Zeitzeugengespräche

»Alle jüdischen Kinder raus ...!«

Alisa Tennenbaum Foto: Jersika Grindel

Zeitzeugengespräche

»Alle jüdischen Kinder raus ...!«

Alisa Tennenbaum lebt in Israel und erzählt in deutschen Schulen aus ihrem Leben

von Jariska Grindel  18.01.2016 19:15 Uhr

»Ich kann doch nach Deutschland reisen. Nehmt ihr mich auch mit Krückstock?« Eine besondere E-Mail, die da im Herbst 2015 im Posteingang der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland landete. Sie ist von Alisa Tennenbaum, einer Zeitzeugin des NS-Regimes. Die 86-Jährige teilte mit, dass sie die Folgen eines Unfalls vor ein paar Monaten gut verkraftet hat und reisefähig ist. Ihr achter Besuch im Siegerland würde es sein.

Die Freude über ihre Ankündigung ist riesengroß. Bald wird es keine Möglichkeit mehr geben, Menschen zuzuhören, die von ihren Erlebnissen aus den dunklen Jahren deutscher Geschichte berichten können.

Termine Nun geht es an die Planung ihres Besuchs. Acht Tage wollen Alisa Tennenbaum und ihre Tochter Batel bleiben. Finanzielle Mittel stellt die Stadt Siegen über das Bundesprogramm »Demokratie Leben!« schnell und unkompliziert zur Verfügung. Alisa Tennenbaums Terminkalender füllt sich rasch: Zwei Termine am Tag will sie schaffen. Eine stramme Leistung, wenn man bedenkt, dass sie jeweils eineinhalb Stunden voller Inbrunst spricht und sich anschließend alle Zeit der Welt für Fragen nimmt.

Ihre Botschaft richtet sie vor allem an Jugendliche. Es stehen ein Besuch des Gymnasiums in Weidenau, im Berufskolleg AHS Siegen und zwei Treffen in der Realschule am Oberen Schloss auf ihrem Programm. Außerdem spricht sie bei öffentlichen Veranstaltungen in der Aula des Lyz, in der weißen Villa in Kreuztal und im Gemeindesaal der Evangelischen Kirche in Eisern.

Viele der Jugendlichen verfolgen ihre Erzählung konzentriert und Wort für Wort. »Hatten Sie oft Angst?« und »Wie war das für Sie im Kinderheim in England, ohne die Sprache sprechen zu können?« lauten die meistgestellten Fragen nach jedem Vortrag. Wie viel lebendiger ist doch ihr Bericht im Vergleich zu den sachlichen, oft nicht greifbaren Aussagen eines Schulbuchs, meinen die Schüler. Die Authentizität ist für die jungen Zuhörer von unschätzbarem Wert.

Schmähungen Rund 500 Menschen, hauptsächlich Jugendliche, hat Alisa Tennenbaum im Laufe dieser einen Woche in Siegen mit ihrer Botschaft erreicht. Es ist ein Bericht über Schmähungen, denen sie als Jüdin ausgesetzt war. Ein Bericht über leidvolle Situationen, nicht wissend, wie es ihrem Vater im Konzentrationslager in Dachau geht und ob ihre Mutter noch lebt. Ein Bericht über ihre Ausreise mit dem letzten Kindertransport von Wien nach England, ohne auch nur eine ihrer Mitreisenden zu kennen.

Ihre Geschichte hatte glücklicherweise, trotz aller Bedrängnis, ein Happy End. Alisa Tennenbaum ist eines der wenigen Kinder, dem beide Elternteile geblieben sind. Das verleiht ihr wohl auch die Kraft, sich immer wieder den Strapazen der anstrengenden Reisen nach Deutschland auszusetzen und immer wieder besonders die Jugendlichen im Blick zu haben.

Auf die Frage, warum sie das alles auf sich nimmt, lautet ihre klare Antwort: »Damit so etwas nie wieder geschieht. Keinem Menschen. Egal welche Religion oder Herkunft er hat.«

Einer der persönlichen Höhepunkte ihrer Reise war die Teilnahme an der Schabbatfeier im Büro der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Hier konnte sie einfach feiern und alte Freunde treffen. Kommt sie im nächsten Jahr wieder? »Wenn ich gesund bin«, antwortet sie und wirft dabei einen fragenden Blick auf ihre Tochter Batel. Das wäre dann bereits der neunte Besuch im Siegerland. Den Krückstock hat sie übrigens am Tag vor ihrer Abreise abgelegt. »Das Ding ist viel zu sperrig im Aeroplane«, sagt sie.

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025