Nachruf

»Buchenwaldkind« Stefan Jerzy Zweig ist verstorben

Eine Aufnahme im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald zeigt Stefan Jerzy Zweig als Kind im April 1945 nach der Befreiung des KZs zeigt Foto: picture alliance / dpa

Der durch den Erfolgsroman »Nackt unter Wölfen« bekannte Holocaust-Überlebende Stefan Jerzy Zweig ist tot. Der Mann, der als Kleinkind im Konzentrationslager Buchenwald von anderen Mithäftlingen vor der Ermordung bewahrt wurde, starb bereits am 6. Februar im Alter von 83 Jahren in Wien, wie die Deutschen Presse-Agentur dpa erfuhr. Zuvor hatte das österreichische Magazin »Profil« vom Tod des Mannes berichtet, dessen Geschichte als Grundlage für mehrere Bücher und Fernsehfilme diente. 

Zweig wurde am 28. Januar 1941 in Krakau als Sohn eines Rechtsanwalts geboren. Seine ersten Lebensmonate verbrachte er unter anderem im jüdischen Ghetto von Warschau, das die deutschen Besatzer errichtet hatten. Während einer Räumungs- und Tötungsaktion im Ghetto ließ sein Vater Zacharias Zweig das zweijährige Kind von einer Ärztin betäuben und verbarg es in einem Rucksack.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

So wurde der Junge gemeinsam mit Vater, Mutter und seiner älteren Schwester in ein Zwangsarbeitslager überstellt. Dort musste er ebenfalls vor der SS versteckt werden - bei polnischen Familien in der Umgebung oder unter Abfall auf einer Mistkarre, wie sein Vater in schriftlichen Erinnerungen festhielt. 

Nach der Gefangenschaft in einem weiteren Lager wurde die Familie Zweig getrennt. Zweigs Mutter und Schwester wurden in das KZ Auschwitz in den Tod geschickt. Der dreijährige Junge und sein Vater wurden nach Buchenwald verschleppt.

Von politischen Häftlingen geschützt

Hier setzt die Erzählung von »Nackt unter Wölfen« ein. Der Roman von Bruno Apitz, selbst ein Buchenwald-Überlebender, wurde mit seinen Schilderungen von kommunistischen Häftlingen, die das Kleinkind behüteten und es vor dem Tod bewahrten, zu einem Bestseller und zur Schullektüre in der DDR. Stefan Jerzy Zweig wurde durch den Roman als »Buchenwaldkind« bekannt. 

Das 1958 erschienene Buch, das mehrmals verfilmt wurde, verschwieg die wichtige Rolle, die Zacharias Zweig neben den politischen Häftlingen für das Überleben des Jungen spielte.

Jahrzehnte später wurde die Frage, wie dieses Kleinkind vor einem geplanten Kindertransport in das KZ Auschwitz bewahrt wurde, wieder zum Thema. Stefan Jerzy Zweig wurde nämlich im letzten Moment von der Transportliste gestrichen. 

Ein älterer Sinto-Junge namens Willy Blum wurde schließlich mit der für Zweig vorgesehenen Listennummer in den Tod geschickt. Eine Erinnerungstafel für Zweig in Buchenwald wurde in der Folge abmontiert und durch eine Tafel ersetzt, in der er anonymisiert als eines der Tausenden Kinder erwähnt wird, die in dieses KZ verschleppt wurden.

Zweigs Überlebensgeschichte vor Gericht

Im Jahr 2006 verklagte Zweig den Autor Hans Joachim Schädlich, weil eine Figur in dessen Roman »Anders« sagte, Zweig könne sich nicht eingestehen, dass er wegen der Ermordung eines anderen überlebt habe. Zweig fühlte sich persönlich angegriffen. Er sei überzeugt, dass er als Opfer des Nazi-Regimes Schädlich und seinem Verlag »keine Rechenschaft über sein Verfolgungsschicksal schuldet«, hieß es in der Klageschrift. 

Zweig zog einige Jahre später auch gegen den Begriff »Opfertausch« vor Gericht, den der damaligen Leiter der Gedenkstelle Buchenwald im Zusammenhang mit Zweigs Rettung benutzt hatte. Beide Fällen endeten mit einem Vergleich.

Für die Erinnerung an Willy Blum hatten diese Debatten einen positiven Effekt. Sein Schicksal wurde endlich erforscht. Die Historikerin Annette Leo schilderte ihrem Buch »Das Kind auf der Liste« anhand von Lagerdokumenten, dass der 16-Jährige sich freiwillig zum Transport nach Auschwitz gemeldet hatte, um seinen kleinen Bruder zu begleiten.

Zweig lebte nach dem Krieg in Israel, Frankreich, der DDR und schließlich in Österreich, wo er als Kameramann arbeitete. Er litt zeitlebens an den psychischen und körperlichen Folgen seiner Inhaftierung. 

Spät gelang es ihm doch noch, seine Geschichte selbst zu erzählen. Im Jahr 2005 veröffentlichte er im Eigenverlag seine Biografie mit dem Titel »Tränen allein genügen nicht«. dpa

Feiertage

Tradition im Paket

Das Familienreferat des Zentralrats der Juden verschickt die neuen Mischpacha-Boxen mit allerhand Wissenswertem rund um Rosch Haschana und Sukkot

von Helmut Kuhn  12.09.2025

Interview

»Berlin ist zu meiner Realität geworden«

Die Filmemacherin Shoshana Simons über ihre Arbeit, das Schtetl und die Jüdische Kunstschule

von Pascal Beck  11.09.2025

München

Ein Fundament der Gemeinde

Die Restaurierung der Synagoge an der Reichenbachstraße ist abgeschlossen. In den Erinnerungen der Mitglieder hat das Haus einen besonderen Platz

von Luis Gruhler  11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Dialog

Brücken statt Brüche

Eine neue große Tagung der Denkfabrik Schalom Aleikum widmet sich der digitalen Kommunikation in Krisenzeiten

 11.09.2025

Dialog

Freunde wie Berge

Juden und Kurden verbindet eine jahrtausendealte Freundschaft. Um ein Zeichen der Gemeinsamkeit zu senden und sich des gegenseitigen Rückhalts zu versichern, kamen sie nun auf Einladung der WerteInitiative in Berlin zusammen

von Katrin Richter  10.09.2025

Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Der Historiker Philipp Lenhard und die Schriftstellerin Dana von Suffrin über den von ihnen gegründeten Jüdischen Buchklub, vergessene Klassiker und neue Impulse

von Luis Gruhler  09.09.2025

Ausstellung

Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln, Überleben

Im Literaturhaus München wird das Leben der amerikanischen Denkerin und Publizistin Susan Sontag gezeigt

von Ellen Presser  09.09.2025

München

Spur der heiligen Steine

Es war ein Sensationsfund: Bei Baumaßnahmen am Isarwehr wurden Überreste der früheren Hauptsynagoge entdeckt. Der Schatz wird nun vom Jüdischen Museum erforscht

von Michael Schleicher  07.09.2025