Jubiläum

Der siebte Tag

Foto: Getty Images/iStockphoto, Montage: Marco Limberg

Jubiläum

Der siebte Tag

Eine kirchlich-gewerkschaftliche Allianz feiert »1700 Jahre freier Sonntag« – ein guter Anlass für einen Blick auf den Schabbat

von Rabbiner Andreas Nachama  04.03.2021 08:44 Uhr

Am Mittwoch veranstaltete eine kirchlich-gewerkschaftliche Allianz die Jubiläumsfeier »17oo Jahre freier Sonntag«. Dem Auftakt soll eine bundesweite Reihe lokaler Aktionen und Gottesdienste rund um das Thema folgen. Die Allianz wolle damit »ein Zeichen für den Erhalt des Kulturerbes freier Sonntag« setzen. Bezug nehmen die Veranstalter auf ein Edikt Konstantins, der am 3. März 321 den Sonntag zum wöchentlichen Ruhetag erklärt hatte.

Es war dieser Kaiser, der im selben Jahr ein im Römischen Reich geltendes Gesetz erließ, wonach Juden in den Stadtrat berufen werden konnten – Ausgangspunkt für die Feierlichkeiten zum Jubiläum »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. Man soll Feste feiern, wann immer es möglich ist. Aber sind 1700 Jahre für die Einsetzung eines arbeitsfreien Tages nicht etwas kurz gegriffen?

ruhegebot Diese Frage stellt sich unabhängig davon, wie das Ruhegebot in biblischen Zeiten umgesetzt wurde. Denn da lesen wir einerseits in der Tora vom Verbot, den Wohnort zu verlassen, andererseits bei dem vor rund 2500 Jahren wirkenden Propheten Nechemia, dass die arbeitsfreien wöchentlichen Ruhetage nicht immer vollständig eingehalten wurden.

Der Schabbat gehört aber schon zum Schöpfungswerk. Ohne ihn wäre die Welt nicht vollkommen. Im Sinne der schönen Vorstellung in der Hymne »Lecha Dodi« nehmen Gläubige jeden beginnenden Schabbat als Braut Gottes respektvoll in Empfang. Liebevoll und minutiös regeln rabbinische Entscheidungen den Umgang mit den Lebenssituationen am Schabbat.

Wie sehen nun die später erlassenen Vorschriften des Kaisers Konstantin aus? »Alle Richter und Einwohner der Städte, auch die Arbeiter aller Künste, sollen am ehrwürdigen ›Tag der Sonne‹ ruhen.« Daher der Begriff »Sonntag« und der Tag davor, der Sonnabend, als Rüsttag für den Sonntag. Die Mehrheit seiner Soldateska waren wohl Anhänger des Mithraskults, einer Sonnenanbeterreligion, aber auch die Heidenchristen feierten den achten Tag als »Tag des Herrn«, an dem ihrer Vorstellung nach Jesus von Nazareth auferstanden ist.

sonntagsarbeit Und was ist mit den Bauern? Oder den »Unfreien« wie etwa den Sklaven? Das vierte Gebot ist da allumfassend: »Du sollst am Schabbat keinerlei Arbeit tun, weder du selbst, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der sich in deinen Toren befindet.« Allerdings bleibt selbst im christlich geprägten Mittelalter Sonntagsarbeit trotz verpflichtender Messe für Christen eher die Regel.

Ohne den Schabbat wäre die Welt nicht vollkommen.

Auch die Reformation brachte da wenig Veränderung. Zum Schabbatgebot befand Martin Luther im großen Katechismus: »Darum geht nun dieses Gebot uns Christen nach dem grob-äußerlichen Wortsinn nichts an. Denn es handelt sich um ein ganz äußerliches Ding, das, wie andere Satzungen des Alten Testaments, an besondere Weisen, Personen, Zeiten und Orte gebunden war; diese sind nun durch Christus alle freigegeben.« Aber wenn schon ein Ruhetag, dann, so Luther, »weil man sonst nicht dazu kommen kann, Gelegenheit und Zeit hat, um am Gottesdienst teilzunehmen«.

Im Alten Europa vor der Industrialisierung waren arbeitsfreie Zeiten durch die Vegetationsperioden beziehungsweise die von Licht und Dunkelheit vorgegebenen Tageszeiten quasi vorbestimmt. Erst mit der Durchtaktung des Lebens, insbesondere der möglichst 24/7 umfassenden Nutzung der Maschinen durch Indus­triearbeiter, kam durch Gewerkschaften die Limitierung der Arbeitszeit als Mittel des Arbeitsschutzes auf.

grundgesetz So wurden im 19. und 20. Jahrhundert arbeitsfreie Zeiten durch gesetzgeberische Maßnahmen durchgesetzt, sind also im Grundgesetz geschützt. Nur in wenigen europäischen Staaten gibt es so umfassende Sonntagsruhebestimmungen wie in Deutschland. Es gibt aber immer wieder Versuche ökonomischer Interessensvertreter, die in Deutschland gesetzlich vorgegebene Sonntagsruhe weiter einzuschränken. Die Kirchen halten – trotz des oben zitierten Lutherverdikts – nachhaltig dagegen.

Gleichwohl ist die Schabbatruhe wesentlich umfassender und eigentlich nur durch »Pikuach nefesch«, die Lebensrettung, und die daraus sehr großzügig, aber wohl notwendiger Weise abgeleiteten Ausnahmen eingeschränkt.

Arbeitsfreie Tage wurden auch als Mittel des politischen Machtmissbrauchs eingesetzt. So wurde zum Beispiel der »Kampftag der Arbeiter«, der 1. Mai, als arbeitsfreier Tag erst 1933 zur Kompensation der Auflösung freier Gewerkschaften von den Nationalsozialisten eingeführt.

viertes gebot Nach jüdisch-traditioneller Vorstellung standen Moses und die Israeliten vor 3334 Jahren am Sinai und erhielten das vierte Gebot: »Gedenke des Schabbattages, um ihn heilig zu halten!« Der Schabbat nicht als Geschenk oder Gnadenakt eines Herrschers, sondern als Teil der Schöpfung, an die sich der Mensch erinnern soll, um sich selbst nahezukommen und sich, aber auch Gott, dabei zu heiligen. Der Schabbat mit seinem umfassenden Konzept von Arbeitsruhe und Heiligung des Tages durch gottesdienstliche Verrichtungen ist qualitativ etwas anderes als ein von Herrschern gnädig erlassenes Arbeitsruhegebot.

Das Jüdische Lexikon führt in seinem Artikel über »Sabbat« mögliche Vorläufer des wöchentlichen Ruhetages auf, um dann festzustellen: »Israel hat es, wie überall auf religiös-sittlichem Gebiete, verstanden, unedles Metall in lauteres Gold umzuschmelzen.«

Der Autor ist Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) und jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025