Korach

Vor Gott sind alle gleich

Im Gegensatz zum Konzept eines Diktators ist nach jüdischer Auffassung jeder Anführer ein Diener. Foto: erhui1979

Korach war ein Cousin der Geschwister Mosche, Aharon und Mirjam; denn die Väter, Amram und Jizhar, waren Brüder. Diese Verwandtschaft hat Korach jedoch nicht daran gehindert, einen Aufstand gegen Mosche Rabbenu, den größten aller Propheten, zu organisieren. Er war ein aufstrebender Mann, der eine Koalition der Unzufriedenen zustandebrachte.

Bei näherer Betrachtung erweist sich die Geschichte der Revolte von Korach und seinen Mitstreitern als überaus komplex. Unsere klassischen Kommentatoren haben viele Fragen aufgeworfen und sind, was kaum überraschen dürfte, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.

Rebellion In der Tora ist ausdrücklich vermerkt, dass die Rebellion nicht nur gegen Autoritäten gerichtet war, sondern gleichzeitig gegen Gott. So lesen wir im Wochenabschnitt Pinchas: »Es sind dies Datan und Awiram, Berufene zur Versammlung, die gegen Mosche und Aharon mit der Gemeinde Korachs Streit erregt haben, als sie gegen Gott Streit erregten« (4. Buch Mose 26,9).

Im selben Wochenabschnitt wird berichtet, was die fünf Töchter Zelafchads sagten: »Unser Vater ist in der Wüste gestorben, und er war nicht unter der Gemeinde, die sich zusammengerottet wider den Ewigen unter dem Anhang Korachs, sondern durch seine Einzelsünde ist er gestorben« (27,3). Korach hat also nicht das Judentum vorangebracht, sondern die Gottlosigkeit (Talmud Jeruschalmi, Sanhedrin 10:1).

Mit unverhüllter atheistischer Propaganda hätte Korach in der Wüste natürlich keine Anhänger gewinnen können. Vielmehr warfen die Rebellen Mosche und Aharon vor: »Ihr maßt euch zu viel an, denn die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig, und unter ihnen ist Gott. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde Gottes?« (16,3).

Der einstige britische Oberrabbiner Jo­seph Herman Hertz (1872–1946) kommentierte: »Korach spielte sich mit dem Instinkt des echten Demagogen als Volksmann gegen die von ihm behauptete Diktatorenstellung von Mosche und Aharon auf, der zwei Brüder, die alle Macht und Autorität in Israel an sich gerissen hätten.«

Die provokative Behauptung der Rebellen: »Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde Gottes?« wiederholen dann Datan und Awiram Mosche gegenüber mit anderen Worten: »Ist es nicht genug, dass du uns herausgeführt hast aus einem Land, in dem Milch und Honig fließen, um uns in der Wüste umzubringen? Dass du dir jetzt auch noch anmaßt, Herrscher über uns zu sein?« (16,13).

Anspruch Glaubten die Rebellen, dass es überhaupt ohne Führer geht? Nein, sie waren keine Anarchisten. Korach fühlte sich übergangen und beanspruchte daher für sich eine Führungsposition. Die Ansicht, dass sich ein Anführer über sein Volk erheben darf, ist grundfalsch, denn vor Gott sind alle gleich.

Im Gegensatz zum Konzept eines Diktators ist nach jüdischer Auffassung jeder Anführer ein Diener. »Führen heißt Dienen« (Babylonischer Talmud, Horajot 10ab). Der machtgierige Korach hatte offensichtlich ein anderes Amtsverständnis.

Mosche durchschaute die Absicht seiner Gegner und schlug ihnen einen Test vor, bei dem der Ewige die Entscheidung zwischen den Parteien treffen würde: »Und er sprach zu Korach und seiner Gruppe: Lasst es Morgen werden, dann wird Gott kund tun, wer der Seine ist, und wer der Heilige, dass Er ihn zu sich nahen lasse (…) Nehmt euch Räucherpfannen, Korach und seine ganze Gruppe, gebt in sie Feuer und legt auf sie Räucherwerk morgen vor Gott, und dann wird es sein: Der Mann, den Gott erwählen wird, der ist der Heilige – ihr wollt zu viel, ihr Söhne Levis« (16, 5–7).

Wie Raschi (1040–1105) in seinem Kommentar erklärt, warnte Mosche seine Widersacher, dass der vorgeschlagene Test ihnen den Tod bringen kann. Er hoffte wohl, dass diese trübe Aussicht sie abschrecken werde.

