Spiritualität

Geschmack der Freiheit

Beim Verzehr der Mazza an Pessach erfüllen wir ein Gebot. Foto: Thinkstock

Die Ernährung ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Wenn wir morgens aufstehen, haben wir Appetit; und abends schlafen wir gut ein, wenn wir satt sind. Manchmal gehen wir zum Essen aus, bei gemeinsamen Mahlzeiten kann eine angenehme Atmosphäre entstehen.

Überraschenderweise sind die Pessachfeiertage mit einem Essensgebot verbunden: Wir verzehren Mazzot, ungesäuertes Brot, um uns an den Auszug aus Ägypten zu erinnern. Dabei sprechen wir einen Segen und verleihen dem Essen die Bedeutung eines Gebots: »ascher kidschanu bemitzvotav vezivanu al achilat Mazza«.

Warum soll uns das Gebot des Mazzotessens an den Auszug aus Ägypten erinnern? Hätten wir nicht eher erwartet, dass die Tora uns vorschreibt, das Essen außer Acht zu lassen und uns dem Geistigen zu widmen, dem Nachdenken über die Bedeutung des Auszugs aus Ägypten? Auf diese Weise hätten wir doch bestimmt eine höhere spirituelle Ebene erreichen können.

Doch nein! Nahrung ist etwas Besonderes. In uns entsteht daraus eine Mischung, die dann auf perfekte Weise zu einem Teil unseres Körpers wird. Die Redensart, dass man ist, was man isst, hat durchaus seine Bedeutung: Denn das Gemüse und das Fleisch, das wir verzehren, wird zu einem Teil von uns.

Appetit Dem Menschen stehen beim Essen zwei Möglichkeiten zur Wahl. Er kann die Nahrung als Ziel betrachten. Auf diese Weise ordnet er seine Persönlichkeit der Nahrung unter und schränkt seine Fähigkeit ein, den Appetit zu beherrschen. Er kann also alles, was seinen Weg kreuzt, gedankenlos hinunterschlucken.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass der Mensch vor der Nahrungsaufnahme kurz innehält und darüber nachdenkt, was er essen wird und warum. Wer gut abwägt, was er zu essen beabsichtigt, denkt daran, ob es seiner Gesundheit nützen oder schaden wird.

Aber wir müssen tiefer hineinsehen. Die Tora verlangt, dass wir beim Essen auch auf eine andere Ebene des Lebens Bezug nehmen. Nicht nur die Gesundheit soll die Entscheidung beeinflussen, was wir essen. Auch die spirituelle Schicht, die von unserem Jüdischsein geprägt ist, übt ihren Einfluss auf die Wahl unserer Nahrung aus.

Kaschrut Das Judentum verlangt von uns, der Nahrungsaufnahme einen tieferen Sinn zu verleihen und damit eine höhere spirituelle Stufe zu erreichen. So leitet uns das rituelle Händewaschen vor dem Essen bereits dazu an, keine Nahrung zu verzehren, die uns zufällig über den Weg gelaufen ist. Wir sprechen einen Segen: Mit demselben Mund, in den die Nahrung eingeführt wird, heben wir hervor, dass das Essen eine höhere Bedeutung hat. Wir halten die Kaschrut und machen uns auf diese Weise Gedanken über die Frage, welche Speisen wir in den Mund nehmen und welche nicht – und auch warum das so ist.

Mizrajim Beim Verzehr der Mazza an Pessach erfüllen wir ein Gebot. Wir verleihen der Nahrung, die wir in den Mund nehmen, einen tieferen Sinn. Der Auszug aus Ägypten ist für uns mehr als nur ein spirituelles Konzept, er hat mit unserem persönlichen Leben zu tun. Indem wir Mazzot essen, wollen wir in unserem Inneren den Auszug aus Mizrajim spüren.

Wenn wir während der Pessachfeiertage gesäuerte Getreideprodukte verspeisen würden, wären unsere Körper abgetrennt von dem Konzept, mit dem wir uns beschäftigen. Ein Körper, der eine Mischung von gesäuertem Mehl und Wasser aufnimmt, kann sich nicht dem Konzept der Freiheit anschließen.

Freiheit Chametz ist Teig, dem Gesäuertes zugeführt wird. In Mizrajim konnte man zwar Jude sein, aber der Einfluss des dort vorherrschenden Glaubens und der Kultur mischten sich derart stark in uns und in unser Verständnis des Judentums ein, dass das Judentum in einer solchen Mischung beinahe unterging. Das Konzept der Freiheit jedoch reinigt uns von jeder Mischung – von jedem Einfluss anderer Kulturen.

Durch diese Freiheit kehren wir zurück zu unserem Denken, unabhängig zu sein. Dies gibt uns die Gelegenheit, all die anderen Kulturen unbeachtet zu lassen, damit wir die Ziele bewahren, für die unser Volk gegründet wurde.

Das trifft auch für die Mazza zu. Hergestellt aus Mehl und Wasser ohne jegliche fremde Mischung aus Gesäuertem, stimmt sie mit dem Konzept der Freiheit überein. Beim Essen der Mazza spüre ich das Bedürfnis, das, was mir wichtig ist, zu bewahren und fremde Stoffe nicht zu berühren. Ich befasse mich mit der Reinigung meines Glaubens und meiner Ansichten über das Judentum – frei von fremden Fassungen, die aus anderen Religionen und Kulturen stammen. Ich widme mich vollständig dem Verstehen des wahren Judentums ohne fremden Einfluss.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Chanukka

Das jüdische Licht

Die Tempelgeschichte verweist auf eine grundlegende Erkenntnis, ohne die unser Volk nicht überlebt hätte – ohne Wunder kein Judentum

von Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky  12.12.2025

Deutschland-Reise

Israels Oberrabbiner besucht Bremen

Kalman Meir Ber trifft Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer (beide SPD)

 12.12.2025

Wajeschew

Ein weiter Weg

Das Leben Josefs verlief nicht geradlinig. Aber im Rückblick erkennt er den Plan des Ewigen

von Rabbinerin Yael Deusel  12.12.2025

Talmudisches

Nach der Sieben kommt die Acht

Was unsere Weisen über die Grenze zwischen Natur und Wunder lehren

von Vyacheslav Dobrovych  12.12.2025

Chanukka

Nach dem Wunder

Die Makkabäer befreiten zwar den Tempel, doch konnten sie ihre Herrschaft nicht dauerhaft bewahren. Aus ihren Fehlern können auch wir heute lernen

von Rabbiner Julian-Chaim Soussan  12.12.2025

Quellen

Es ist kompliziert

Chanukka wird im Talmud nur selten erwähnt. Warum klammerten die Weisen diese Geschichte aus?

von Rabbiner Avraham Radbil  11.12.2025

Religion

Israels Oberrabbiner erstmals auf Deutschlandbesuch

Kalman Ber startet seine Reise in Hamburg und informiert sich dort über jüdisches Leben. Ein Schwerpunkt: der geplante Neubau einer Synagoge

 10.12.2025