Tradition

Die fantastischen Vier

Am Sederabend soll man vier Becher Wein trinken – zur Erinnerung an vier Formen der Befreiung. Foto: Getty Images

Wir haben einen G’tt, zwei Bundestafeln mit zehn Geboten, zwölf Stämme und so weiter. Auch manche Feste und Ereignisse sind bei uns mit bestimmten Zahlen assoziiert, wie zum Beispiel die Acht mit Chanukka oder die Sieben mit dem Schabbat.

Auch wenn wir bei Pessach an eine Zahl denken, fallen uns wahrscheinlich am ehesten die Sieben oder die Acht ein; denn so viele Tage dauert dieses Fest in Israel beziehungsweise außerhalb Israels.

Brauch Wenn man sich jedoch mit den Bräuchen und Gesetzen von Pessach auseinandersetzt, merkt man schnell, dass die Zahl, die dort am häufigsten vorkommt, die Vier ist. Schon bei der Vorbereitung lernen wir, dass man beim Seder vier Becher Wein trinken soll.

Dieser Brauch soll uns an die vier Formen der Befreiung erinnern, die in der Tora erwähnt werden: »Und Ich werde euch wegführen, hervor unter den Lastarbeiten Mizrajims, und werde euch erretten aus ihrem Dienst, und werde euch erlösen mit ausgerecktem Arm und mit großen Strafgerichten, und werde euch annehmen Mir zum Volk …« (2. Buch Mose 6,6–7).

Auch in der Haggada, die während des Seders gelesen wird, finden wir mehrmals die Vier: vier Kaschjot (Fragen) von »Ma nischtana«, die das Kind dem Vater stellen soll, und die vier Söhne (der Weise, der Böse, der Einfältige, und derjenige, der nicht fragen kann).

Doch nicht nur an Pessach kommt die Vier im Judentum häufig vor. Bei der Wüstenwanderung wurde das jüdische Volk in vier Lager zu je drei Stämmen aufgeteilt. Die Tora, die Endziel des Auszuges war, kann auf vier verschiedenen Ebenen betrachtet werden: Pschat (einfacher Sinn), Remes (Hinweis), Drasch (Exegese) und Sod (Mystik).

Pardes Die Anfangsbuchstaben dieser vier Wörter ergeben das Wort »Pardes« (Garten), was wiederum zu einer weiteren Vier führt: Im Talmud wird berichtet, dass genau vier Weise den Pardes betreten haben. Im g’ttlichen Wagen, den der Prophet Jechezkel in seiner Vision erblickte, gab es vier Wesen – Mensch, Löwe, Stier und Adler. In der berühmten Vision von Daniel gibt es ebenfalls vier verschiedene Wesen, die von unseren Weisen als vier »Königreiche« gedeutet werden, die das jüdische Volk bis zum Kommen des Maschiach unterdrücken werden.

Auch in der mündlichen Tora ist die Zahl Vier von Bedeutung. So beginnt das Mischna-Traktat Rosch Haschana mit der Festlegung, dass es vier Neujahrsfeste im Judentum gibt. Im fünften Kapitel des Traktats Pirkej Awot (10–15) werden mehrere menschliche Eigenschaften genannt, die aus vier Formen bestehen.

Kabbala Die Kabbalisten lehren uns, dass die Zahl Vier ihren Ursprung in einem der Namen G’ttes hat, der aus den vier Buchstaben Jud, Hej, Waw, Hej besteht. G’tt hat verschiedene Namen, und sie alle weisen auf bestimmte Eigenschaften von Ihm hin. Dieser Vier-Buchstaben-Name G’ttes ist einer der wichtigsten und der heiligsten. Er repräsentiert die Allmächtigkeit G’ttes, Seine Transzendenz und Seine absolute Macht. Dieser Name ist so heilig, dass er nur einmal im Jahr am Jom Kippur im Tempel vom Hohepriester ausgesprochen wurde.

Dieser g’ttliche Name passt auch sehr gut zu Pessach. An diesem Tag hob G’tt alle Naturgesetze auf und führte die Israeliten höchstpersönlich aus Ägypten heraus. In der Haggada wird darauf ausdrücklich hingewiesen: Kein Engel, kein Seraph und kein Bote war es, sondern G’tt, gesegnet sei Er, in seiner Herrlichkeit! »Ich werde durch das Land Ägypten ziehen in dieser Nacht und werde erschlagen jeden Erstgeborenen im Land Ägypten, vom Menschen bis Vieh, und an allen Götzen Ägyptens werde Ich Gericht üben. Ich, G’tt.« (2. Buch Mose 12,12)

KRISENZEIT Gerade in der jetzigen schwierigen Krisenzeit hat diese Erkenntnis besondere Bedeutung. Wenn wir dieses Jahr nicht so zahlreich wie in »normalen« Zeiten am Pessachtisch sitzen und die Haggada im engsten Kreis lesen, sollen wir bei der Erwähnung der Zahl Vier an den Allmächtigen denken, der uns Juden schon einmal aus großer Bedrängnis gerettet hat. Dieser G’tt möge auch uns und die ganze Welt aus der aktuellen Krise retten und uns die Freude am Leben zurückgeben.

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Naturgewalt

Aus heiterem Himmel

Schon in der biblischen Tradition ist Regen Segen und Zerstörung zugleich – das wirkt angesichts der Bilder aus Spanien dramatisch aktuell

von Sophie Bigot Goldblum  05.12.2024

Deutschland

Die Kluft überbrücken

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024