Berlin

»Agieren im Jetzt«

Neuland: Mit der Methode der »Rapid-Response-Intervention« will Léontine Meijer-van Mensch aktuelle Ereignisse künftig unmittelbar aufgreifen, um mit den Museumsbesuchern in Dialog zu treten – innerhalb wie außerhalb der Museumsräume. »Das können laute, aber auch leise Themen sein«, erläutert die Programmdirektorin des Jüdischen Museums.

Wie die Bezeichnung nahelegt, geht es um Intervention, Partizipation und aktive Auseinandersetzung als Schlüssel, um Gegenwart zu begreifen, der vor allem junge Besucher einlädt, gesellschaftlich relevante Themen zu reflektieren. Der Akzent wird dabei, so die Idee, künftig vor allem auf innerjüdischen Debatten liegen. Die Methode soll zudem verstärkt in dem neuen Sammlungsbereich Zeitgeschichte eingesetzt werden.

methode In der Rapid-Response-Vitrine zeigt sich das erweiterte Verständnis der Programmdirektorin von Museumspädagogik. »Museen sind diskursive Räume. Wir müssen künftig schneller auf aktuelle Ereignisse, die die Gesellschaft bewegen, reagieren können – auch um als Museum in 25 Jahren noch relevant zu sein«, sagte Meijer-van Mensch bei der Vorstellung des Projekts. Mit der Methode will das Museum diesen Diskurs nun aktiver gestalten. Das Mittel ist denkbar schlicht – und dabei umso wirkungsvoller.

Den Auftakt macht seit dem 31. Mai ein Ereignis, das Ende April ein lautstarkes gesellschaftliches Echo auslöste: Nachdem ein junger, Kippa tragender arabischer Israeli in Berlin-Prenzlauer Berg antisemitisch angegriffen worden war, rief die Jüdische Gemeinde Berlin zu einer Solidaritätskundgebung unter dem Motto »Berlin trägt Kippa« auf. Rund 2500 Personen versammelten sich daraufhin wenige Tage später vor dem Jüdischen Gemeindehaus in Berlin-Charlottenburg. Viele der Anwesenden trugen als Zeichen der Solidarität eine Kippa.

Bei dem neuen Format gehe es jedoch nicht in erster Linie um die Kippa als ein museales Ausstellungsstück oder »auratisch aufgeladenes Objekt«, betonte die Programmdirektorin, sondern vor allem darum, die innerjüdischen Reaktionen – wie Kundgebung und Flashmobs – auf diesen Angriff zu reflektieren. »Wir wollen in Dialog mit unseren Besuchern darüber treten: Was hat die Kippa bewirkt, was hat sie angestoßen?«

umfeld Dazu werden Objekte und Fotos aus dem Umfeld der Solidaritätskundgebung gezeigt. Über der Vitrine mit der Kippa sind ein Flyer mit dem Gemeinde-Aufruf, ein Zeitungsartikel und drei Fotos von Teilnehmern der Kippa-Demo an die Wand gepinnt; daneben hängt ein Plakat mit dem Satz: »Das Judentum gehört zu Deutschland!«

Das Plakat hat Gerda Ehrlich dem Museum zur Verfügung gestellt – die Berliner Aktivistin hat es selbst gebastelt und bei der Solidaritätskundgebung getragen. Ehrlich ist dann auch die erste Besucherin, die ihre Gedanken zu Intoleranz und Antisemitismus in einem der drei tagebuchartigen Hefte mit dunklem Einband festhält, die links neben der Kippa-Vitrine von der Decke herabhängen. Ehrlich überlegt kurz. Während sie ihre Gedanken in eines der Hefte notiert, wirkt sie so vertieft, dass sie den Besucherstrom um sich herum kaum bemerkt. Es ist ein fast intimer Moment.

Genau darauf hoffen die Ausstellungsmacher: dass die Besucher in sich gehen. »Sie könnten sich zum Beispiel fragen: ›Was hat das mit mir zu tun? Wie tolerant ist Deutschland eigentlich? Was kann ich selbst tun? Welche nachhaltigen Wirkungen haben symbolische Aktionen? Wie gefährlich ist das Tragen religiöser Kopfbedeckungen heutzutage?‹«, regt Léontine Meijer-van Mensch an. Durch die subjektive Beschäftigung mit einem objektiven Thema könne das Museum langanhaltend etwas bewirken, sind die Macher überzeugt. Die Antworten sollen gesammelt und anschließend in den sozialen Medien ausgewertet werden.

perspektive Léontine Meijer-van Mensch hat dabei auch eine langfristige Perspektive im Blick. »Spürsinn für Relevanzen als eine Art ›journalistischen Instant-Kommentar‹ zu entwickeln und das dann auch gleich ins Museale aufzunehmen und dadurch viel stärker in Dialog zu treten mit unseren Besuchern – das hoffen wir anzustoßen«, sagt die Programmdirektorin. Denn Museen sollten nicht nur Orte sein, in denen Besucher »retrospektiv mit wissenschaftlicher Objektivität und Distanz auf Geschehnisse reagieren, sondern viel stärker im Jetzt agieren«.

Das Museum trifft damit einen Nerv. Das Format ist zeitgemäß, modern, schnell und gegenwärtig, und es reagiert auf die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen bezüglich sozialer Medien. Die Rapid Response ist eine neue professionelle Form, die bislang eher außerhalb Deutschlands zum museologischen Mainstream gehört. Spannend dürfte es vor allem sein, zu sehen, wie das JMB die Balance zwischen Wissenschaftlichkeit und Subjektivität auslotet.

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025