Bereschit

Krone der Schöpfung

Alles dreht sich um den Menschen, er ist Sinn und Zweck – erst durch ihn zeigt sich Gott.

Was für ein Wochenabschnitt! Bereschit ist der erste, der seltsamste und komplizierteste Abschnitt der ganzen Tora. In 146 Sätzen werden die Erschaffung der Welt erzählt und die ersten zehn Menschheitsgenerationen bis Noach abgehandelt. Mit wie viel Optimismus beginnt die Bibel: »Lasset Uns einen Menschen machen«, frohlockt Gott. Und dann, fast am Ende des Wochenabschnitts, lesen wir folgendes: »Ich will die Menschen ausrotten.«

Wer schon einmal ein Möbelstück von Ikea aufgebaut hat, kann nachfühlen, wie es Gott ging: Man schwankt zwischen Euphorie und Agonie – aber am Ende steht das Regal dann doch. So klingt der letzte Satz des Wochenabschnitts dann doch wieder versöhnlich: »Noach fand Gunst in den Augen Gottes« – und rettet die Menschheit.

missverständnis Die Geschichte bis Noach ist jedoch ein großes Missverständnis zwischen Gott und dem Menschen. Was sich der Weltenlenker erhofft hatte, ist nicht eingetroffen. Der Mensch sündigt gegen Ihn. Mehrere Male werden im Wochenabschnitt die menschlichen Vergehen aufgelistet: Chawa verleitet Adam zur Sünde, Kajin erschlägt Hewel, und nach zehn Generationen sieht die allgemeine Lage so aus, dass Gott alles wieder auslöschen will. Nochmals die oben erwähnte Stelle: »Ich will den Menschen ausrotten. (…) Denn Ich bereue, was Ich erschaffen habe.«

Wie ist es möglich, dass die Erschaffung des Universums so gut abläuft, der Mensch sich aber wieder und wieder gegen den Ewigen auflehnt? Die Antwort ist: Der freie Wille ordnet sich niemandem unter, auch – oder vor allem – Gott nicht.

Mit zwei Ausdrücken beschreibt die Tora, wie Gott den Menschen erschaffen hat. Zuerst sagt er: »Na’ase – lasst Uns einen Menschen machen« (1. Buch Mose 26). Gleich darauf steht aber: »Wajiwra – und Gott erschuf den Menschen.«

Einen Menschen kann man nicht »machen«. Der Ewige »erschuf« ihn. Mit anderen Worten: Der Mensch ist kein Wesen nach Bauplan, sondern ein ständig veränderbares Geschöpf, das immer wieder neu moduliert, neu erschaffen wird.

Das hat Gott verstehen und einsehen müssen. In den ersten zehn Generationen bis Noach hat Er mannigfaltige Änderungen vorgenommen. Eigentlich hätte der Mensch ewig im Paradies leben müssen. Eine Chawa kriegt Adam erst ab, als er sich beschwerte. Aus dem Paradies vertrieben wurde er erst, als er sich über sie beschwerte. Gott änderte seinen Plan: Der Mensch musste fortan arbeiten, die Frau gebar unter Schmerzen, und beide entwickelten zum ersten Mal Schamgefühle.

lebenszeit Doch der Mensch sündigte fortan. Seine Lebenszeit sank von 1000 auf 120 Jahre. Das führte aber nicht dazu, dass der Mensch demütig wurde. Auch im nächsten Wochenabschnitt (»Noach«), versucht Gott einzugreifen. Nach der Geschichte vom Turmbau zu Babel sprechen die Menschen plötzlich in unterschiedlichen Sprachen. Nichts fruchtet. Der Mensch tut, was er will.