Bedenkzeit Weshalb setzte er die Prüfung auf den nächsten Tag an? Damit seine Gegner Bedenkzeit haben und vielleicht Vernunft annehmen und von der Prüfung zurückschrecken würden. Korach wollte eine bestimmte Führungsposition bekommen und gewiss nicht Selbstmord begehen. Warum lehnte er die lebensgefährliche Prüfung nicht ab?

Der amerikanische chassidische Rabbiner Abraham Twerski gibt auf diese Frage folgende Antwort: Korach war sich sehr wohl der Gefahr bewusst und hat sie doch nicht gemieden, weil er der Meinung war, er werde die Prüfung mit Sicherheit bestehen. Er hat sich selbst getäuscht; er war völlig davon überzeugt, dass er die wahren Interessen des Volkes vertritt und Gottes Willen erfüllt. Er verkannte, dass er in Wirklichkeit egoistische Interessen verfolgte.

Eine so verhängnisvolle Blindheit kann man, wie Rabbi Twerski anmerkt, der als Therapeut viele Erfahrungen gesammelt hat, auch heute häufig beobachten.

Umtriebige Leute nennen manchmal ideologische Gründe, wenn sie eine Splittergruppe ins Leben rufen – doch in Wirklichkeit geht es ihnen nur darum, eine Führungsposition für sich einzurichten. Nach Rabbiner Twerskis Interpretation ist der Fall Korach eine Warnung vor Selbstbetrug!

streitkultur Man hat das Judentum als eine Diskussionskultur bezeichnet. Es gibt in der Tat unzählige Meinungsverschiedenheiten, die im Rahmen des Torastudiums sorgfältig analysiert werden.

Eine Mischna in den »Sprüchen der Väter« lehrt uns, zwischen zwei Arten von Meinungsverschiedenheiten zu unterscheiden: »Jeder Meinungsstreit, der in edler Absicht geführt wird, hat am Ende Bestand. Wenn er aber nicht in edler Absicht geführt wird, hat er am Ende keinen Bestand. Welcher Meinungsstreit wurde in edler Absicht geführt? Der zwischen Hillel und Schammai. Welcher Meinungsstreit wurde nicht in edler Absicht geführt? Der Streit des Korach und seiner Rotte« (Kap. 5,20).

Es kommt also in der Bewertung eines Streits auf die Motive der Beteiligten an. Welche Gründe sind nur vorgeschoben? Um was geht es wirklich? Korachs Wille zur Macht führte zum Untergang, doch Hillels und Schammais religionsgesetzliche Auseinandersetzungen haben einen bleibenden Wert.

Pfannen Der Pfannentest beendete den Streit um die Priesterschaft. Aus den kupfernen Pfannen wurden später auf Anweisung des Ewigen dünn geschlagene Bleche zu einem Überzug für den Altar gemacht: »Zur Erinnerung für die Söhne Israels, damit nicht ein Fremder, der nicht von Aharons Nachkommen ist, nahetrete, Rauchgabe vor Gott aufdampfen zu lassen, und er nicht werde wie Korach und seine Gruppe, wie Gott es ihm durch Mosche hatte ankündigen lassen« (17,5).

Von Korachs Geschichte können wir etwas Wichtiges lernen: Jeder Streit, der nicht in edler Absicht geführt wird, ist tunlichst zu vermeiden. Im Talmud (Sanhedrin 110a) heißt es: »Rav lehrte: Wer einen Streit weiterführt, der übertritt ein Verbot, denn es steht geschrieben: Er sei nicht wie Korach und seine Gruppe.« Nach Rabbiner Mosche aus Coucy ist dieses Verbot sogar eines der 613 Toragebote (Sefer Mitzwot Gadol, Verbot Nr. 157).

Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Worte der Weisen. Glossen zum Talmud« (2019).

inhalt
Korach und seine Anhänger Datan und Awiram rebellieren gegen die beiden Anführer Mosche und Aharon. Der Ewige selbst bestraft den Putschversuch und lässt sowohl Korach als auch seine Anhänger vom Erdboden verschlingen. Andere Sympathisanten Korachs werden durch ein himmlisches Feuer verzehrt. Dennoch herrscht Unmut unter den Israeliten. Darauf folgt eine Seuche, die von Aharon beendet wird. Um seine Position an der Spitze zu verdeutlichen, sollen die Anführer jedes Stammes ihren Stab ins Stiftszelt bringen. Und siehe da: Aharons Stab treibt Blüten.
4. Buch Mose 16,1 – 18,32

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