Bechukotaj

Regen und Segen

»Wenn ihr meinen Gesetzen nachgeht und meine Gebote beachtet und sie tut, so werde ich euch Regen geben zur rechten Zeit (…).« Foto: Getty Images

Paraschat Bechukotaj beendet das dritte Buch der Tora. Dieser Wochenabschnitt wird immer zwei Wochen vor Schawuot gelesen, damit mindestens ein Schabbat dazwischenliegt. Der Grund für diese Verfügung unserer Weisen ist, dass der Wochenabschnitt die berühmte Tochacha (Zurechtweisung) enthält.

Die Tora beschreibt ausführlich, was uns passieren wird, wenn wir dem Ewigen den Rücken kehren und Seine Gebote nicht halten. Unser Volk hat dies im Laufe der jahrtausendelangen Geschichte schon mehrmals schmerzhaft erlebt. Und damit wir uns bis Schawuot von diesen schrecklichen Vorhersagungen erholen, soll bis dahin immer ein Schabbat dazwischenliegen.

fluch Unsere Parascha enthält aber nicht nur Fluch, sondern auch Segen. Am Anfang des Wochenabschnitts erzählt uns die Tora, dass Juden, wenn sie Tora lernen und die Gebote halten, von G’tt reichlich belohnt werden: »Wenn ihr meinen Gesetzen nachgeht und meine Gebote beachtet und sie tut, so werde ich euch Regen geben zur rechten Zeit, dass die Erde gebe ihren Ertrag, und der Baum des Feldes gebe seine Frucht. Und es wird reichen bei euch das Dreschen an die Lese, und die Lese wird reichen an die Aussaat, und ihr werdet euer Brot essen zur Sättigung und werdet ruhig wohnen in eurem Land.« In weiteren Versen wird noch mehr Segen versprochen, wie Frieden und zahlreiche Nachkommen.

Das hört sich gut an. Wer wünscht sich nicht Ruhe vor Feinden und ein sorgenfreies Leben in Wohlstand? Bei denjenigen, die sich in der jüdischen Tradition auskennen, werden diese Sätze jedoch für Verwunderung sorgen.

Ist es tatsächlich so, dass die Belohnung für das Erfüllen g’ttlicher Gebote so materiell ist? Ein ruhiges sattes Leben? Und was ist mit Olam Haba, der zukünftigen Welt? Ist es nicht eines der Grundprinzipien des Judentums, dass man die Belohnung für ein frommes Leben in dieser Welt erst in der Olam Haba bekommt?

MISCHNA Dieses Prinzip findet sich ganz deutlich in der mündlichen Tora. In der Mischna steht: »Dies sind die Dinge, deren Früchte man in dieser Welt genießt, während der Hauptlohn für die kommende Welt bestimmt ist: Ehre für Vater und Mutter, gute Taten, frühzeitiges Erscheinen im Lehrhaus morgens und abends, Gastfreundschaft, Krankenbesuche, Hilfe für eine Braut, Geleit für einen Verstorbenen, Konzentration beim Gebet, Frieden stiften zwischen einem Menschen und seinem Nächsten sowie zwischen Mann und Frau« (Traktat Pea 1,1).

Daraus ist klar abzuleiten, dass man für das Tun der meisten Gebote nicht in dieser Welt belohnt wird. Für das Tefillinlegen, das Halten der Kaschrut, des Schabbats und anderer Gebote wird der ganze Lohn erst in der kommenden Welt »ausbezahlt«.

Wie lässt sich dieses Prinzip mit den Versen in unserem Wochenabschnitt vereinbaren, wo ganz klar als Lohn für das Halten der Gebote alle guten Dinge bereits in dieser Welt versprochen werden?

belohnung Diese Frage hat die großen Torakommentatoren und jüdischen Philosophen beschäftigt. Maimonides, der Rambam (1138–1204), schreibt in seinem halachischen Werk Mischne Tora, dass wir über die spirituelle Belohnung keine Information brauchen. Wir sollen die Gebote um des Himmels Willen erfüllen und nicht, um irgendeine Belohnung dafür zu erhalten.

