Offenbach

Alchemist der Kunst

Noch ist es nicht viel mehr als eine Skizze. Zwischen all den Kunstwerken in der Talberg-Factory fällt die unscheinbare, schwarz-weiße Zeichnung nur auf, wenn man bewusst danach sucht. Darauf zu sehen ist ein Obelisk, der sich 15 Meter hoch über einem namenlosen Platz erhebt, die strenge, spitz zulaufende Form unterbrochen von sieben Querelementen. Die Seiten verziert mit Symbolen, die auf gewisse Art und Weise vertraut erscheinen, ohne dass sie der unwissende Betrachter einer bekannten Schrift zuordnen könnte. Ein auf den ersten Blick archaisch anmutendes Kunstwerk, ein Fremdkörper in der urbanen Szenerie.

»Es bietet eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten«, sagt Ruben Talberg über seinen Entwurf. Noch ist die »Jakobsleiter« nur eine Vision. Geht es nach Talberg, soll sie schon sehr bald Realität werden. Talbergs Atelier liegt mitten in der Offenbacher Innenstadt und doch weit weg davon. In einem Hinterhof in der Ludwigsstraße, auf dem Gelände einer ehemaligen Schreinerei, hat er seine Galerie eingerichtet. Das alte Backsteinhaus, umgeben von einem bunt blühenden Garten, vermittelt dem Besucher das Gefühl, weitab von jedwedem Großstadttrubel zu weilen. Ein Ort, der weit weniger Fabrikhaftes an sich hat, als es sein Name »Talberg-Factory« nahelegt.

das böse Vor fünf Jahren hat sich Ruben Talberg, der in Heidelberg geboren wurde und später unter anderem in Israel und den USA studierte, hier eingerichtet. Vom Konzept her ist es eine Produzentengalerie«, sagt der 46-jährige Künstler. Hier entstehen seine Fotografien, Gemälde und Skulpturen. Den »Begründer der Anti-Kapitalistischen Abstraktion«, hat man Talberg schon manchmal in Künstlerkreisen genannt.

Die Kunst im Innern des Gebäudes indes hat wenig mit der Idylle im Hinterhof gemein. An den Wänden hängen verfremdete und mit verschiedenen Materialien nachbearbeitete Fotografien. Zeugnisse der Schoa. Bilder von Transportzügen, von ausgemergelten KZ-Überlebenden. Dazwischen überlebensgroße, von rostiger Patina überzogene Kämme – Nachahmungen denkbar banaler Alltagsgegenstände, die doch den Schrecken der Vernichtung widerspiegeln, weil sie oft das Einzige waren, was von den Opfern noch übrig blieb. Mittendrin steht Talberg, eine imposante Erscheinung. Durchtrainiert, über ein Meter neunzig groß, silberne Haare. »Meine Kunst soll Emotionen auslösen.«

symbol Es klingt wie eine Untertreibung. »Das Böse an sich ist mein zentrales Thema«, erklärt Talberg, »das Böse im Menschen, in der Gesellschaft«. Manchmal spricht er auch von »Yetser Hara«, dem Trieb zum Bösen. »Dadurch, dass ich als Künstler mich damit auseinandersetze, wird es für mich zumindest neutralisiert.« Das sind die Worte eines Chemikers, eines »Alchemisten der Kunst«, als der er sich auch begreift. Das Böse bildet auch den Hintergrund für sein Projekt der »Jakobsleiter«, das vieles zugleich sein soll. Ein Mahnmal für die Schrecken des Holocaust, ein sichtbares Zeichen gegen Rassismus und Gewalt, und ein »Symbol der Hoffnung«, das sich an alle wendet.

