Zusammenarbeit

Appell an Deutschland

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch (M.) mit der israelischen Konsulin Kasa Bainesai-Harbor (5.v.l.) und Experten in der Anhörung Foto: Matthias Balk/Bildarchiv Bayerischer Landtag

Für eine EU ohne Antisemitismus» – zu diesem Thema tagte am Dienstag vergangener Woche nach der Europawahl der Europaausschuss des Bayerischen Landtags im Maximilianeum. Für die Anhörung hatte der ständige Fachausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen acht Sachverständige eingeladen, unter ihnen mit Charlotte Knob­loch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Zentralratspräsident Josef Schuster zwei bedeutende Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft.

Der Initiator der Anhörung, Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher (SPD), betonte die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit für das Zustandekommen der Sitzung. Eine Fraktion von Rechtsaußen habe sich hingegen enthalten. Am 23. Januar und damit dreieinhalb Monate nach dem 7. Oktober 2023 war die Anhörung beantragt worden. Mit der Europawahl, den diplomatischen Spannungen zwischen Israel auf der einen und Spanien, Irland und Norwegen auf der anderen Seite sowie dem drastisch zunehmenden Antisemitismus in ganz Europa kam ihr jetzt höchste Aktualität zu.

Wegen Sicherheitsbedenken abgesagt

Bevor die Ausschussvorsitzende Ulrike Müller (Freie Wähler) das Wort an die Sachverständigen übergab, wandte sich die stellvertretende israelische Generalkonsulin Kasa Bainesai-Harbor mit einem Grußwort an den Ausschuss. Sie berichtete eindringlich, wie eine Woche zuvor eine Fragerunde an der Frankfurter Universität mit Generalkonsulin Talya Lador-Fresher wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden musste, und formulierte einen Appell an Deutschland, Antisemitismus zu bekämpfen. Auch in der Fragerunde hob sie dabei die existenziell bedrohliche Lage für Israel und Juden auf der ganzen Welt hervor.

Angesichts der Europawahl und diplomatischer Spannungen war die Sitzung hochaktuell.

In ihrem Statement unterstrich IKG-Präsidentin Charlotte Knob­loch: «Jüdisch zu leben: Das heißt heute, ein Leben nicht frei nach den eigenen Vorstellungen leben zu können. Das bedeutet, mit Unsicherheit zu leben.» Zwar sei ein Leben in jüdischen Einrichtungen hinter Mauern und Panzerglas möglich, ein Leben, bei dem jüdische Erkennungsmerkmale draußen vor der Öffentlichkeit verborgen werden müssten. Daraus folge aber: «Das viel zitierte ›jüdische Leben‹ bedeutet heute für viele jüdische Menschen, nicht sichtbar jüdisch zu leben.» Gleichwohl zeigte sie sich dankbar für die praktische Unterstützung durch die politische Exekutive in Europa, Deutschland und insbesondere in Bayern.

Der Einfluss von Freunden und Partnern in den Parlamenten und Regierungen sei wahrnehmbar und zeige Wirkung. Das massiv verschlechterte Sicherheitsempfinden jüdischer Menschen bedeute aber auch, dass die Maßnahmen nicht ausreichten. Insbesondere kritisierte Knob­loch Polemiken europäischer Regierungen gegen Israel und dass Europa nicht als hilfreicher Akteur für die Befreiung der israelischen Geiseln in Gaza wahrgenommen werde.

Soziale Medien als Brandbeschleuniger für Antisemitismus

Zentralratspräsident Josef Schuster beklagte, dass vor allem die sozialen Medien als Brandbeschleuniger für Antisemitismus fungierten. Im Rahmen der europäischen Verordnung, des Digital Services Act (DSA), müsste auch online ein Schutzraum geschaffen werden. Schuster betonte die Bedeutung der Arbeitsdefinition Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA).

Mit dieser Definition sei es möglich zu verhindern, dass «offensichtlicher Antisemitismus unter dem Deckmantel vermeintlicher Kritik an Israel salonfähig wird». Angesichts der Europawahl gebe es, so Schuster, in den jüdischen Gemeinden erhebliche Bedenken, ob ein sicheres Leben in Europa für die nachfolgende Generation garantiert sei.

Vor welchen Schwierigkeiten man mit den Instrumenten der Antisemitismusbekämpfung steht, wurde in der Fragerunde deutlich. Diese Instrumente setzen sich zusammen aus der Prävention durch Sensibilisierung und Bildung, der Erfassung von antisemitischen Vorfällen und Straftaten sowie dem Einwirken von Sachverständigen auf europäischer Ebene. Für den letzten Punkt zeichnen Katharina von Schnurbein und Felix Klein, Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission und der Bundesregierung, verantwortlich.

Gerade bei der Erfassung von antisemitischen Vorfällen sei die tatsächliche Zahl der Delikte schwer abbildbar.

Aber gerade bei der Erfassung von antisemitischen Vorfällen, so betonte die Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern, Annette Seidel-Arpacı, sei die tatsächliche Zahl der Delikte schwer abbildbar. Die dokumentierten Fälle zeigten einen starken Anstieg seit dem 7. Oktober: 73 Prozent in Bayern, 320 Prozent in ganz Deutschland und 1000 Prozent in Frankreich.

Ungenaue Polizeistatistiken

Das Problem der ungenauen Polizeistatistiken, welche antisemitische Vorfälle überwiegend im rechtsextremen Spektrum verorteten, sei erkannt, betonte der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus der Bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle. Kein Milieu, so Spaenle, sei vor Antisemitismus gefeit.

Dem schlossen sich auch der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, und Helga Embacher, Zeithistorikerin an der Universität Salzburg, an. Freller merkte an, dass auch der Islamismus in den Fokus gerückt werden müsse, und Embacher wies auf die im universitären Rahmen vorhandenen antisemitischen Tendenzen in den «postcolonial» und «gender studies» hin.

Charlotte Knobloch äußerte zum Schluss der Sitzung ihre Sorge um die Zukunft des Staates Israel. Unterstützung sei hier angesichts des Krieges gegen die Terroristen von langfristiger Bedeutung. Bereits in ihrem Eingangsstatement hatte sie betont, dass die «bloße Existenz Israels das Leben jüdischer Menschen überall sicherer macht. Man musste nie Israeli sein, um Israel zu brauchen».

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