Kislew

Zeit des Regenbogens

Blick auf die Stadt Nablus im Westjordanland Foto: Flash 90

Existieren Wunder nur virtuell, oder können sie auch heute noch wahr werden? In wenigen Wochen werden Chanukkakerzen die langen, dunklen Nächte des Wintermonats Kislew erhellen – und uns an die Wiedereinweihung des Tempels erinnern. Doch gibt es heute tatsächlich noch Wunder, von denen wir träumen? Und welche Bedeutung hat für uns der Monat Kislew?

Der Hohepriester trug einen Brustschild (hebräisch Choschen). An diesem waren für die zwölf Stämme Israels zwölf unterschiedliche Steine angebracht. Diese symbolisierten laut Kabbala auch die zwölf jüdischen Monate. Der Stein Achlama steht dabei für den Monat Kislew.

Welcher Stein heute mit dem Achlama vergleichbar ist, ist nicht genau geklärt. Einige nennen ihn Kristall, andere Amethyst. Die Wurzel des hebräischen Wortes Achlama ist Chet, Lamed und Mem. Das Wort Chalom, der Traum, hat die gleiche Wurzel. Hier zeigt sich eine besondere Verbindung zwischen dem Monat Kislew und dem Wort Traum und seiner Bedeutung.

Im Monat Kislew lesen wir in der Tora neun der zehn Träume, die im ersten Buch Mose vorkommen. Der bekannteste davon ist Jakows Traum. In den Kislew fallen auch die längsten Nächte des Jahres – somit haben wir lange Zeit zum Träumen. Wir betrachten aber nicht nur die Träume der Nacht, sondern auch diejenigen, die wir in Zukunft verwirklichen wollen.

Sternzeichen
Das Sternzeichen des Monats Kislew ist Keschet – der Bogen. Es kann sich dabei um den Regenbogen (Keschet beAnan), aber auch um Pfeil und Bogen (Chez waKeschet) handeln. Ein Regenbogen – die erste Lesart – ist eine wunderschöne Himmelserscheinung, die für uns jedoch nicht greifbar ist.

Andererseits steht der Regenbogen auch für den Bund (Brit) zwischen G’tt und Noach, der im Monat Kislew, nach dem Ende der Sintflut am 27. des Monats Cheschwan, geschlossen wurde: ein Zeichen dafür, dass die Sintflut nicht mehr über die Menschheit hereinbrechen wird. Träume gehören in den Bereich des Unterbewussten. Der Regenbogen symbolisiert den Traum, das Unterbewusste. Durch den Bund wird er Realität und geht in unser Bewusstsein über.

Wenn wir uns der zweiten Übersetzungsmöglichkeit von »Keschet« zuwenden, dem Bogen, dann ist er Teil einer Waffe, auch wenn uns der halbrunde Bogen in seiner Form an einen Regenbogen erinnert. Waffen haben unterschiedliche Stärken und Funktionen. Zum Beispiel ist der Kampf mit Degen, Schwert oder Messer ein direkter Kampf mit einem realen Gegner. Das Werkzeug Bogen zielt jedoch daraufhin ab, ein weit entferntes Ziel zu fokussieren. Ob man das Ziel dabei trifft, ist jedoch ungewiss.

Gebet Der Ablauf beim Bogen ist im Vergleich zum Regenbogen umgekehrt, vom Bekannten zum Unbekannten. Ein Gebet symbolisiert einen Kampf gegen uns selbst, gegen in uns eventuell schlummernde schlechte Triebe und wird im Chassidismus als Keschet (Bogen) bezeichnet. Das Gebet soll gegen die schlechten Strömungen im Unterbewusstsein wirken. Die Bewegungsrichtung, der Kampf, ist hier auch vom Bewusstsein, dem aktiven Gebet und einem ordentlichen Lebenswandel hin zum Unterbewusstsein, den bösen Trieben. Im Judentum ist der Umgang mit biblischen Träumen nicht nur eine Analyse der Seele, sondern auch eine Feststellung, was die Zeichen der Träume für unsere Realität zu bedeuten haben.

Die Propheten und unsere Vorfahren wie Jakow waren in der Lage, die Botschaften G’ttes in ihren Träumen zu entschlüsseln, zu verstehen und in die Realität umzusetzen. Wir kennen den Traum des Pharao: sieben fette und sieben dürre Jahre. Durch die Deutung Josefs wurde die Botschaft verstanden und umgesetzt.

Im Monat Kislew gibt es zwei Hauptereignisse, die dem Regenbogen und dem Bogen entsprechen. Zunächst betrachten wir den Kampf der Makkabäer um den Tempel. Die Makkabäer kämpften gegen die Griechen, denn sie wollten den Tempeldienst wieder einführen. Ihr Krieg war ein Krieg gegen Unterdrückung, für Unabhängigkeit und freie Ausübung der Religion.

realität Zu Beginn schien ein Sieg in diesem Krieg wie ein Traum, der nie wahr werden konnte, denn es war ein Kampf gegen eine voll ausgerüstete griechische Armee, ein Imperium. Die Makkabäer waren Kohanim (Priester), und die Kunst des Kämpfens lag ihnen fern. Doch weil sie trotzdem in der Lage waren, an ihrem Traum festzuhalten, wurde er Realität, und sie gingen aus dem Kampf als Sieger und Helden hervor.

