Balak

Bileam und die Eselin

Laut Tora schlug Bileam die Eselin, um sie wieder auf den Weg zu bringen. Foto: imago images/fStop Images

Balak

Bileam und die Eselin

Der heidnische Prophet will die Israeliten verfluchen – doch er muss sie segnen

von Rabbiner Joel Berger  15.07.2022 07:27 Uhr

Über eine beispiellose Episode aus der Zeit der Wanderung der Israeliten in der Wüste erzählt uns der Wochenabschnitt für diesen Schabbat: Balak, der König von Moab, verfiel in Panik, als die aus Ägypten befreiten Israeliten an der Grenze seines Landes auftauchten. Sie wollten aber nur in Richtung Kanaan durch die Gebiete Moabs ziehen. Der König hatte jedoch Angst, dass die Israeliten sein Land überrollen würden.

Da der Herrscher seinen militärisch-strategischen Kräften nicht vertraute, setzte er Zauber und Magie gegen die »Wüstlinge« ein. Er lud Bileam, einen in der ganzen Gegend geachteten und geschätzten heidnischen Magier, zu sich ein. Gegen eine fürstliche Belohnung wollte der König ihn engagieren, damit er die Israeliten verwünsche. Nach längerer Weigerung erklärte sich Bileam bereit, dies zu tun.

BOTE Am Morgen sattelte Bileam seine Eselin und machte sich mit den Dienern des Königs Balak auf den Weg. Doch G’ttes Zorn entbrannte, und ein Bote des Ewigen stellte sich ihm in den Weg, um ihn aufzuhalten.
Bileams Eselin sieht den Boten mit einem Schwert in der Hand, und sie wendet sich ab. Da schlägt Bileam die Eselin, um sie wieder auf den Weg zu bringen. Dreimal führt dieser Bote die Eselin vom Weg ab, und dreimal schlägt Bileam voller Zorn seine Eselin.

Da öffnet G’tt den Mund der Eselin, und sie sagt zu Bileam: »Was habe ich dir getan, dass du mich dreimal schlägst?« Bileam antwortet: »Weil du gegen mich handelst. Wenn ich ein Schwert in der Hand hätte, würde ich dich töten.« Da sagt die Eselin: »Bin ich nicht deine treue Eselin, auf der du immer reitest? Habe ich dir das schon einmal angetan?«

Als Bileam mit Nein antwortet, öffnet G’tt plötzlich die Augen des heidnischen Propheten, sodass er den Boten G’ttes mit dem Schwert in der Hand auf dem Weg sehen kann. Bileam verbeugt sich. Dann sagt der Bote: »Warum hast du deine Eselin dreimal geschlagen? Vielleicht hat sie sich vor Angst von mir abgewandt. Wenn sie sich nicht abgewandt hätte, hätte ich dich getötet und sie am Leben gelassen.«

Bileam antwortet dem Boten: »Ich habe gesündigt. Ich wusste nicht, dass du dich mir in den Weg stellst. Wenn du willst, dass ich umkehre, werde ich es tun.« Doch der Bote erwidert ihm: »Geh zu Balak, aber sage nur das, was ich dir sage.«

Also ging Bileam zu Balak und sagte: »Schau. Ich bin hier, aber was immer G’tt mir in den Mund legt, werde ich sagen. Nun baue sieben Altäre und stelle dich neben das Hebeopfer.« Und Balak tat es. Auf diese Weise scheiterte sein Unterfangen. Anstelle des vom königlichen Auftraggeber erhofften Fluchs kam ein Segen über seine Lippen.

GÖTZENDIENST Diese Episode wirft die Frage auf, welchen Stellenwert und welche Bedeutung Zauberei und Magie für die Welt der Tora haben. Die Tora betrachtet sie als Götzendienst und lehnt sie als verwerfliche Praktiken ab. Jegliche Magie ist kategorisch verboten.

Es ist aber zweifelsohne nicht falsch, hinter dem strengen Verbot die Existenz solcher Praktiken und Handlungen zu vermuten. Neben dem Kult der Priester im Heiligtum erlebte die Volkskultur ihr eigenes Dasein in mannigfaltigen Formen.

