Kaschrut

»Haltet Euch heilig!«

Speis und Trank: Was auf den Tisch kommt, ist genau geregelt. Foto: Fotolia

Das Fundament der 613 Gebote der Tora besteht in den Aussagen »Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin ich, der Ewige, euer Gott« (3. Buch Moses 19,2) und »Haltet euch heilig, auf dass ihr heilig seid« (20,7). Diese Heiligung durchzieht viele Lebensbereiche eines jüdischen Menschen, sei es, dass er sich innerlich wie äußerlich von Schmutz und körperlicher Unreinheit fernhalten, nicht ungehemmter Esslust frönen, nicht ungezügelt Alkohol trinken oder auf Kosten anderer Menschen nach Gewinn streben soll.

Es geht dabei auch darum, wie und was wir denken, wofür und wogegen wir uns entscheiden. Betrug und Aberglaube müssten für uns tabu sein. Die uns gebotene Heiligkeit sollten wir vielmehr stärken, indem wir Gutes reden und tun. Es kommt darauf an, dass wir bei Gott bleiben und Ihm ähnlich werden.

Die Tora weist uns auch an, uns unreiner Speisen zu enthalten. »Macht euch nicht selbst zum Gräuel durch alles, was da kriecht und fliegt, ... dass ihr nicht durch sie unrein werdet ... denn ich bin der Ewige, euer Gott, ihr sollt euch heilig halten, damit ihr heilig seid ... damit man unterscheide zwischen dem Reinen und Unreinen, zwischen den Tieren, die gegessen, und den Tieren, die nicht gegessen werden dürfen« (3. Buch Moses 11, 43-47).
Im 2. Buch Moses steht: »Heilige Leute sollt ihr mir sein, Fleisch eines auf dem Felde zerrissenen Tieres sollt ihr nicht essen« (22,30). Hier ist zu lernen, dass die Weigerung, unreine Nahrung zu sich zu nehmen, die Heiligkeit des Menschen befördert und ihn als Gottes Geschöpf auszeichnet.

Blut Es besteht kein Zweifel daran, dass die in den Schriften verbotene Nahrung Menschen zuträglich sein kann, wie wir es bei anderen Völkern sehen können, die diese Speisen zu sich nehmen. Doch die Tora verbietet zum Beispiel den Blutgenuss mit der Begründung: »Nur bleibe fest und iss nicht das Blut, denn das Blut ist die Seele, und du sollst nicht die Seele mit dem Fleisch essen« (5. Buch Moses 12,23).

Seit der Sintflut hat die Tora das Verspeisen des Fleisches erlaubt, damit der Mensch seinen Körper stärken kann. Die Erlaubnis, Fleisch zu essen, ist natürlich nur unter der Bedingung gestattet, dass wir durch seinen Genuss nicht unrein werden. »Unreines Fleisch zu essen, verwirrt die Gedanken desjenigen, der es isst« (Joma 39,1).

Aber nicht nur das. Auch wenn wir erlaubte Nahrung zu uns nehmen, soll das in der gebotenen Heiligkeit geschehen. Die Tiere sollen koscher geschächtet werden, das Fleisch ist zu kaschern und das Blut zu entfernen. Auch soll der ganze Tisch, an dem wir unsere Mahlzeiten einnehmen, koscher gehalten werden, indem dort Gebete gesprochen werden und die Tora ausgelegt und diskutiert wird.

Schon Noach kannte die Unterschiede zwischen reinen und unreinen Tieren. So heißt es im 1. Buch Moses 8,20: »Und Noach baute dem Ewigen einen Altar, nahm von allem reinen Vieh und allen reinen Vögeln und brachte Brandopfer dar auf dem Altar.« Nun wird immer wieder nach einer unserem Verstand einleuchtenden Erklärung für die Kaschrut gefragt. Aber es gibt für sie keine rationale Erklärung. Die Mizwot übersteigen unseren Verstand. Sie sollen vom gläubigen Menschen »einfach« gehört und erfüllt werden.