Und was macht Gott? Er muss sich den Tatsachen unterordnen. Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) erklärt: »Zu Beginn wollte Gott in der Welt nach der Logik der Gesetze walten. Doch dann sah Er ein, dass sie unmöglich Bestand hätte. Deswegen gesellte Er der Strenge die Barmherzigkeit hinzu.«

Das sind Worte mit tiefem Sinn. Der Mensch kämpft mit Gott, wie auch jener mit ihm ringt. Die Erschaffung der Welt verschwindet hinter diesem ewigen Dilemma. 25 Sätze reichen der Tora, um die Erschaffung zusammenzufassen. Und ebenso viele Sätze werden benötigt für die Geschichte von der listigen Schlange bis zu der Stelle, die davon berichtet, dass Adam und Chawa zum ersten Mal miteinander schlafen.

barmherzigkeit Schauen wir uns diese Geschichte unter dem Aspekt von Raschis Erklärung an. Nach der talmudischen Sichtweise steht das hebräische Wort »Elohim« für den strengen Gott, »Adonaj« hingegen ist die Gottesbezeichnung, die für das Attribut der Barmherzigkeit steht.

Ab der Erschaffung von Adam steht in der Tora immer nur »Elohim«. »Adonaj« kommt auch vor, aber immer in Begleitung von »Elohim«. Zum Beispiel: »Wajikra Adonaj Elohim (...)« – »und Gott rief« (3,9).

Die erste Stelle in der Tora, in der Gott mit »Adonaj« und in Verbindung zum Menschen angeführt wird, ist: »Und Gott (Adonaj) wandte sich Hewel zu.« Es handelt sich um die erste Stelle, in der die Tora davon berichtet, wie ein Mensch, Hewel, Gott ein Opfer darbringt.

Hier an dieser Stelle steht nur »Adonaj«. Der barmherzige Gott erfreut sich eines Opfers. Doch diese Idylle wird jäh gestört: Aus Eifersucht erschlägt Kajin seinen Bruder Hewel. Wer denkt, dass fortan wieder »Elohim« oder zumindest »Adonaj Elohim« steht, täuscht sich. Gott erscheint fortan als »Elohim« oder »Adonaj«. Es scheint, als habe Gott verstanden: Der Mensch ist ein Mensch.

Was können wir aus diesem Wochenabschnitt lernen? Drei jüdische Eckpfeiler: Den menschlichen Willen kann man nicht brechen. Und: Gott ist kein strafender und kein liebender Gott, sondern Gott. Mal bestraft Er, mal nicht. Zumindest aus unserer Warte. Und die dritte Erkenntnis: Alles dreht sich um den Menschen. Er ist Sinn und Zweck. Erst durch ihn zeigt sich Gott. Alles drum herum, das ist schnell erschaffen. Dafür haben sechs Tage gereicht. Aber für das Erkennen Gottes ist das nicht von Belang.

Ohne uns gäbe es keinen Gott. Diese Erfahrung musste auch der Schöpfer der Welt machen. Und was Er auch lernte: Es braucht keine Menschen im Paradies, die Ihn finden. Auch der Arbeiter erkennt Ihn. Der Mensch muss nicht ewig oder 1000 Jahre gelebt haben. Wer verständig ist, versteht viele Dinge in wenigen Jahren.

Der Autor ist Journalist und lebt in Zürich. Er hat an Jeschiwot in Gateshead und Manchester studiert.

Inhalt
Mit dem Wochenabschnitt Bereschit fängt ein neuer Jahreszyklus an. Die Tora beginnt mit zwei Berichten über die Erschaffung der Welt. Aus dem Staub der aus dem Nichts erschaffenen Welt formt der Ewige den Menschen und setzt ihn in den Garten Eden. Adam und Chawa wird verboten, vom Baum der Erkenntnis zu essen, der inmitten des Gartens steht. Doch weil sie – verführt von der Schlange – dennoch eine Frucht vom Baum essen, weist sie der Ewige aus dem Garten. Draußen werden ihnen zwei Söhne geboren: die Brüder Kajin und Hewel. Der Ältere, Kajin, tötet seinen Bruder Hewel.
1. Buch Mose 1,1 – 6,8

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