Der Name des Kunstwerks ist an die biblische Geschichte Jakobs angelehnt, der im Traum eine Himmelsleiter erblickt. Tatsächlich aber waren es sehr irdische Begebenheiten, die Talberg auf die Idee für die »Jakobsleiter« brachten. Zunächst war da der Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz, wo er in einer der Vitrinen den Koffer der Offenbacher Fabrikantenfamilie Schönhof entdeckte. Ende 2007 dann wird Talberg Zeuge einer Neonazidemonstration in Offenbach. »Für mich war das ein absoluter Affront. Das hieß, ich musste das Thema wieder aufgreifen.«

Polarisierung Das Thema aufgegriffen hat längst auch die Politik. Seit Monaten wird im Offenbacher Stadtparlament über einen geeigneten Standort für das Monument diskutiert. Der von Talberg ursprünglich bevorzugte Max-Willner-Platz, benannt nach dem langjährigen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Offenbach, wird von den meisten Parteien abgelehnt, weil für ihn bereits ein Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben wurde. Andere Plätze erwiesen sich aufgrund fehlender Blickachsen als ungeeignet. Mit dem letzten Vorschlag der Grünen hingegen, das Denkmal auf dem zentral gelegenen Aliceplatz aufzustellen, könnte der Künstler sich durchaus anfreunden. Eine Entscheidung des Stadtparlaments steht noch aus.

»Im Grunde«, glaubt Talberg, »sind alle Parteien für das Kunstwerk.« Zumal sich ein anonymer Spender bereit erklärt hat, Produktion und Aufstellung des Kunstwerks zu bezahlen und damit die notorisch klamme Offenbacher Stadtkasse zu entlasten.

»Kunst muss polarisieren«, lautet ein Credo Talbergs, »auch politisch«. Mit dem Projekt »Jakobsleiter« ist ihm dies zweifellos gelungen. Auf einschlägigen rechtsextremen Internetseiten lässt sich der braune Mob bereits seit einigen Monaten über »den Juden Talberg« und seine »entartete Kunst« aus. Teilweise wurde auch schon zur Gewalt aufgerufen. Talberg selbst kann damit umgehen. »Das zeigt mir nur, wie notwendig das Mahnmal ist.«

www.rubentalberg.com

Thüringen

Fundstücke mit Haken und Ösen

Erstmals und vorerst einmalig wurden in Erfurt vier neu gefundene Stücke aus dem mittelalterlich-jüdischen Schatz vorgestellt

von Esther Goldberg  20.06.2025

Jewrovision

»Wir hatten den Süßheitsfaktor«

Die Juze-Leiter Sofia aus Aachen und Lenny aus Köln über Gänsehaut, ihren ersten gemeinsamen Sieg und eine NRW-After-Jewro-Party

von Christine Schmitt  19.06.2025

Illustratorin

Gemaltes Augenzwinkern

Lihie Jacob erhielt den Jüdischen Kinderbuchpreis 2025. Ein Besuch bei der Künstlerin

von Alicia Rust  19.06.2025

Sicherheit

Spürbare Sorgen

Infolge des Kriegs mit dem Iran wurde der Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt. In Mannheim wurde schon die »Meile der Religionen« abgesagt. Wie stellen sich Gemeinden auf die neue Bedrohungslage ein? Wir haben nachgefragt

von Christine Schmitt  19.06.2025

Erfurt

Neue Stücke eines jüdischen Schatzes aufgetaucht

Der 1998 in Erfurt gefundene jüdische Schatz gilt als der bedeutendste archäologische Fund der vergangenen 100 Jahre im Erfurter Stadtgebiet. Nun sind bislang unbekannte Stücke aufgetaucht

von Matthias Thüsing  18.06.2025

Jubiläum

Neue musikalische Pfade

Das Jewish Chamber Orchestra Munich unter Leitung von Daniel Grossmann feiert sein 20-jähriges Bestehen

von Ellen Presser  18.06.2025

Frankfurt am Main

Jüdische Gemeinde sagt »Resonanzräume«-Festival ab

Grund ist die »die aktuelle Eskalation der Situation zwischen Israel und dem Iran«, so die Kulturabteilung

 17.06.2025

Lesung

Ein zeitgenössisches Märchen

Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter stellte im Literaturhaus seinen neuen Roman »Stadt der Hunde« vor

von Luis Gruhler  16.06.2025

Urteil

Sicherungsverwahrung nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

Der Mann hatte die Tat eingeräumt und von »Stimmen« berichtet, die ihn zu dem Brandanschlag aufgefordert hatten

von Jörg Nielsen  16.06.2025