Neulich beim Kiddusch

Gelber Wein

Kiddusch-Wein-Ersatz: Orangensaft Foto: imago

Neulich beim Kiddusch

Gelber Wein

Was einem in der Synagoge alles passieren kann

von Chajm Guski  23.08.2010 13:38 Uhr

Kennen Sie diese Ferienbungalowparks? Die sind perfekt, wenn man für ein paar Tage oder eine Woche eine kleine Auszeit nehmen möchte. Dicht gedrängt stehen die Häuschen aneinander, eigentlich wie zu Hause, nur dass es da kein Spaßbad und keinen Tennisplatz gibt. Wir nutzen diese Möglichkeit, so oft es geht. Man packt die Sachen zusammen und fährt los, zum Beispiel in die Niederlande.

Manchmal fahren wir auch über den Schabbat dorthin. Außerhalb der gewohnten Umgebung ist das immer wieder ein großes Abenteuer. Vor allem, weil man eben nicht immer alles mitnehmen kann. Zum einen passt nicht alles ins Auto, zum anderen, weil irgendetwas immer zu Hause vergessen wird. In der Regel ist es der Wein zum Kiddusch. Weil ich mich besonders darauf konzentrieren will, ihn nicht zu vergessen, stelle ich ihn meist an eine ganz besonders exponierte Stelle. Und weil er eben nicht neben dem restlichen Gepäck steht, wird er vergessen. Manchmal stellt mein Sohn ihn auch zurück in den Schrank. »Warum steht der Wein auf der Treppe? Ich räume ihn mal schnell weg«, denkt er sich, und so schauen wir meistens in die Röhre. Jedes Mal plane ich, eine kleine Flasche zur Sicherheit im Auto zu verstauen, aber wenn ich die auf dem Parkplatz vergesse, wird der Wein im Sommer mehrmals gekocht.

krümel Normalerweise sagt man dann Kiddusch nur über das Brot, aber mittlerweile haben wir schon einen Segensspruch über Ananas-, Apfel- und Orangensaft gemacht und auch mit Eistee und Wodka gearbeitet. Gern nehmen wir auch die Mazzenreste mit, denn die Wohnung müssen wir zum Ende des Urlaubs nicht selbst saugen, und die Krümel liegen nachher tatsächlich überall herum.

Der Blick auf einen großen See, an dessen Ufer die Panoramafenster der anderen Häuser leuchten, entschädigt dann aber für die Mühe am Freitagabend. Meist lassen wir die Vorhänge geöffnet, damit wir die Aussicht genießen können. Das bedeutet leider aber auch, dass Spaziergänger am See oder die Nachbarn uns sehen können. Drinnen hell, außen etwas dunkler – besser als Fernsehen, jedenfalls wenn wir draußen sitzen und den Panoramablick in die anderen Bungalows genießen.

Bei unserem letzten Kiddusch ohne Wein entdeckte mein Sohn irgendwann zwei kleine Hände im unteren Teil der Glastür. Ein kleiner Junge klebte an der Scheibe und starrte hindurch. Als er bemerke, dass wir ihn bemerkten, verschwanden die Hände. Kurz darauf kehrten sie zurück. Hinter dem Jungen stand nun ein etwas größeres Mädchen. Wir standen auf dem Präsentierteller und sahen aus wie die gestellten Bilder in den Broschüren von Chabad: Vater, Mutter und Kinder beim Kerzenzünden.

urlaubspogrom Soweit ich erkennen konnte, hatten beide Kinder dunkle Haare und entsprachen nicht meinem Bild eines niederländischen Urlaubers. Vielleicht sollte ich nachschauen, wer da durch die Tür starrt. Immerhin hatten wir keine Lust auf ein Urlaubspogrom. Der Junge lief wieder weg, das Mädchen blieb hinter einem Baum stehen und meinte, wir würden nicht sehen, wie sie uns beobachtet. Also öffnete ich die Schiebetür und trat nach draußen. Da lief sie schnell zurück zum Nachbarhaus.

Dort saß ein ganzer Pulk Erwachsener. Von ihrem Äußerem her hätte ich sie dem Maghreb zugeordnet. Vor ihnen stand der kleine Junge und erstatte atemlos Bericht. Auf Hebräisch! »Im Haus nebenan, das habe ich gesehen, da sind Religiöse drin. Die sagen Kiddusch über gelben Wein.« Seitdem machten die Kinder einen großen Bogen um uns. Die Eltern fürchteten wohl unseren schlechten Einfluss.

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025