Weimar

Zwischen Halbmond und Hakenkreuz - Wie Muslime der Waffen-SS nach Buchenwald kamen

Befreiung KZ Buchenwald 1945 Foto: picture alliance / akg-images

Weimar

Zwischen Halbmond und Hakenkreuz - Wie Muslime der Waffen-SS nach Buchenwald kamen

Ende 1944 erreichen das Konzentrationslager Buchenwald wenigstens zwei Transporte mit muslimischen Gefangenen. Die mehr als 100 Bosnier sind Angehörige der Waffen-SS und in ihrer Heimat desertiert. Bislang ist wenig über ihr Schicksal bekannt

von Matthias Thüsing  23.04.2025 21:27 Uhr

Das Wetter war ungewöhnlich mild für einen 23. März. Das Konzentrationslager Buchenwald verabschiedete Latif Kostura an diesem Frühjahrstag im Jahr 1945 mit einem Wechsel aus Sonne und Wolken, wie es in Wetterberichten heißt. Den gesamten Winter über hatte der Landwirt aus dem bosnischen Visoko auf dem Ettersberg über Weimar verbracht. Genau 123 Tage dauerte sein Überlebenskampf. Nun kamen er und mit ihm eine Handvoll jener Männer, die zusammen nach Buchenwald verschleppt worden waren, frei - auf Bewährung.

Allesamt gehörten sie zu einer der ungewöhnlichsten Häftlingsgruppen in Buchenwald überhaupt. Wie aus dem im Arolsen Archiv online verfügbaren Aktenbestand von Buchenwald hervorgeht, erreichten 56 Männer am 21. November 1944 von Mostar kommend das Konzentrationslager in Thüringen. Alle waren sie Muslime. Alle waren sie vor ihrer Verhaftung Mitglieder der Waffen-SS in der 13. Gebirgsjäger-Division »Handschar« gewesen. Ein zweiter Transport mit ebenfalls etwa 50 muslimischen Deserteuren dieser Einheit erreichte Weimar am 23. Dezember über das Konzentrationslager Dachau kommend.

Die Handschar-Division war am 1. März 1943 auf Betreiben des Reichsführers SS, Heinrich Himmler (1900-1945), aufgestellt worden. Himmler schwärmte für die weltanschauliche Verbundenheit zwischen Nationalsozialismus und dem Islam. Die Ideologie der Muslimbruderschaft, die aus dem Koran abgeleitet wurde, schien sich in Teilen mit dem Nationalsozialismus zu decken. Insbesondere bei der sogenannten »Judenfrage« waren sich viele Deutsche und Teile der arabischen Welt einig.

Anwerbung von sogenannten »Muselgermanen«

  Schnell begann die SS mit der Anwerbung von sogenannten »Muselgermanen«. Hilfreich war hier die Unterstützung des Großmuftis Mohammed Amin al-Husseini (um 1896-1974), der als Gegner der damaligen britischen Mandatsverwaltung in Palästina offen mit Hitler-Deutschland kollaborierte. Insgesamt 21.000 meist bosnische Muslime folgten dem Werben zur Verteidigung ihrer islamischen Heimat gegen die serbisch-dominierten Verbände des Partisanenführers Tito (1892-1980).

Doch bald bekam die Allianz zwischen den Deutschen und ihren bosnischen Hilfstruppen Risse. Viele der Freiwilligen hatten sich der Waffen-SS in der Hoffnung angeschlossen, die Übergriffe von orthodoxen Serben und den ebenfalls mit den Deutschen verbündeten Kroaten abwehren zu können. Die Muslime kämpften zunächst in Nordbosnien und waren bald wegen ihrer außerordentlichen Brutalität berüchtigt. Mitte 1944 aber zeichnete sich die Niederlage der Deutschen gegen die Truppen des Partisanenführers Tito immer deutlicher ab. Viele Handschar-Soldaten wechselten die Seiten oder sahen keinen Sinn mehr in weiteren Kämpfen.

Vermutlich hatte auch Latif Kustora genug vom Krieg. Laut der Vernehmungsprotokolle gegenüber der US-Army gaben alle Kameraden, die bis zur Befreiung des Konzentrationslagers in Buchenwald geblieben waren, als Haftgrund Fahnenflucht an. Kustora etwa wurde Mitte Oktober 1944 in Sarajewo verhaftet. Dem Schlachtfeld war er damit nicht entkommen. Denn Kustora und einige andere Deserteure verließen Buchenwald am 23. März 1945 auf Geheiß des SS- und Polizeigerichts Kassel und mit der Auflage sich im SS-Ausbildungs- und Ersatzbataillon 13 im österreichischen Bergbaustädtchen Leoben zu bewähren. Andere Gefangene wurden am 4. April mit demselben Ziel entlassen. Einige Muslime kamen in Leoben wohl auch tatsächlich noch an. Danach aber verliert sich ihre Spur im Dunkel der Geschichte.

Himmler schwärmte für die weltanschauliche Verbundenheit zwischen Nationalsozialismus und dem Islam

Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora kennt zu dem Fall nur die schriftlichen Überlieferungen in ihren Archiven. Die historische Forschung hat diese Transporte und was aus den Männern nach dem Krieg wurde, bislang nicht untersucht. Akten der SS-Gerichte und Verwaltungen im Deutschen Reich sowie im kroatischen Mostar sind nicht mehr vorhanden.

Zweifelsfrei geklärt ist lediglich das Schicksal von wenigen Männern, so wie beispielsweise jenes von Mohamed Kahrimanovic. Der Krankenpfleger starb am 1. Februar 1945 in Buchenwald, laut Totenschein an den Folgen einer akuten Herzschwäche.

Hanau

Antisemitisches Plakat an Schule: Staatsschutz ermittelt

In einem angrenzenden Park gab es eine Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde. Besteht ein Zusammenhang?

 30.04.2025

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Berlin

Streit um geforderte Yad-Vashem-Straße

Zwischen dem Freundeskreis Yad Vashem und dem Roten Rathaus herrscht Unmut

von Imanuel Marcus  29.04.2025

Den Haag

Strafgerichtshof verpflichtet Chefankläger zur Vertraulichkeit

Karim Khan, der unter anderem gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erwirkt hat, darf einem Bericht des »Guardian« zufolge künftig nicht mehr öffentlich dazu Stellung nehmen

 29.04.2025