Talmudisches

Ochse, Stier und Bulle

Rabbi Jochanan sagte: »Das Beste unter dem Vieh ist der Ochse« (Bawa Betzia 86b). Foto: IMAGO/alimdi

Der Talmud nennt Ochsen und Bullen »Schor«. Er unterscheidet nicht, wie wir es heute gewohnt sind. Rawa sagt (Bawa Kamma 65b): »Denn auch ein eintägiger Stier (Schor) wird Stier genannt, und auch ein eintägiger Widder wird Widder genannt. Ein eintägiger Stier wird Stier genannt, wie es geschrieben steht: ›Wenn ein Stier oder ein Schaf oder eine Ziege geboren wird (…)‹ (3. Buch Mose 22,27)«.

Eine Ausnahme ist jedoch notiert worden. Rabbi Josej sagte: »Nie im Leben nannte ich meine Frau Frau und meinen Ochsen Ochse; meine Frau nannte ich Haus, und meinen Ochsen nannte ich Feld« (Schabbat 118b). Er beschränkt beide auf das, was aus seiner Sicht ihre »Aufgabenfelder« sind.

respekt Dies ist nicht der einzige Hinweis darauf, dass Ochsen – trotz ihres eindrucksvollen Erscheinungsbilds, das dem Menschen Respekt abverlangte – als Nutztiere gehalten wurden. Zahlreiche Stellen im Talmud beschäftigen sich mit Schäden, die ein Ochse mit seinen Hörnern anrichten kann.

Im Traktat Bawa Kamma finden sich zahlreiche Fälle. Es beginnt mit dem Satz: »Vier Hauptschädigungen gibt es: die durch den Ochsen, durch die Grube, durch das abweidende Vieh und durch den Brand« (2a). Im Folgenden diskutiert der Talmud dann verschiedene Schäden durch Ochsen.

Ein Ochse, der jemanden tötete, konnte sogar vor ein Gericht gestellt und zum Tode verurteilt werden. Dazu waren 23 Richter notwendig, nur so konnte ein Ochse verurteilt werden (Mischna Sanhedrin 1,4).

Bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels waren Ochsen auch Opfertiere. Der erste geopferte Ochse, lesen wir im Talmudtraktat Chullin, scheint ein »Einhorn« gewesen zu sein. Denn Raw Jehuda berichtet (60a), dass der Ochse, den Adam opferte, nur ein Horn hatte. Als Beweis zitiert Raw Jehuda Psalm 69, Vers 32: »Und es wird dem Ewigen besser gefallen als ein Stier, der Horn und Hufe hat.«

VORSICHT Die späteren »normalen« Ochsen des Alltags waren dann jene Tiere, vor denen die Rabbinen ausdrücklich warnen mussten. So etwa in Brachot (33a): »Rabbi Jitzchak sprach: Wer sieht, dass Ochsen auf ihn zukommen, unterbreche (sein Gebet), denn Rabbi Oschaja lehrte: Man entferne sich von einem harmlosen Ochsen 50 Ellen und von einem stößigen Ochsen, so weit das Auge reicht.« Der Talmud mahnt also zu ganz konkretem Handeln.

Weiter heißt es: »Im Namen Rabbi Meirs wurde gelehrt: Ist der Kopf des Ochsen noch im Korb mit Heu, dann steige auf das Dach und wirf die Leiter unter dir um.« Und Rabbi Schmuel fügte hinzu: »Dies gilt nur von einem schwarzen Ochsen und in den Tagen des Nissan, weil dann der Satan zwischen seinen Hörnern springt.«

Der Rat, die Leiter umzuwerfen, wird nahezu wortgleich auch im Traktat Pessachim (112b) erteilt. Diese Stelle überliefert uns jedoch auch, mit welchem Ruf man Ochsen führt oder antreibt: »Raw sagte: Der Ruf, um einen Ochsen zu führen, ist ›Hen, hen!‹. Der Ruf, um einen Löwen zu führen, ist ›Seh, seh!‹. Der Ruf, um ein Kamel zu führen, ist ›Da, da!‹. Der Ruf für Arbeiter, die Seile benutzen, um ein Schiff auf einem Fluss zu ziehen, ist ›Heleni, hajja, hejla, wehiluk, hulja!‹.«

SCHWANZ Ganz konkretes Interesse zeigte Rabbi Zejra (Schabbat 77b). Er fragte Raw Jehuda: »Warum ist der Schwanz des Ochsen lang?« Und bekam zur Antwort: »Weil der Ochse in einem Sumpf lebt und sich gegen Mücken wehren muss.«

Aus Sicht der Rabbinen nahm der Ochse eine exponierte Stellung im Tierreich ein. So sagt Rabbi Jochanan: »Das Beste unter dem Vieh ist der Ochse, das Beste unter dem Geflügel ist das Huhn« (Bawa Betzia 86b).

Und im Talmudtraktat Chagiga 13b heißt es: »Der Meister sagte: Der Löwe ist König der wilden Tiere, der Stier ist König des Viehs, der Adler ist König der Vögel; höher als sie alle ist der Mensch, und am allerhöchsten, über der ganzen Welt, ist der Heilige, gepriesen sei Er.« Ein König kann also Ehrfurcht erwecken und dennoch dienen. Ganz so wie der »Schor« im Talmud.

Wajischlach

Wahre Brüder, wahre Feinde?

Die Begegnung zwischen Jakow und Esaw war harmonisch und belastet zugleich

von Yonatan Amrani  13.12.2024

Talmudisches

Licht

Was unsere Weisen über Sonne, Mond und die Tora lehren

von Chajm Guski  13.12.2024

Hildesheimer Vortrag

Das Beste im Menschen sehen

Der Direktor der Yeshiva University, Rabbiner Ari Berman, zeigt einen Ausweg aus dem Frontendenken unserer Zeit

von Mascha Malburg  13.12.2024

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024