Ethik

Fünf Minuten mit ...

»Den Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind«: Jaron Engelmayer Foto: Harald Krömer

Herr Rabbiner Engelmayer, Sie waren Ende November bei einem Kongress des Bundesverbandes Jüdischer Mediziner zum Thema »Glücklich bis zum letzten Atemzug«. Wie ist das Thema Sterbehilfe diskutiert worden?
Ich war mir zuerst nicht sicher, ob ich als Rabbiner mit meiner Haltung unter den Ärzten Anklang finde. Aber es gab dort sehr viele, die gegen die aktive Sterbehilfe Position bezogen haben und sagten, dass es nicht im jüdischen Sinn sein kann, Leben aktiv zu beenden.

Wie gehen Sie als Rabbiner mit sterbenden Menschen um?
Da gibt es sehr unterschiedliche Situationen. Manchmal muss man den Menschen Kraft geben und Zeremonien besprechen – ich erkläre den Kranken, dass ich für ihre Gesundung bete. Manchmal sind die Patienten schon bewusstlos. In jedem Fall kümmere ich mich auch um die Angehörigen.

Haben Ihnen Menschen schon erzählt, sie wollen nicht mehr leben?
Ja, das kam schon vor, und es hatte nicht unbedingt mit ihrem physischen Zustand zu tun. Meine erste Aufgabe besteht darin, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind, und dass man ihnen einen Teil ihrer Last nimmt. Und dann führe ich auch lange Gespräche, um zu zeigen, dass das Leben auf jeden Fall noch Sinn macht.

Ein alter Mensch, der unerträgliche chronische Schmerzen hat, deprimiert ist oder einsam – wie wollen Sie ihm klarmachen, dass sich das Leben noch lohnt?

Manchmal sind die Herausforderungen des Lebens so groß, dass man nicht mehr weiß, woher man die Kraft nehmen soll. Aber das ist das Gute an einer Religionsgemeinschaft, und ganz bestimmt an der jüdischen Gemeinschaft, dass wir uns dieses Problems gemeinsam annehmen. In unserer Gemeinde in Köln haben wir Bikkur Cholim eingerichtet – Studenten, aber auch ältere Leute unterstützen Alleinstehende, zum Beispiel am Wochenende im Elternheim.

Im Judentum soll man den Sterbeprozess nicht künstlich verlängern, aber das Leben erhalten. Kann das ein Widerspruch sein?
Viele Fälle sind sehr vielschichtig. Bestimmte lebenserhaltende Grundlagen sollen dem Menschen nicht entzogen werden, wie die Zufuhr von Sauerstoff, Grundnahrung oder Flüssigkeit. Das käme einer aktiven Lebensverkürzung gleich. Es gibt aber Situationen, in denen diese Regeln in Absprache mit einem Rabbiner aufgehoben werden können oder sogar sollen; eine solche kann etwa in der Endphase des Sterbeprozesses entstehen.

Was halten Sie von Patientenverfügungen?
In Absprache mit einem Rabbiner und im halachischen Sinn können sie durchaus abgefasst werden.

Voraussichtlich 2015 wird der Bundestag eine Entscheidung zur Sterbehilfe fällen. Warum, glauben Sie, ist das Thema in Deutschland und in Europa so akut?
Das hat sicherlich mit der Überalterung der Gesellschaft zu tun – aber auch damit, dass säkulare und religiöse Haltungen stark auseinanderklaffen. Die Frage ist, ob Selbstbestimmung über dem objektiv schützenswerten Leben stehen soll – oder nicht.

Mit dem Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln sprach Ayala Goldmann.

Jaron Engelmayer ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln.

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025