Chanukka

Licht aus Jerusalem

Dem Talmud (Schabbat 21b) zufolge ist es eine Pflicht, das Chanukkalicht draußen am Hauseingang zu platzieren. Foto: Getty Images

Es wurde Licht am Lichterfest. »Jüdische Weihnachten« – also Chanukka. Auch Plätzchen? Wenn sie »nach Mama schmecken«. Dazu Krapfen, hebräisch »Sufganiot«. Kerzen wie zu Weihnachten? Ja, aber weniger. An jedem der acht Chanukkatage eine Kerze mehr. Warum nicht am ersten Abend acht Kerzen und am letzten nur eine?

»In heiligen Dingen geht es nur aufwärts, nicht abwärts«, befand der einflussreiche Rabbi Hillel, der nicht zuletzt einen noch einflussreicheren Juden ethisch und geistig prägte: den Juden Jesus. Dessen Geburt wird kurz nach Chanukka gefeiert. Jesus war eben kein Christ.

kompass Man lese die Evangelien. Sie seien auch Nichtchristen und Religionsfernen als ethischer Kompass sowie als Weltliteratur empfohlen. Protestiere, wer will: Juden und Christen sind seit jeher ineinander verflochten, manche meinen: aneinander gekettet.

Diese kettenartige jüdisch-christliche Verflechtung ist den Juden weniger gut bekommen als den Christen. 2000 Jahre Geschichte, besonders die deutsche, beweisen es. Als sich »die« Deutschen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vom dreifaltigen (Vater, Sohn und Heiliger Geist) metaphysischen Gott ab- und ihrem damaligen irdischen Schein-Gott Hitler zuwandten, wurde es für die Juden noch schlimmer, und auch die Kirchen verhielten sich nicht nur im Dritten Reich wenig jesuanisch, barmherzig, brüderlich, »christlich«.

Wie die meisten anderen Völker, mit und bei denen Juden seit der Spätantike lebten, übersahen »die« Deutschen die segensreichen Leistungen der Juden für die nichtjüdische Mehrheit. Seit jeher sind »die« Diasporajuden friedliche, loya­le Bürger ihres jeweiligen Staates. Seit jeher sind sie ein geistiger und seit jeher ein wirtschaftlicher Großgewinn für ihren jeweiligen Staat. Trotzdem: seit jeher Diskriminierungen, Vertreibungen und Liquidierungen der Juden. Seit 2000 Jahren trotz jüdischen Lebenswillens und geradezu praller jüdischer Lebenslust – jüdisches Leid und Tod.

vertreibung Die Täter aber, und nicht nur die deutschen, schadeten sich selbst durch die Judenverfolgungen, -vertreibungen und -vernichtungen. Der langfristige Schaden für Wirtschaft, Wissen und Gesellschaft war immens. Von der Vertreibung jüdischen Geistes in der NS-Zeit profitierten die USA und die jüdische Gemeinschaft in Zion, die das wahrhaft wehrhafte Neu-Israel schuf.

Chanukka ist auf den ersten Blick das seltene Sinnbild der erfolgreich wehrhaften, starken Juden.

Womit wir die Brücke zwischen Neu- und Alt-Israel beziehungsweise Alt-Judäa betreten und den Chanukka-Bezug erreichen. Gefeiert wird die Befreiung des im zweiten vorchristlichen Jahrhundert autonomen Judäa von der hellenistisch-seleukidischen Unterdrückung. Geführt wurden die Juden dabei von den Makkabäern, die einen der wenigen militärisch und politisch nachhaltigen Siege in der Geschichte Alt-Israels errangen.

Chanukka ist daher auf den ersten Blick das seltene Sinnbild der erfolgreich wehrhaften, starken Juden. Ohne dass man es damals so nannte, wandten die Makkabäer die Guerilla-Strategie an – und gewannen am Ende. Will sagen: Nicht die Übermacht an Menschen und Material entscheidet, sondern »Köpfchen«, Motivation, Wille und Strategie auf der Grundlage von Wissen.

makkabäerkrieg Wissensvermittlung im Rahmen einer Art Schulpflicht wurde in Alt-Judäa erst ungefähr 100 Jahre nach dem Makkabäerkrieg institutionalisiert. Personalisiert, privat war sie bereits seit circa 500 vor der modernen Zeitrechnung üblich. Wie es im »Höre, Israel«-Gebet heißt: »Und lehre deine Söhne« beziehungsweise Kinder.

Nicht zuletzt diese altjudäische Botschaft deckt die Ursachen gegenwärtiger Nahoststrukturen sowie diasporajüdischer Offensivmentalität auf: die Tatsache, dass der winzige jüdische Staat nicht nur militärisch stärker als seine feindlichen Nachbarn ist und weshalb immer mehr seiner einstigen arabischen Feinde inzwischen die Kooperation mit »den« Juden einer Konfrontation vorziehen.

Nach 2000 Jahren Verfolgung nimmt auch das Diasporajudentum Antijudaismus nicht mehr defensiv demütig hin. Gewaltfrei, doch politisch offensiv, und als Betroffene lassen wir uns nach 2000 Jahren auch nicht mehr von Politik und Medien darüber belehren, was wir gefälligst als Antisemitismus zu verstehen haben.

gemeinwohl Jene altjudäische Botschaft erklärt Judenfreunden und Judenfeinden in der außerisraelischen Welt gleichermaßen, weshalb sie – jenseits jeder Moral und vor allem im eigenen Interesse – dankbar sein sollten, dass Juden zu ihrer Bürgerschaft zählen. Sie sind traditionell loyal, am Gemeinwohl orientiert, besser ausgebildet als der Durchschnitt, verdienen deshalb meistens gut und geben daher dem Staat ideell und materiell mehr als sie nehmen.

Oder möchte doch jemand ein dummes Kalb sein? Wenn ja, haben wir Juden, anders als von der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 bis zur Gründung Israels im Jahre 1948, eine lebens- und liebenswerte Alternative: Zion. Dort ist der Antisemitismus ein innerjüdisches Problem, die Sonne scheint öfter als hier, und die Gesellschaft ist lebensfroh jung. Sogar die israelische Wein- und Speisekultur gehört inzwischen zur Weltklasse.

Der Autor ist Historiker und Publizist, Hochschullehrer des Jahres 2017. Zuletzt erschien von ihm »Deutschjüdische Glückskinder«, je eine Fassung für Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche.

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025