Talmudisches

Ein Zaun um die Tora

Schützt vorm Übertreten – auch der Gebote: Zaun Foto: Getty Images/ iStockphoto

Nach dem Ende des babylonischen Exils im fünften Jahrhundert v.d.Z. legten die Männer der Großen Versammlung, die geistigen Führer des jüdischen Volkes, zentrale Gebetstexte fest und erließen diverse Verordnungen.

Schutz Die Mischna (Sprüche der Väter 1,1) überliefert drei Dinge, die diese Männer sagten: »Seid bedächtig im Entscheiden, macht viele Schüler und macht einen Zaun (hebräisch: Sejag) um die Tora.« Was hat man unter »Sejag« zu verstehen?

Rabbiner Seckel Bamberger (1863–1934) erklärt: »Die Tora gleicht einem schönen, herrlichen Garten. Wie dieser durch einen Zaun vor Zerstörung geschützt werden muss, so sollen die Weisen Anordnungen treffen, durch die das Gesetz vor Übertretung geschützt und seine Erfüllung gefördert wird.«

Der Talmudkommentator Menachem Ben Schlomo, der Meiri (1249–1306), stellt fest, dass die Männer der Großen Versammlung ihren dritten Lehrsatz aus der Tora abgeleitet haben. Zum Vers »Darum hütet das euch von mir zum Hüten Übergebene« (3. Buch Mose 18,30) bemerkten die Weisen im Talmud: »Macht eine Hut zu meiner Hut« (Jewamot 21a und Moed Katan 5a).

Israels früherer sefardischer Oberrabbiner Ovadia Josef (1920–2013) hat anhand mehrerer Beispiele gezeigt, dass schon die Tora einen Zaun (Sejag) um ihre Gebote (Mizwot) gemacht hat. So lautet eine Mizwa: »Du sollst nicht in deinem Haus haben zweierlei Maß, ein großes und ein kleines« (5. Buch Mose 25,14). Das heißt, niemand soll solche Maße besitzen, damit man sie nicht zu einem Betrug verwenden kann.

Lichterzünden In unserer heutigen Religionspraxis finden wir zum Beispiel beim Lichterzünden vor dem Schabbat einen Sejag. Da Feuer zu machen am Schabbat streng verboten ist, muss man die Kerzen bereits vor Sonnenuntergang anzünden. Um die Gefahr einer Schabbat-Entweihung zu vermeiden, hält man eine Sicherheitszone von etwa einer halben Stunde ein.

Der Begriff »Sejag« verweist aber nicht nur auf eine Schutzmaßnahme, um ein Toragebot nicht zu entweihen. Er hat auch eine positive, erweiternde Bedeutung: Bei jeder Gebotserfüllung können fromme Menschen nämlich über das vom Religionsgesetz Verlangte hinausgehen.

Auf diese, oft übersehene zweite Bedeutung von »Sejag« hat Rabbiner Yitzhak Twersky (1930–1997) in einem bemerkenswerten Essay in der Zeitschrift »The Tora U-Madda Journal« (Band 8, 1998/99) aufmerksam gemacht. Er zitiert darin viele Quellen und diskutiert das Konzept.

Das Gebot »Macht einen Zaun um die Tora« enthält auch die Aufforderung, sich intensiv mit dem Sinn der Mizwot zu beschäftigen. Ein solches Studium ermöglicht es, die Intention des Gesetzgebers zu erkennen. Im Alltag kann man dann mehr tun als das, was von jedem verlangt wird.

Wir können also von einer Ausweitung der Mizwot sprechen. Durch eine solche wohldurchdachte Ausweitung bemühen sich fromme Juden, ihrem Schöpfer eine, wie es der Talmud ausdrückt, besondere Freude zu bereiten (Berachot 17a).

Vorsicht Der dritte Lehrsatz der Männer der Großen Versammlung verweist also sowohl auf Vorsichtsmaßnahmen als auch auf Akte der Frömmigkeit (hebräisch: Chassidut).

Die hohe Stufe der Chassidut zu erreichen, ist natürlich nicht einfach. Die einzelnen Schritte, die zur wahren Frömmigkeit führen, hat Rabbiner Mosche Chajim Luzzatto (1707–1746) in seinem Werk Messilat Jescharim, das schon mehrmals ins Deutsche übersetzt worden ist, genau beschrieben. Er erklärt darin ganz ausführlich die Lehre vom Zaun um die Tora.

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025