Die Erzählung von dem heidnischen Wahrsager Bileam ließ die jüdischen Exe­geten Fragen aufwerfen, die das Wesen des Glaubens an den G’tt Israels berühren. Abravanel, ein jüdischer Gelehrter aus dem mittelalterlichen Spanien, fragte, warum G’tt Bileam davon abhielt, die Kinder Israels zu verfluchen. Wenn G’tt Seine Kinder segnet, was kann der Fluch Bileams dann schon ausrichten?

Die Herrscher, wie auch die Bevölkerung des alten Phöniziens, Kanaans, waren in okkulte Praktiken ihrer Magier eingebunden. Welche Bedeutung könnte der Verwünschung eines heidnischen Magiers beigemessen werden, dass es notwendig gewesen war, seinen Fluch in einen Segen umzuwandeln?

lektion Einige Exegeten meinen, der Ewige habe vielleicht Bileam eine Lektion erteilen wollen. Es scheint, dass Bileam keine Wahl hatte und daher die Israeliten loben und segnen musste, weil G’tt ihm diese Worte in den Mund legte (4. Buch Mose 23,5).

Aber, fragten wiederum andere Gelehrte, wozu benötigten die Israeliten gerade den Segen Bileams, der objektiv gesehen doch wirkungslos war? Gemäß der Einstellung der Tora hing es letztendlich vom Ewigen ab, ob die Worte Bileams Gutes oder Böses bewirken würden.

Der Gelehrte Josef ibn Kaspi (1279–1340) betont in seinem Werk Tirat Kesef: Ein Fluch von Bileam hätte natürlich keine objektive Macht oder Wirkung gehabt. Die Wirksamkeit habe nur vom Gesichtspunkt jener aus betrachtet werden können, die verflucht werden sollten, nämlich von den Israeliten.

Damals wie heute, fährt Kaspi fort, seien die Menschen von Zauberern und Sehern beeindruckt. Es ist, nach Kaspi, ein Liebesbeweis G’ttes gegenüber Israel, dass Er Sein Volk nicht verfluchen ließ. Selbst dann nicht, wenn dieser Fluch acht- und kraftlos war.

RUHM Abravanel weist auf den in der Region weit verbreiteten Ruhm Bileams hin. Darauf bezog sich auch König Balak, als er sagte: »Denn ich weiß, wen Du segnest, der ist gesegnet, und wen Du verfluchst, der ist verflucht.«

Hätte der Zauberer den Israeliten gegenüber Verwünschungen ausgesprochen, so wären die Nachbarvölker, die sich bis dahin zurückgehalten hatten, mutiger gegen die Israeliten in den Krieg gezogen. Als sich jedoch die Nachricht verbreitete, dass die Flüche in Segen umgewandelt worden waren, verspürten sie keine Lust mehr zu kämpfen. Somit diente die g’ttliche Umkehrung der Worte Bileams einem nützlichen Zweck, dem kurzweiligen Frieden.

Im biblischen Buch Jehoschua (2,9) wertete die Kanaaniterin Rahab die Ereignisse rückblickend so: »Ich weiß, der Ewige hat euch dieses Land gegeben; der Schrecken vor euch fiel daher auf uns und alle Bewohner dieses Landes.«

kenntnisse »Woher wusste Rahab all dies, wenn nicht aus Bileams ›prophetischen‹ Segnungen?«, fragte Abravanel und vermutete, der Grund für ihre guten Kenntnisse könnte sein, dass sie über weite Informationsquellen verfügte, vermutlich auch deshalb, weil sie, wie die Bibel berichtet, als Prostituierte arbeitete.

Nach einer anderen theologischen Meinung verwandelte der Ewige die Worte Bileams – nicht so sehr, um die Israeliten vor einer Kränkung zu schützen, sondern um alle Völker davor zu bewahren, auch weiter den Dämonen und Zauberern zu verfallen, und um den einzig wahren G’tt der Liebe zu erkennen.

Der Autor ist emeritierter Landesrabbiner von Württemberg.

INHALT

Paraschat Balak
Der Wochenabschnitt hat seinen Namen von einem moabitischen König. Dieser fürchtet die Israeliten und beauftragt den Propheten Bileam, das Volk Israel zu verfluchen. Doch Bileam segnet es und prophezeit, dass dessen Feinde fallen werden.

4. Buch Mose 22,2 – 25,9

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