verzicht Nun gab es immer wieder Rabbiner, die trotzdem versucht haben, eine logische Begründung für die Vorschriften zu finden. Der Midrasch Tanchuma erzählt, wie Rabbi Tanchum bar Chanilai gefragt wurde: »Warum wird das Volk Israel angewiesen, auf bestimmte Nahrung zu verzichten, aber andere Völker essen von allen?« Der Rabbi antwortete, indem er Gott mit einem Arzt verglich: »Sagt der Arzt zu seinen Patienten: Wollt ihr gut leben, dann esst nur das, was ich euch sage und nichts anderes! Aber Menschen, die den Tod erwählt haben, denen sage ich: Esst, was ihr wollt!«

Maimonides, der Rambam (1138–1204), der nicht nur ein gelehrter und berühmter Torakommentator war, sondern auch Arzt, zog den Schluss, dass alles, was die Tora verboten hat, dem Körper schadet. Und umgekehrt, alles, was erlaubt ist, dem Körper nützt. Maimonides war der Meinung, die Tora sorge für die Gesundheit aller Menschen.

Charakter Im Gegensatz zu Rambam sagt Nachmanides, der Ramban (1194–1270), dass viele Völker verbotene Speisen essen und sich durch gute Gesundheit auszeichnen. Ramban betont aber, dass auch ohne spürbare körperliche Schädigung die Seele in Mitleidenschaft gezogen wird. Diese Sicht der Dinge lässt sich heute auch im anthroposophischen Denken wiederfinden. Der Verzehr vom Blut eines »wilden Tieres« füge dem Menschen die »wilde Seele« dieses Tieres hinzu und verändere dadurch den Charakter eines Menschen.

Unsere Weisen haben eine weitere Begründung für das Verbot unreiner Nahrung. Sie sagen: Wenn das jüdische Volk die Kaschrut nicht beachtet, assimiliert es sich und verliert den Zusammenhalt und letztlich seine Einheit.

Die Verse in der Tora enden nach jeder Mizwa so: »Denn Ich bin der Ewige, euer Gott. Ihr sollt euch heilig halten, damit ihr heilig seid, denn Ich bin heilig. Ihr sollt euch nicht durch all die kleinen Tiere, die sich auf der Erde regen, unrein machen (3. Buch Moses 11,44). Das Motto ist deutlich: Zuerst haltet euch heilig, und dann werdet ihr heilig.

Und so war es auch Sinn und Zweck des Auszugs aus Ägyptens, die Tora anzunehmen und zu lernen, die Mizwot zu erfüllen – auch wenn zwei Drittel der Mizwot uns unklar und irrational erscheinen. Mit dem Exodus aus dem Sklavenhaus hat das Volk Israel eine besondere spirituelle Dimension erreicht. Hier vollzieht sich der Übergang von der ägyptischen, heidnischen Religion zum Monotheismus.

Der Autor war bis 2011 Landesrabbiner von Sachsen.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Schemini schildert zunächst die Amtseinführung Aharons und seiner Söhne als Priester sowie ihr erstes Opfer. Dann folgt die Vorschrift, dass die Priester, die den Dienst verrichten, weder Wein noch andere berauschende Getränke trinken dürfen. Der Abschnitt listet auf, welche Tiere koscher sind und welche nicht, und er erklärt, wie mit der Verunreinigung durch tote Tiere umzugehen ist.
3. Buch Moses 9,1 – 11,47

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025

Schoftim

Recht sprechen

Eine Gesellschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich an ihrer moralischen Gesetzgebung orientiert

von Rabbiner Avraham Radbil  29.08.2025

Talmudisches

Der heimliche Verbrecher

Über Menschen, die nicht aus Wahrheit, sondern aus Selbstdarstellung handeln

von Vyacheslav Dobrovych  29.08.2025

Kiddusch Haschem

»Ich wurde als Jude geboren. Ich werde als Jude sterben«

Yarden Bibas weigerte sich gegenüber den Terroristen, seinen Glauben abzulegen. Wie viele vor ihm lehnte er eine Konversion ab, auch wenn ihn dies beinahe das Leben gekostet hätte

von Rabbiner Dovid Gernetz  28.08.2025

Israel

Rabbiner verhindert Anschlag auf Generalstaatsanwältin

Ein Mann hatte den früheren Oberrabbiner Jitzchak Josef um dessen religiöse Zustimmung zur »Tötung eines Aggressors« ersucht. Die Hintergründe

 26.08.2025 Aktualisiert