Rezension

Verteidiger der Religionsfreiheit

Rabbiner Pinchas Goldschmidt Foto: Gregor Zielke

Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) wurde 1956 gegründet, um den Aufbau der jüdischen Gemeinden in Europa zu unterstützen, die während der Schoa systematisch zerstört wurden. Diese internationale Organisation orthodoxer Rabbiner hat seit 2011 einen äußerst agilen Präsidenten: Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der in Moskau amtiert, scheut keine Reisen, knüpft Kontakte mit führenden Persönlichkeiten, hält viele Reden und publiziert hier und da Gedanken zu drängenden Fragen der Zeit. Als eine Art Tätigkeitsbericht kann man den hier vorzustellenden Band lesen; farbige Fotos dokumentieren Rabbiner Goldschmidts Begegnungen mit Prominenten (unter anderem mit Papst Franziskus).

Es ist erfreulich, dass dieses Buch ein Jahr nach der englischen Originalausgabe in deutscher Sprache vorliegt. Allerdings ist Henriette Schroeders Übersetzung leider nicht fehlerfrei. So ist ein »Gijur Katan« nicht ein »kleiner Gijur« (wie soll man sich einen solchen vorstellen?), sondern der Gijur (die Konversion) eines Kleinen.

Titel Der etwas klobige Titel An die Gemeinschaft und an die Welt gibt kund, dass der Autor sowohl jüdische als auch nichtjüdische Leser anspricht. Die Überschrift deutet zugleich an, wie der Sammelband gegliedert ist. Im ersten Teil stehen Reden an ein jüdisches Publikum; im zweiten Teil sind Texte zu lesen, die für Nichtjuden verfasst wurden.

Pinchas Goldschmidt vertritt die Interessen der jüdischen Gemeinden mit großer Leidenschaft.

Lesenswert ist auch das Vorwort des niederländischen Politikers Frans Timmermans. Der erste Vizepräsident der Europäischen Kommission hebt hervor: »Rabbiner Pinchas Goldschmidt und die jüdische Gemeinschaft insgesamt haben den interreligiösen und interkulturellen Dialog beispielhaft angeführt, und dieses Buch ist dafür ein weiteres glänzendes Beispiel.«

Entschieden vertritt der CER-Präsident die Interessen der jüdischen Gemeinden – in seinem unentwegten Einsatz für die Religionsfreiheit in Europa, der auch muslimisches Leben im Blick behält. So hat der Verfasser bei Eröffnung des König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog in Wien mitgewirkt. Bemerkenswert sind auch die praktischen Empfehlungen in seinem »Manifest zur Bekämpfung von religiösem Extremismus«, die nicht ohne Echo geblieben sind.

preis Die CER hat 2011 einen nach Rabbiner Lord Jakobovits genannten Preis des Europäischen Judentums ins Leben gerufen. Damit werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die das Judentum in herausragender Weise unterstützt haben, indem sie seine religiösen Rechte verteidigt und Antisemitismus bekämpft haben. Bisher wurde dieser Preis an Professor Jerzy Buzek, Kanzlerin Angela Merkel, Premierminister Manuel Valls und König Felipe von Spanien verliehen. Die Lobreden, die Rabbiner Goldschmidt bei den Zeremonien hielt, zeigen, wie ein modern-eleganter Umgang mit Mächtigen aussieht.

In einem Beitrag zur Debatte über Leihmutterschaft referiert der Moskauer Rabbiner halachische Quellen.

Die orthodoxe Rabbinervereinigung hat auch einen »Internet-Entrepreneur-Preis« gestiftet, um Einzelpersonen und Start-up-Unternehmen zu belohnen, die funktionsfähige Apps und Websites entwickelt haben, um mithilfe des Internets eine bessere Welt zu schaffen. Für diesen Preis, der übrigens nicht nur an jüdische Antragsteller vergeben wird, haben sich 2016 mehr als 300 Menschen beworben.

TORA Doch der vorliegende Band legt nicht nur von PR- und politischen Aktionen Zeugnis ab. An mehreren Stellen legt der Verfasser Worte der Tora aus. So zeigt er in einem Vortrag über Konversion, dass zwei talmudische Aussagen über Proselyten, die gegensätzliche Weltanschauungen zu präsentieren scheinen, keinen Widerspruch darstellen und sich in Wirklichkeit ergänzen.

Und in einem Beitrag zur Debatte über Leihmutterschaft referiert der Moskauer Rabbiner halachische Quellen und gelangt zu dem Schluss: »Daher ist es falsch, zu behaupten, dass das Judentum die Leihmutterschaft kategorisch ablehnt und dass wir eine säkulare Gesetzgebung, die diese Methode verbietet, unterstützen würden.« Mehrmals bemerkt der Autor, orthodoxe Rabbiner seien sowohl Bewahrer der Tradition als auch Repräsentanten des Wandels. Rabbiner Goldschmidts facettenreiches Werk verdeutlicht, was diese kühne These besagt.

Rabbiner Pinchas Goldschmidt: »An die Gemeinschaft und an die Welt«. Hentrich & Hentrich, Berlin 2018, 259 S., 19,90 €

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025