München

»Das ganz Andere fremder Welten«

Literaturwissenschaftlerin Friederike Heimann Foto: Simone Gundi/MVHS

München

»Das ganz Andere fremder Welten«

Die Volkshochschule und das IKG-Kulturzentrum gedachten des 130. Geburtstags der Dichterin Gertrud Kolmar

von Helen Richter  05.01.2025 19:28 Uhr

Gertrud Käthe Chodziesner gehört unter ihrem Pseudonym Gertrud Kolmar zu den wichtigsten deutschsprachigen jüdischen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts. Sie wurde jedoch nie so bekannt wie Rose Ausländer, Mascha Kaléko, Else Lasker-Schüler oder Nelly Sachs. Ihr 130. Geburtstag am 10. Dezember war Anlass für eine Würdigung in der Reihe »Zwiesprachen«, welche die Münchner Volkshochschule und das IKG-Kulturzentrum seit dem Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« kontinuierlich gemeinsam fortsetzen.

Prädestiniert, diesen Vortrag zu halten, war Friederike Heimann, die mit einer Arbeit über Kolmar bei dem Literaturwissenschaftler Alfred Bodenheimer, seit 2010 Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Universität Basel, promovierte.

Das lyrische Ich hinter Rollengedichten

Dorothee Lossin, Leiterin des Programm­bereichs Literatur und Film bei der Münchner Volkshochschule, unterstrich in ihrer Einführung den besonderen Ton der Gedichte von Gertrud Kolmar, sprach von deren »Intensität«, vom Erscheinen ihres lyrischen Ichs hinter Rollengedichten, »hinter der Maske von Kröten, von Eidechsen, Salamandern, einer Lumpensammlerin – der Blick geht ins Abseitige, fühlt sich ein in das ganz Andere fremder Welten«.

Damit gab sie der Biografin Heimann eine Steilvorlage, in der sich persönliche und weltgeschichtliche Katastrophen so verbanden, dass Kolmars Werk nur mit Verzögerung sichtbar wurde, 1947 mit der ersten Ausgabe des Gedichtzyklus »Welten«, 1994 mit einer Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv Marbach, 1997 mit dem Erscheinen ihrer Briefe, herausgegeben von Johanna Woltmann.

Nicht einmal unter ihrem Geburts­namen durfte sie publizieren. Ihr Vater, ein angesehener Anwalt in Berlin, hielt das für unangemessen. Also wählte sie den Namen »Kolmar«, wie die Stadt Chodziesen in der damaligen preußischen Provinz Posen seit 1878 hieß – Herkunftsort der Familie väterlicherseits. Übrigens war ihre Mutter Elise die Schwester von Walter Benjamins Mutter Pauline. So rollte Friederike Heimann nach und nach das Leben der Dichterin Gertrud Kolmar auf, die als Sprachlehrerin, Erzieherin, Betreuerin erst der kranken Mutter, dann des alt gewordenen Vaters arbeitete.

Ein Schwangerschaftsabbruch nach einer damals unmöglichen Liaison, der nie mehr erfüllte Kinderwunsch, die zunehmende Beschäftigung mit dem Jüdischen, ihr Einfinden in ein unabwendbares Schicksal, das in Zwangsarbeit mündete und mit der Deportation nach Auschwitz am 2. März 1943 sein Ende fand – all dies reflektierte Friederike Heimann immer wieder mit Auszügen und schließlich dem Gedicht »Die Jüdin« aus dem Verszyklus Weibliches Bildnis (1927–1932).

Friederike Heimann: »In der Feuerkette der Epoche. Über Gertrud Kolmar«. Jüdischer Verlag/Suhrkamp, Berlin 2023,
463 S., 28 €

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  03.07.2025

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert

Interview

Das hilft wirklich gegen zu viel Hitze und Sonne

Yael Adler über die Frage, wie wir uns am besten schützen können und was wir im Sommer von den Israelis lernen können

von Philipp Peyman Engel  02.07.2025 Aktualisiert

Bayern

Als Rassist und Antisemit im Polizeidienst? Möglich ist es …

Der Verwaltungsgerichtshof München hat geurteilt, dass Beamte sich im privaten Rahmen verfassungsfeindlich äußern dürfen, ohne deswegen mit Konsequenzen rechnen zu müssen

von Michael Thaidigsmann  01.07.2025

München

Gedenken in schwerer Zeit

Die Stadt erinnerte an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die Angehörigen aus Israel konnten wegen des Krieges nicht anreisen

von Luis Gruhler  01.07.2025