Deshalb verspricht uns G’tt: Wenn wir uns aufrichtig wünschen, nach der Tora zu leben, dann wird Er uns diesen Wunsch dadurch ermöglichen, dass Er alle Störfaktoren beseitigt. Wir werden Ruhe und Wohlstand bekommen, um unser geistiges Leben problemlos führen zu können.

Ibn Ezra (1089–1167), ein anderer bekannter Torakommentator, meint, wir können uns die spirituelle Belohnung in der kommenden Welt gar nicht vorstellen. Deshalb hätte es wenig Sinn, wenn die Tora uns etwas versprechen würde, was wir gar nicht nachvollziehen können.

GÖTZEN Saadia Gaon (882–942) meint, dass die Juden in Ägypten Götzendiener waren. Deshalb musste die Tora betonen, dass nicht nur Spirituelles, sondern auch das Materielle von G’tt kommt. Und dass das jüdische Volk auch ohne ausgedachte Götzen mit allem Nötigen versorgt wird.

Eine weitere interessante Erklärung hat der siebte Lubawitscher Rebbe, Rabbi Menachem Mendel Schneerson (1902–1994), vorgeschlagen. Er meint, wir sollen unser Leben nicht in zwei verschiedene Teile teilen: Tefillinlegen, Torastudium, das Beten in der Synagoge sind unser spirituelles Leben – und Essen, Trinken, Eheleben sind unser »profanes« Leben. Das sei nicht das, wofür wir erschaffen sind. Denn laut dem Talmud sollen wir »wie Fische im Meer« sein: Unser ganzes Leben soll im Sinne des g’ttlichen Willens sein. Es sollen also auch vermeintlich profane Dinge Teil des spirituellen Lebens werden.

Hätte die Tora nur über die geistige Belohnung gesprochen, sagt der Rebbe, hätten wir fälschlicherweise annehmen können, dass sich die Tora nur auf unser geistiges Leben (Toralernen, Gebete) bezieht. Deshalb verspricht uns die Tora ganz materielle Belohnungen, wie Ruhe, ausreichend zu essen und zahlreiche Nachkommen, damit wir verstehen, dass auch diese Dinge ein Teil des frommen Lebens sein müssen.

HOFFNUNG Und das ist gerade das, was uns Hoffnung macht. Wir sind keine Engel, auch wir möchten ein ruhiges, anständiges und glückliches Leben führen, so wie sich alle Menschen ein glückliches Leben wünschen.
Viele denken, wenn sie nach den Geboten der Tora leben, also ein frommes Leben führen, dann werden sie kein Leben »wie im Bilderbuch« haben. Sie werden eingeschränkt sein und manches verpassen.

Doch das Gegenteil ist richtig! Die Tora verspricht an dieser Stelle, dass ein normales Leben durchaus möglich ist. Es gibt sehr vermögende fromme Juden, die jedes Jahr Hunderttausende Dollar spenden können. Es gibt fromme Wissenschaftler, manche bekamen sogar Nobelpreise. Es gibt durchaus erfolgreiche fromme jüdische Ärzte, Anwälte, Ingenieure und Start-up-Gründer. Und ihr spiritueller Teil des Lebens (Synagoge, Torastudium) hindert sie nicht an ihrem beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg.

Deshalb ist eine der wichtigen Botschaften am Anfang unseres Wochenabschnitts, dass Leiden, Askese und Armut keine Ideale der Tora sind. G’tt möchte uns mit allen guten Dingen segnen, aber dafür sollen wir uns zu einem reinen Gefäß machen, das diesen Segen verdient.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Dessau und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

inhalt
Mit dem Wochenabschnitt Bechukotaj – auf Deutsch heißt er »In meinen Satzungen« – endet Wajikra, das dritte Buch der Tora. Im Mittelpunkt steht die Verheißung des Segens für diejenigen, die den Geboten folgen: Rechtschaffenheit wird belohnt. Diesem Segen steht ein Fluch für diejenigen gegenüber, die die Gebote nicht halten. Im letzten Teil der Parascha geht es um Gaben für das Heiligtum. Sie können mit einem Gelübde verbunden sein (»Wenn der Ewige dies und jenes für mich tut, werde ich ihm das und das geben«) oder aus Dankbarkeit geleistet werden.
3. Buch Mose 26,3 – 27,34

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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