doch wohl einem linken Weltbild widersprechen.

Georges Bensoussan vergleicht die Weigerung der politischen Linken, den islamischen Antisemitismus zur Kenntnis zu nehmen, mit deren Ignoranz gegenüber dem Stalinismus der 40er- und 50er-Jahre. Dabei bescheinigt Stephan Grigat dem Autor, »äußerst differenziert« vorgegangen zu sein.
Nicht zuletzt deshalb hatten französische Gerichte die Anklagen wegen Rassismus sämtlich verworfen.

Georges Bensoussan: »Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage«. Hentrich & Hentrich, Leipzig 2019, 192 S., 19,90 €

Berlin

Für Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

 30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025