Der Traum, das Imperium zu besiegen, steht für den Regenbogen, vom Ungreifbaren zum Greifbaren – zum Sieg. Der Kampf für den Erhalt des Glaubens war das Motto und der Motor, ein Kampf für den Monotheismus, der in direktem Bezug zum Bogen steht: von der Realität, der Kampfansage bis hin zur Ungewissheit, wie der Glaube in Zukunft im Volk gefestigt werden kann.

Viele Jahre zuvor hatte sich im Monat Kislew eine Begebenheit abgespielt, die beide Aspekte des Bogens widerspiegelt. Im Buch Esra 10,9 steht geschrieben: »Und es versammelten sich alle Männer von Jehuda und Benjamin nach Jeruschalajim binnen drei Tagen; das war im neunten Monat, am 20. Tag; und das ganze Volk saß auf dem Platze von dem G’tteshaus, zitternd wegen der Angelegenheit und wegen des Regens.«

Esra Nach der Zerstörung des Ersten Tempels war Esra – ein Mann, der aus der Familie der Hohepriester stammte –, ein Führer in Babylon. Aufgrund seiner genialen Kenntnisse der Tora wurde er verehrt und erhielt den Beinahmen Esra HaSofer (der Schreiber). Der damalige König von Persien ermächtigte ihn, sowohl über die Juden in Babylon als auch über die Ausübung ihrer Religion zu wachen.

Die Juden waren den Persern sehr zugetan. Die persische Regierung wiederum wollte die Kraft der Juden in ihrem Lande nutzen, um sich gegen die Ägypter zu wappnen. Nach der Zerstörung des Ersten Tempels gingen die vertriebenen Juden nach Babylon in die Diaspora. Der Bau des Zweiten Tempels wurde zum Teil durch diese Juden finanziert und unterstützt.

tempel Im Jahre 457 v.d.Z., 60 Jahre nach der Einweihung des Zweiten Tempels, kam Esra nach Jerusalem zurück. Der persische König hatte ihm zuvor die Erlaubnis erteilt, gesammelte Gelder und Spenden der Juden Babylons nach Jerusalem zu bringen. Gleichzeitig war er befugt, in der Region Israels als Richter zu walten und weitere Richter zu ernennen.

Parallel dazu hatte Esra einen Traum. Er war direkter Nachfahre der Kohanim – einer Dynastie, der allein das Torastudium vorbehalten war. Er war aber auch ein Revolutionär, denn sein Anliegen war der Zugang zum Torastudium für alle. Seit Esras Zeit gibt es einige neue Regeln, wie zum Beispiel das Lesen der Tora am Montag und Donnerstag, den wöchentlichen Toraabschnitt et cetera.

Esra war es auch, der das Althebräische änderte, eine Vereinfachung einführte und somit eine neue Schrift prägte. Unsere heutige Schrift weicht nur noch sehr geringfügig von derjenigen Esras ab.

Jeschiwot Selbstverständlich oblag den Kohanim weiterhin die Tempelarbeit, aber Esra machte den Zugang zur Toralehre für alle möglich. Es formierten sich erste Jeschiwot, das Wissen für die Masse stand an erster Stelle. Mit der Sendung Esras nach Israel verfolgte der persische König nur die Erhaltung seiner politischen Macht. Doch Esra verwirklichte dadurch seinen eigenen Traum. Er wollte den Zugang zur Tora für alle, ein Traum, der vom Ungewissen in die Realität führte, wie der Regenbogen. Dafür aber musste er kämpfen – wie der gespannte Bogen.

Bis heute kennen wir Träume, die wahr wurden – frei nach Theodor Herzl: »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen!« Oder lassen Sie es uns mit anderen Worten im Sinne des Monats Kislew sagen: Wenn ihr wollt, ist es kein Traum!

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Toldot

Jäger und Kämpfer

Warum Jizchak seinen Sohn Esaw und nicht dessen Bruder Jakow segnen wollte

von Rabbiner Bryan Weisz  29.11.2024

Talmudisches

Elf Richtlinien

Wie unsere Weisen Psalm 15 auslegten

von Yizhak Ahren  29.11.2024

Ethik

»Freue dich nicht, wenn dein Feind fällt«

Manche Israelis feiern auf den Straßen, wenn Terroristenführer getötet werden. Doch es gibt rabbinische Auslegungen, die jene Freude über den Tod von Feinden kritisch sehen

von Rabbiner Dovid Gernetz  29.11.2024

Potsdam

In der Tradition des liberalen deutschen Judentums

Die Nathan Peter Levinson Stiftung erinnerte an ihren Namensgeber

 28.11.2024

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  28.11.2024

Berlin

Spendenkampagne für House of One startet

Unter dem Dach des House of One sollen künftig eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee Platz finden

von Bettina Gabbe, Jens Büttner  25.11.2024

Chaje Sara

Handeln für Generationen

Was ein Grundstückskauf und eine Eheanbahnung mit der Bindung zum Heiligen Land zu tun haben

von Rabbiner Joel Berger  22.11.2024

Talmudisches

Elefant

Was unsere Weisen über die Dickhäuter lehrten

von Rabbiner Netanel Olhoeft  22.11.2024