Taanit Esther

Das Fasten der Königin

Warum wir einen Tag vor Purim auf Essen und Trinken verzichten sollen

von Rabbiner Boris Ronis  24.02.2021 17:06 Uhr

Esther nutzte ihre Position für ihr Volk. Foto: picture alliance / CPA Media Co. Ltd

Warum wir einen Tag vor Purim auf Essen und Trinken verzichten sollen

von Rabbiner Boris Ronis  24.02.2021 17:06 Uhr

In unserer Megillat Esther lesen wir folgende Zeilen, die Königin Esther an Mordechai übermitteln ließ: »Geht hin, versammelt alle Juden, die in Schuschan wohnen, und fastet in meinem Namen! Esst und trinkt drei Tage lang nicht, weder bei Tag noch bei Nacht. Ich und meine Mägde wollen dasselbe Fasten halten. Dann werde ich zum König gehen, obwohl es gegen das Gesetz ist – und wenn ich umkommen soll, werde ich umkommen!« (Esther 4,16).

In Erinnerung an das Fasten der Königin, das der Rettung des jüdischen Volkes vorausging, geht dem Purimfest auch heute ein Fasten voraus – es dauert allerdings nur einen Tag, nicht drei. Taanit Esther beginnt in diesem Jahr am Donnerstagmorgen, dem 25. Februar, und endet am Abend, wenn Purim anfängt und die Megilla gelesen wird.

Wie dort beschrieben ist, fasst Esther einen wichtigen Entschluss: Sie will und muss alles auf eine Karte setzen, obwohl sie sich damit in Lebensgefahr begibt. Unaufgefordert will sie zum König vordringen und erhofft sich damit, bei ihm vorsprechen zu dürfen. Jedoch würde eine Zurückweisung des Königs für sie einem Todesurteil gleichkommen – so will es das Gesetz.

Diese Bedenken schreibt sie Mordechai: »Alle Höflinge des Königs und das Volk in den Provinzen des Königs wissen, dass, wenn jemand, Mann oder Frau, die Gegenwart des Königs sucht und den inneren Hof betritt, ohne gerufen worden zu sein, es nur ein Gesetz für ihn gibt – dass er zum Tode verurteilt wird. Nur wenn der König ihm das goldene Zepter reicht, darf er leben. Nun bin ich in den letzten 30 Tagen nicht zum König gerufen worden« (Esther 4,11).

Angst Esther hat Angst, sie weiß nicht, was passieren wird. Mordechai antwortet ihr daraufhin: »Im Gegenteil, wenn du in dieser Krise schweigst, wird den Juden von anderer Seite Erleichterung und Befreiung zuteilwerden, während du und deines Vaters Haus untergehen werden. Und wer weiß, vielleicht hast du gerade für eine solche Krise die königliche Position erreicht« (Esther 4,14).

Mordechai erinnert Esther an ihre Verantwortung und ihre Pflichten dem jüdischen Volk gegenüber. Manchmal muss man ein Risiko eingehen, wenn man eine gewisse Position erreicht hat – und ein solcher Zeitpunkt ist laut Mordechais Annahme jetzt gegeben. Esther muss handeln, um dem bösen Treiben Hamans entgegenzuwirken: Haman hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Juden im Perserreich zu ermorden. Doch wie soll das Fasten ihr dabei helfen? Hat denn ein dreitägiges Fasten ohne Nahrung und Wasser irgendwelche Auswirkungen auf den bevorstehenden Genozid, der von langer Hand durch ein Los von dem unsäglichen Bösewicht Haman geplant wird?

Umkehr Fasten und die damit verbundene totale Umkehr, die Teschuwa, hat schon einmal einem Volk sehr geholfen: den Menschen in der Stadt Ninive. Die Geschichte dazu entnehmen wir aus dem biblischen Buch Jona, das wir zu Jom Kippur lesen. Sie berichtet von einem Volk, das bestraft werden soll.

Der Prophet Jona hat die Aufgabe, den Menschen das Urteil Gottes zu überbringen. Diese nehmen ihren Untergang aber nicht hin und beginnen eine umfangreiche Umkehr, eine Teschuwa: »Das Volk von Ninive glaubte Gott. Sie riefen ein Fasten aus, und Groß und Klein zogen Säcke an. Als der König von Ninive davon erfuhr, stand er von seinem Thron auf, zog sein Gewand aus, legte einen Sack an und setzte sich in die Asche. Und er ließ das Wort durch Ninive schreien: ›Auf Befehl des Königs und seiner Edelleute: Kein Mensch und kein Tier – weder Herde noch Vieh – soll etwas kosten! Sie sollen nicht weiden, und sie sollen kein Wasser trinken! Sie sollen in Säcke gehüllt werden – Mensch und Tier – und sollen laut zu Gott schreien.‹ Gott sah, was sie taten, wie sie sich von ihren bösen Wegen abwandten. (…) Und Gott verzichtete auf die Strafe, die er über sie bringen wollte, und führte sie nicht aus« (Jona 3, 5–10).

Das Fasten hat hier also als Hintergrund eine Umkehr, um das Urteil Gottes abzuwenden. In der Geschichte von Esther kennen wir aber das Urteil des Ewigen nicht – Esther fastet und bittet die Kinder Israels, auch zu fasten.

Und das ist das Faszinierende hier: Eigentlich hören wir nichts über den Ewigen in der Geschichte von Esther. Doch durch ihr Fasten möchte sie eine Audienz erbitten, nicht nur bei König Achaschwerosch, sondern sich vielmehr auch bei Gott Gehör verschaffen – in der Hoffnung, dass Er sie so erhören möge, wie Er es einst getan hat bei den Menschen in Ninive. Fasten ist ein Mittel der Umkehr, der Einsicht, aber auch der Versuch, sich mit dem Ewigen in Einklang zu bringen. In aussichtslosen Situationen erreichen wir eine Klarheit für uns, und der Ewige kann in seinem Urteil dadurch besänftigt werden.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

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