Philosophie

Nachdenken über das Judentum

Margarete Susman (1872-1966) Foto: picture alliance / ullstein bild

Philosophie

Nachdenken über das Judentum

Zum 150. Geburtstag von Margarete Susman erscheint jetzt eine Neuauflage von »Das Buch Hiob«

von Daniel Hoffmann  01.09.2022 00:17 Uhr

Zum 150. Geburtstag der 1872 in Hamburg geborenen, 1966 in Zürich gestorbenen Philosophin und Dichterin Margarete Susman ist jetzt im Jüdischen Verlag eine Neuausgabe ihres Buches Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes erschienen. Es ist versehen mit einem ausführlichen Nachwort der Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck, das mit einer tiefgehenden Darstellung der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses ungewöhn­lichen Buches beeindruckt.

Während 1996 bei der letzten Neuausgabe Susmans Weggefährte Hermann Levin Goldschmidt noch ein persönliches »Vorwort nach fünfzig Jahren« beisteuerte, erläutert jetzt Elisa Klapheck mit ihren reichhaltigen rabbinischen Kenntnissen und dem Hintergrund einer 2014 erschienenen umfangreichen Dissertation über Margarete Susman deren Deutung des jüdischen Schicksals im 20. Jahrhundert.

Stil Als Das Buch Hiob 1946 in einem Schweizer Verlag erschien, waren die Wege der Rezeption eng begrenzt. Die Einfuhr nach Deutschland war untersagt, und die Überlebenden der Schoa, die sich in Deutschland aufhielten, hätten aber wohl kaum die geistige Herausforderung von Susmans Deutung des jüdischen beziehungsweise ihres jüdischen Schicksals annehmen können. Hinzu kommt, dass es im philosophischen Duktus der damals bereits seit Langem veralteten Neuromantik mit ihrem opulenten, oft blumigen und deshalb bisweilen penetrant, auch komisch erscheinenden Stil verfasst ist.

Susman sieht zudem das jüdische Volk ausschließlich in seiner Diasporaexistenz fixiert, die weiterhin seine Existenzform bilden wird, auch nachdem es deren katastrophale Auswirkungen in der Schoa erlebt hat. Als man 1948 den Staat Israel ins Leben gerufen hatte, wurde jedoch dieser Grundansatz ihrer Deutung hinfällig. In einem neuen Vorwort zur zweiten Auflage ihres Buches ist Susman auf diese neue Perspektive eingegangen, das jüdische Volk jetzt auch als kriegerisches und wehrhaftes Volk ansehen zu können.

Es ist deshalb ärgerlich, dass ihre Ausführungen wiederum nicht – auch schon 1996 nicht – in der Neuausgabe des Buches abgedruckt wurden. Susmans Wahrnehmung des neuen Staates wären auch deshalb so wichtig gewesen, weil Klap­heck in ihrem Nachwort darauf hinweist, dass zahlreiche Passagen aus früheren Aufsätzen zum »Hiob-Komplex« aus der Zeit vor der Schoa in ihr Buch Hiob eingeflossen waren.

Schicksalsdeutung Liest sich dadurch ihr Buch nicht wie eine seit den historischen Ereignissen von 1948 obsolet gewordene Deutungsperspektive auf die Existenz des jüdischen Volkes? Klapheck sieht hingegen in Susmans Gedanken ein für die Gegenwart bedeutungs- und wirkungsvolles »Herüberlangen über den Abgrund« der Schoa, durch das der »Wiederaufbau nach der Zerstörung« in den Vordergrund rückt. Susmans religiöse Deutung des Schicksals der Juden vor und in der Schoa, die um die Frage nach der Schuld der Schuldlosen kreist, bezeichnet Klapheck zu Recht als inakzeptabel und unerträglich. Sie zitiert dazu aus einem Brief von Susmans früherem Lehrer, dem Rabbiner Caesar Seligmann, der nach der Lektüre ihres Buches 1947 betont haben soll, wie doch die Bibel »die Gerechtigkeit Gottes« stets verteidige.

Und in der Tat findet sich ja auch weder im werk- noch im feiertäglichen Gottesdienst das Hiob-Buch als Grundbuch der Theodizee-Problematik thematisiert, mit dem es für Philosophen bedeutsam ist. Jüdische Leser von Susmans Buch, zu deren Beruf ein intensiveres Studium der jüdischen Quellen gehört, beispielsweise Gershom Scholem, kritisierten zudem ihr Judentum und Christentum gleichermaßen berücksichtigendes Denken.

Einfluss Das gehe auf Susmans christlich geprägten Freundeskreis in der Schweiz zurück, wobei Klapheck vor allem Leonhard Ragaz hervorhebt. Mit dieser Einordnung scheint für Susmans Nachdenken über das Judentum und das jüdische Schicksal doch auch jenes Urteil seine Gültigkeit zu besitzen, das Hamburgs Oberrabbiner Joseph Carlebach über Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung fällte: es sei zwar kein jüdisches Buch, aber das Buch eines Juden.

Margarete Susman: »Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes«. Jüdischer Verlag, Berlin 2022, 192 S., 24 €

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025

Interview

»Süßes gibt’s auch in der Synagoge«

Jugendrabbiner Samuel Kantorovych über Halloween, dunkle Mächte und Hexen im Talmud

von Mascha Malburg  30.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025

Rom

Eklat durch NS-Vergleich bei interreligiösem Kongress

Der Dialog zwischen katholischer Kirche und Judentum ist heikel. Wie schwierig das Gespräch sein kann, wurde jetzt bei einem Kongress in Rom schlagartig deutlich. Jüdische Vertreter sprachen von einem Tiefpunkt

von Ludwig Ring-Eifel  27.10.2025