Berlin

Coaching gegen Judenhass

Viele Juden in Deutschland werden nicht nur durch ihre gemeinsame Religion und Kultur vereint, sondern häufig auch durch die Erfahrung von Diskriminierung. Dass die konkreten Erlebnisse der Ausgrenzung manchmal dennoch recht unterschiedlich ausfallen, davon konnten sich in der vergangenen Woche 20 Teilnehmer der Veranstaltung »Gemeinsame Geschichte – geteilte Erfahrung. Antisemitismus als persönliches und soziales Phänomen« überzeugen, die in Berlin-Prenzlauer Berg stattfand.

Ausgerichtet wurde der Workshop von einem neu gegründeten Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), mit dem die ZWST-Verantwortlichen die bisher geleistete Arbeit im Bereich Diskriminierungs- und Antisemitismusprävention auf eine breitere Basis stellen und erstmals auch Menschen innerhalb der jüdischen Gemeinschaften ansprechen wollen.

Schnittstelle Das Kompetenzzentrum versteht sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis und will jüdische sowie nichtjüdische Organisationen gezielt dabei unterstützen, effektive Handlungsstrategien zum Umgang mit Antisemitismus zu entwickeln und umzusetzen. Neben der ZWST wird das Zentrum vom Bundesfamilienministerium, dem Thüringer Landesprogramm »Denk Bunt«, dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, der F.C. Flick Stiftung Brandenburg sowie der Sparkassen-Finanzgruppe-Hessen unterstützt.

»Unsere drei Kernkompetenzen sind: sensibilisieren, qualifizieren und begleiten«, sagte ZWST-Projektleiterin Marina Chernivksy. Die Psychologin, die kürzlich als jüdische Expertin in die Antisemitismuskommission der Bundesregierung berufen wurde, leistet im Rahmen des ZWST-Programms »Perspektivwechsel Plus« bereits seit einigen Jahren wichtige politische Bildungsarbeit.

Diese Expertise will sie nun mit in das neue Kompetenzzentrum nehmen. Dessen Arbeit soll sich auf drei Bereiche erstrecken: In einem Fachforum soll Raum für theoretische Überlegungen gegeben werden, dessen Impulse dann in die praktische Arbeit mit einfließen. Außerdem wollen die Verantwortlichen Awareness-Programme entwickeln, um Fachkräfte der politischen Bildungsarbeit, der Verwaltung oder der Medien gezielt für Antisemitismus zu sensibilisieren. Ein dritter Bereich ist das sogenannte Community Coaching, in dem jüdische Institutionen im Umgang mit Antisemitismus und Diskriminierung geschult und beraten werden sollen.

Bei der Herbstakademie in Berlin ging es deshalb zunächst darum, Ideen und Anregungen zu sammeln und daraus ein entsprechendes Angebot für die Gemeinden zu entwickeln. Zahlreiche Teilnehmer berichteten, dass sie Probleme bei der Grenzziehung hätten, um zu entscheiden: »War das jetzt antisemitisch gemeint oder nicht?« »Vielen fehlt da schlichtweg das Fachwissen«, berichtete Marina Chernivsky.

FAchgespräche Von den Möglichkeiten, sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen, über Vorträge zu Manifestationen des aktuellen Antisemitismus bis hin zu Fachgesprächen mit Akteuren aus den jüdischen Gemeinden oder der politischen Bildungsarbeit bot das Programm deshalb eine Vielzahl von Zugängen zum Thema.

Viele Betroffene von Antisemitismus wenden sich zu selten mit ihren Geschichten an die deutschen Behörden – darin waren sich sowohl Teilnehmer als auch Experten einig. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Zum einem fehlt es den zuständigen Polizeibeamten manchmal an Sensibilität, Antisemitismus auch als solchen zu erkennen, zum anderen sind die Betroffenen selbst oftmals nicht sicher, ob der erlebte Vorfall strafrechtlich relevant ist, und befürchten, auf dem Präsidium abgewiesen zu werden.

Hinzukommt, dass viele der in der Sowjetunion sozialisierten Juden die Erfahrung von Antisemitismus aus ihren Herkunftsländern kennen und deshalb kein großes Vertrauen in staatliche Stellen setzen. Daher schlugen die Teilnehmer vor, in den Gemeinden Ansprechpartner auszuwählen, die die Gemeinde gut kennen und in solchen Fällen als Berater helfen können.

Für die beiden Studentinnen Elisaweta Ossovski und Maya Grossman, die an dem Seminar teilnahmen, ist vor allem die Holocaust-Bildung in den deutschen Schulen problematisch, denn die konzentriere sich zu wenig auf das aktuelle jüdische Leben. »Wir sind in den Diskussionen darauf gestoßen, dass Judentum in Deutschland viel häufiger mit dem Holocaust assoziiert wird als mit dem Judentum, das jetzt stattfindet. Viele Menschen in Deutschland kennen gar keine Juden, machen sich aber trotzdem ein Bild von ihnen. Dadurch entstehen Vorurteile und Antisemitismus«, erzählten die beiden im Anschluss an das Seminar.

Pöbeleien Die meisten Vertreter von jüdischen Gemeinden aus ganz Deutschland, die nach Berlin gekommen waren, berichteten, dass die antisemitischen Vorfälle, denen ihre Gemeindemitglieder in den vergangenen Monaten ausgesetzt waren, zugenommen haben. Vor allem die Zahl von verbal herablassenden Äußerungen habe sich in ihrer Wahrnehmung stark vermehrt.

Marina Chernivsky persönlich teilte diese Einschätzung nicht ganz: »Ich nehme es so wahr, dass es eigentlich schon immer so war. Ich glaube, was sich wirklich geändert hat, ist die Schwelle der Angst innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. Das hat sich nach den Anschlägen von Toulouse, Paris und Brüssel wirklich spürbar gewandelt.« Gemeinsam mit ihrem Team will Chernivsky im neuen Kompetenzzentrum nun an Möglichkeiten arbeiten, um jüdischen Organisationen in dieser Situation unter die Arme greifen zu können.

Antisemitismusverdacht

Ermittlung wegen Plakat »Juden haben hier Hausverbot« läuft

Ein antisemitischer Aushang in einem Flensburger Geschäft sorgt für Entsetzen. Politiker und Bürger reagieren deutlich. Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein

 18.09.2025

Nürnberg

Annäherung nach Streit um Menschenrechtspreis-Verleihung

Die Israelitische Kultusgemeinde hatte den diesjährigen Träger des Nürnberger Menschenrechtspreises nach Bekanntgabe des Juryvotums kritisiert. Nach Gesprächen gibt es nun offenbar eine Verständigung

 18.09.2025

Berlin

Zwölf Rabbiner blasen das Schofar

Die Jüdische Gemeinde Chabad Berlin lud zum Neujahrsempfang. Zu Gast war auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner

von Detlef David Kauschke  18.09.2025

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025