Neuerscheinung

Die Gretchenfrage

Der erfolgreiche amerikanisch-jüdische Schriftsteller Herman Wouk, dem wir umfangreiche Unterhaltungsromane, Theaterstücke und Sachbücher verdanken, gibt zwar nicht gerne Interviews, ist aber ausgesprochen bekenntnisfreudig. Einer vor einem halben Jahrhundert veröffentlichten Einführung in die Welt des Judentums gab er den vielsagenden Titel: Das ist mein Gott. Und auch im Titel seines neuesten Werkes, das gerade rechtzeitig zum 95. Geburtstag am 27. Mai erschienen ist, erwähnt Wouk den Schöpfer von Himmel und Erde: The Language God Talks. On Science and Religion (Die Sprache, die Gott spricht. Über Wissenschaft und Religion).

Weltraumforschung Der Untertitel könnte Erwartungen an eine religionsphilosophische Abhandlung aufkommen lassen. Wer solche Erwartungen hegt, sollte bedenken, dass Wouk ein ausgezeichneter Künstler ist und nicht ein Privatdozent für Philosophie. Als Motto hat er dem Buch eine Bemerkung von Samuel J. Agnon vorangestellt: »Denk daran, Herman Wouk, wir sind Geschichtenerzähler. Geschichten, Bilder, Menschen! Keine Gedanken!« Wouks neue Bekenntnisschrift fügt kunstvoll autobiografische Passagen, eine kurze Geschichte der Weltraumforschung und eine Diskussion verschiedener Weltbilder ineinander.

Wouk, ein weitgereister und belesener Autor, berichtet von lehrreichen Büchern und von Begegnungen mit berühmten und mit weniger bekannten Persönlichkeiten, die ihn beeindruckt haben. Besonders angetan hat es ihm der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman, den Wouk in Kalifornien bei seiner Recherche für einen Roman über den Zweiten Weltkrieg kennenlernte und den er später noch einmal in Aspen (Colorado) traf. Gespräche mit dem scharfzüngigen Querdenker Feynman hat Wouk bereits in seinem Werk Der Wille zum Weiterleben wiedergegeben.

Bekehrung Jetzt berichtet Wouk von einer weiteren Unterhaltung mit Feynman in Georgetown, die er sich allerdings ausgedacht hat. Er legt der Physiker jene indiskrete Frage in den Mund, die der deutsche Dichter Goethe seinerzeit Gretchen an Faust richten ließ: »Wie hast du es mit der Religion?« Die Gretchenfrage gibt Wouk die Gelegenheit, seine Sicht der Religion zu skizzieren und das talmudische Denken zu preisen; ohne sich zu winden, bejaht der Autor die Frage, ob er die Bibel ernst nimmt. Der Romancier betont mehrfach, dass sein Gesprächspartner ein skeptischer Wissenschaftler war, in dessen Lebenspraxis Rituale der jüdischen Religion überhaupt keine Rolle spielten. Eine Bekehrung des nicht praktizierenden Juden hat Wouk erklärtermaßen nicht beabsichtigt; er wollte Feynman lediglich die Einseitigkeit seines physikalisch-mathematischen Weltbildes vor Augen führen. Ob dieser (fiktive) Versuch gelungen ist, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab.

Der Titel von Wouks Buch spielt an auf folgende Bemerkung von Feynman: »Die Differenzialrechnung ist die Sprache, die Gott spricht.« Wouk hat sich daraufhin redlich bemüht, diese mathematische Sprache zu erlernen – ohne Erfolg, wie er offen zugibt. Feynmans These wird von Wouk keineswegs bestritten; er beharrt jedoch darauf, dass Gott nicht nur diese Sprache spricht. Dem Physiker hält Wouk vor, ihm sei die Sprache der Bibel unbekannt. Mit Bedauern stellt der Autor fest, dass die
meisten jüdischen Kinder in der Gegenwart nur Feynmans naturwissenschaftliche Weltsicht kennen und nicht die Lebensweisheit ihrer Vorfahren. Wouk plädiert für eine Position, die sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch religiöse Lehren gelten lässt

Herman Wouk: The Language God Talks. On Science and Religion. Little, Brown and Company, New York 2010, 192 Seiten, 23,99 US-Dollar

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025