Ki Tissa

Ein Weg zurück

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Ki Tissa

Ein Weg zurück

Die Geschichte vom Goldenen Kalb lehrt, dass selbst der schlimmste Fehler, den wir begehen, umkehrbar ist

von Gabriel Umarov  01.03.2024 09:16 Uhr

Das jüdische Volk wurde aus Ägypten herausgeführt, durchquerte das Schilfmeer, stand am Berg Sinai und ist nun dabei, den Mischkan, das Stiftszelt, zu errichten. Unser Wochenabschnitt behandelt neben Themen wie Volkszählung, Spenden, Räucherwerk und Schabbat ein Vorkommnis, das wir offenbar nur schwer verstehen können: die Herstellung und Verehrung des Goldenen Kalbs.

Auf wunderbare Weise wurde das jüdische Volk aus Ägypten befreit, durch »Gʼttes Arm«, wie wir lesen. Hier lag also ein einzigartiger Eingriff Gʼttes in die Umstände vor, der von niemandem ignoriert oder missinterpretiert werden konnte, nicht einmal von Völkern, die an Gʼttes Allmacht zweifeln, wie Amalek.

Gleich darauf wird für die Israeliten das Schilfmeer gespalten, »zwei Winde bliesen gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen« (Chizkuni auf 2. Buch Mose 14,29).

Auf dem Weg zum Höhepunkt der Offenbarungen am Berg Sinai werden die Israeliten zusätzlich von Wundern begleitet, wie dem Manna und den Wachteln. Am Berg Sinai angekommen, nehmen sie schließlich die Tora an.

Die Übergabe der Tora geschieht »im Moment eines Gegenüberstehens zu Gʼtt«

Essenziell ist hier zu erwähnen, dass Matan Tora, die Gesetzgebung, nur »im Moment eines Gegenüberstehens zu Gʼtt« geschehen kann. So schreibt Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888): »Es sollte historisch dokumentiert sein, dass Gʼtt dem Volk räumlich gegenüber gestanden ist, dass Sein Wort an das Volk und zu dem Volk von ›außen‹ gekommen ist, dass Gʼtt nicht in ihm gewesen ist (als religiöse Ekstase), und dass das Wort nicht aus dem Volk heraus gesprochen worden war.«
In der Wüste hat das Volk den maximalen Gʼttesbeweis erfahren, all dies sollte wohl ein Abfallen vom festen Glauben für immer unmöglich machen. Doch es kommt anders.

Die Generation des jüdischen Volkes, die die Übergabe der Tora und mehrere Wunder miterlebt habt, baut ein Götzenbild aus Gold in der Form eines Kalbs und vergöttert es, da ihr Anführer Mosche abwesend ist, denn er ist auf den Berg Sinai hinaufgestiegen.

Doch nicht alles ist so, wie es den Anschein erweckt. Nachmanides, der Ramban, ein herausragender jüdischer Gelehrter des Mittelalters, bringt hier etwas Licht ins Dunkel. Ihm zufolge müssen wir zum Goldenen Kalb folgende Hintergründe kennen:

  1. Das Volk Israel wollte keinen »neuen Gʼtt«, sondern einen »neuen Mosche«.
  2. Der Hohepriester Aharon fertigte das Kalb selbstständig mit der Intention an, Zeit zu gewinnen, bis Mosche vom Berg Sinai zurückkehrt. Hinzu kommt, dass ihn bei Protest womöglich dasselbe ereilt hätte wie Hur, der laut den Kommentatoren von einem wütenden Mob umgebracht wurde.
  3. Das Volk missversteht das Datum der Rückkehr von Mosche. Laut dem mittelalterlichen Tora-Kommentator Raschi nehmen die Kinder Israels aufgrund einer falschen Zählung der Tage an, dass Mosche einen Tag früher zurückkommen sollte. Dadurch beginnen sie, an ihm zu zweifeln, als er an dem von ihnen erwarteten Tag nicht zurückkehrt.
  4. Es ist offensichtlich, dass das Volk nicht dachte, Mosche sei selbst göttlich, genauso wenig wie er es war, der sie aus Ägypten geführt hatte. Aufgrund dessen würden sie auch niemals einen »Gʼtt machen«, um ihn zu ersetzen.
  5. Sofort, als das Volk Mosche zurückkehren sah, distanzierte es sich von dem Goldenen Kalb und ließ es zu Staub machen. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich hier keineswegs um eine Götzenverehrung im klassischen Sinne handelte.

Mit diesem Wissen verstehen wir die Motive des Handelns des Volkes zwar etwas besser, doch es stellt sich immer noch die Frage: Welche Erkenntnis können wir aus dieser Episode ableiten, und warum musste alles so geschehen, wie es geschah?

Das Goldene Kalb ist der größte Fehler, den das jüdische Volk unter diesen Umständen begangen hat. Nicht umsonst muss Mosche das erste Paar der Tafeln zerbrechen und mit Gʼtt um das Fortbestehen des auserwählten Volkes verhandeln, da dieser Fehler eigentlich eine vollkommene Auslöschung des jüdischen Volkes nach sich gezogen hätte.

Raschi (zu 5. Buch Mose 9,18) gibt uns die Auflösung: Nach dem Zerbrechen der ersten Tafeln sei Mosche abermals hinaufgegangen und habe 40 Tage auf dem Berg zugebracht, bis es möglich war, das zweite Paar der Tafeln entstehen zu lassen. Weitere 40 Tage dauerte es, bis das zweite Paar der Tafeln geschrieben und vom jüdischen Volk angenommen werden konnte.

Jom Kippur – der Anfang eines glücklichen Endes

Zählt man von dem Tag, an dem das Volk das Goldene Kalb schuf, 80 Tage, so erreicht man den 10. Tischri, Jom Kippur, den Tag der ultimativen Vergebung und des Verzeihens. Dieses Ereignis ist also nur der Anfang eines glücklichen Endes.

So verstehen wir endlich, was uns das Goldene Kalb lehrt: Sogar der tiefste Fall, den wir begehen, der schlimmste Fehler ist umkehrbar. Der gesamte Prozess, beginnend mit dem gravierenden Fehler der Errichtung des Goldenen Kalbs, setzt sich fort mit einer Arbeit der Wiedergutmachung, für die der Allmächtige immer »ein offenes Ohr« hat.

So ist diese Episode tatsächlich sinnbildlich für das jüdische Prinzip der ewigen Hoffnung und Umkehrung jeglichen Vergehens vom Schlechten zum Guten.

Möge uns stets bewusst sein, dass jeder unserer Fehltritte ein großes Potenzial der Umkehrung in sich birgt und durch unsere Arbeit an uns selbst immer in Jom Kippur mündet, dem glückseligsten Tag des jüdischen Kalenders.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

inhalt
Zu Beginn des Wochenabschnitts Ki Tissa wird Mosche damit beauftragt, die wehrfähigen Männer zu zählen. Es folgen Anordnungen für das Stiftszelt. Die Gesetze des Schabbats werden mitgeteilt, und es wird die Bedeutung des wöchentlichen Ruhetags als Bund zwischen dem Ewigen und Israel betont. Der Ewige gibt Mosche zwei Steintafeln, mit denen er ins Lager der Israeliten zurückkehrt. Dort haben sich die Wartenden in der Zwischenzeit ein Goldenes Kalb gegossen, dem sie Opfer darbringen. Im Zorn darüber zerbricht Mosche die Steintafeln, und der Ewige bestraft die Israeliten mit einer Plage. Später steigt Mosche auf den Berg und erhält neue Bundestafeln.
2. Buch Mose 30,11 – 34,35

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