Luach

Zwischen Sonne und Mond

»In vielen alten Machsorim (Gebetsbüchern) finden wir gerade zu den Feiertagen den Kreis mit zwölf Tierzeichen.« Foto: Ullstein

Rabbi Soussan, warum feiern die Juden Neujahr im Herbst?
Wann denn sonst? Mitten im Winter ein Jahr zu beginnen, macht eigentlich keinen Sinn – sondern am Ende einer Jahreszeit. Wir sind jetzt am Ende des Sommers angekommen, und der Herbst beginnt.

Wofür steht Rosch Haschana?
An Rosch Haschana wurde laut der jüdischen Tradition die Erschaffung der Welt vollendet. Es gibt sogar einen kleinen Hinweis darauf gleich am Anfang der Tora: Wenn man die ersten hebräischen Buchstaben nimmt, »Bereschit«, und sie durcheinanderwürfelt, ergibt sich »Be-Tischri« – das bedeutet: im Monat Tischri. Der Mensch wurde am 1. Tischri erschaffen – jedenfalls laut einer bestimmten Meinung im Talmud.

Der Name »Tischri« stammt aus einer altsemitischen Sprache. Leiten sich die jüdischen Monate nicht aus dem Hebräischen ab?
Alle jüdischen Monatsnamen sind eigentlich babylonischen Ursprungs. In der Tora gibt es nur die Zählung: erster Monat, zweiter Monat, dritter Monat und so weiter.

Sollten wir lieber nach dem jüdischen Kalender leben?
Das Judentum zeichnet sich gerade dadurch aus, dass wir nicht im Elfenbeinturm leben müssen, sondern dass wir überall, wo wir sind, ein Teil der Gesellschaft werden. Und deshalb ist es selbstverständlich für uns, dass wir auch in der »normalen« Zeitrechnung denken und leben, dass wir ein Steuerjahr und Schuljahr haben. Aber natürlich ist es auch schön zu sehen, dass die jüdische Zählung das jüdische Jahr spiegelt. Alle Daten, von der Tora angefangen, spiegeln Besonderheiten und haben damit immer auch eine Geschichte zu erzählen. Und eine der schönsten Geschichten ist die Schöpfungsgeschichte zu Rosch Haschana.

Was unterscheidet den jüdischen vom gregorianischen oder »kirchlichen« Kalender?
Der kirchliche Kalender richtet sich nach der Sonne. Die Muslime wiederum richten sich nach dem Mond. Der jüdische Kalender wiederum richtet sich nach beiden, nach Sonne und Mond. Ein Sonnenjahr, die Umkreisung der Erde durch die Sonne, dauert in der Regel 365 Tage (manchmal 366). Die Umkreisung der Erde durch den Mond dagegen dauert 29 bis 30 Tage. Wenn man das mathematisch ausrechnet, ergibt 29,5 mal 12 genau 354 Tage, was durchschnittlich elf Tage im Jahr »zu wenig« sind. Und damit »rutscht« der Mondkalender sozusagen rückwärts. Das darf im Judentum aber nicht passieren, zum Beispiel deshalb, weil Pessach ein Frühlingsfest ist, und wenn wir das so machen würden wie die Muslime, dann würde Pessach im Jahr rückwärts wandern und würde sich in den Winter hinein verschieben.

Was kann man dagegen tun?
Damit das nicht passiert, hat der jüdische Kalender einen Schaltmonat. Dafür nehmen wir den Monat Adar, der in der ursprünglichen Zählung der Tora der letzte Monat des Jahres ist. Der wird einfach verdoppelt. In 19 Jahren hat der jüdische Kalender sieben Schaltjahre.

Ist das nicht sehr ungenau?
Nein! Das Spannende ist, dass es mittlerweile Messungen gibt, dass diese scheinbar willkürliche Hin- und Herfügung viel genauer ist als alle gängigen Kalender. Alle 19 Jahre ist der jüdische Kalender wieder so genau, dass er mit dem Sonnenjahr übereinstimmt. Wobei selbst der gregorianische Kalender diverse Sekunden pro Hundert Jahre vom Sonnenjahr abweicht – mathematisch gesehen um vieles mehr als der jüdische Kalender.

Welche Rolle spielt Astrologie im Judentum?

Rosch Haschana fällt in den September oder Oktober und steht im Zeichen der Waage. Manche sagen, das liegt daran, dass an diesem Tag die Taten des Menschen gewogen werden. In vielen alten Machsorim (Gebetsbüchern) finden wir gerade zu den Feiertagen den Kreis mit zwölf Tierzeichen. Andererseits sagt der Talmud: »Ein Masal le-Israel« (Israel kennt keinen Glücksstern). Wir sind nicht von Sternen abhängig, wenn wir uns an die Tora halten.

Mit Rabbiner Julian-Chaim Soussan von der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main sprach Ayala Goldmann.

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 29.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025

Rom

Eklat durch NS-Vergleich bei interreligiösem Kongress

Der Dialog zwischen katholischer Kirche und Judentum ist heikel. Wie schwierig das Gespräch sein kann, wurde jetzt bei einem Kongress in Rom schlagartig deutlich. Jüdische Vertreter sprachen von einem Tiefpunkt

von Ludwig Ring-Eifel  27.10.2025

Talmudisches

Das Schicksal der Berurja

Die rätselhafte Geschichte einer Frau zwischen Märtyrertum und Missverständnis

von Yizhak Ahren  24.10.2025

Schöpfung

Glauben Juden an Dinosaurier?

Der Fund der ersten Urzeitskelette stellte auch jüdische Gelehrte vor Fragen. Doch sie fanden Lösungen, das Alter der Knochen mit der Zeitrechnung der Tora zu vereinen

von Rabbiner Dovid Gernetz  23.10.2025