Brandenburg

»Wir verneigen uns vor ihnen. Und wir schämen uns für die Verbrechen«

»Wir müssen handeln angesichts von Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und Verschwörungstheorien«: Bundesaußenminister Heiko Maas am Snntag in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen Foto: imago images/photothek

Zur dauerhaften Verteidigung fundamentaler Werte wie Menschenwürde und Toleranz haben Spitzenpolitiker bei den Erinnerungsveranstaltungen zum 76. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen aufgerufen.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte am Sonntag in der Gedenkstätte Sachsenhausen, von den Millionen Toten der Konzentrationslager und den weniger werdenden Überlebenden gehe die Botschaft »Nie wieder!« aus. Außenminister Heiko Maas (SPD) mahnte angesichts wieder erstarkendem Antisemitismus und Rassismus konkretes Handeln der Politik an.

Die Gedenkveranstaltungen zur Befreiung der Konzentrationslager im April 1945 fanden wegen der Coronavirus-Pandemie wie schon im Vorjahr ohne Publikum in kleinstem Personenkreis statt und wurden ins Internet übertragen. Außenminister Maas erinnerte in seiner Rede an die über 200.000 Menschen, die dort zwischen 1936 und 1945 inhaftiert, gedemütigt und gefoltert wurden. Viele von ihnen wurden in Sachsenhausen ermordet.

»Wir verneigen uns vor ihnen. Und wir schämen uns für die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden«, betonte der Bundesaußenminister. Er fügte hinzu, das Gedenken an die nationalsozialistischen Gräueltaten bleibe zentral, reiche aber allein nicht aus.

»Wir müssen handeln angesichts von Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und Verschwörungstheorien, wie wir sie jetzt auch in der Pandemie leider verstärkt erleben«, sagte Maas.

Deshalb habe Deutschland während seines Vorsitzes der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken eine globale Task Force gegen Holocaust-Verfälschung initiiert. Sie habe Empfehlungen vorgelegt, wie Politik und Entscheidungsträger gegen Tatsachenverdrehungen zum Holocaust vorgehen könnten.

Deutschland ermutige zudem andere Staaten und zivilgesellschaftliche Organisationen, die Arbeitsdefinition von Antiziganismus der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken ebenfalls anzuwenden. »Damit treten wir Hass und Hetze gegen Roma entschieden entgegen«, so der Außenminister.

Ein weiterer Aspekt sei, dass die Bundesregierung daran arbeite, Einbürgerungen von Opfern des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen noch weiter zu erleichtern. Für viele Betroffene könne die späte Gerechtigkeit einer solchen Einbürgerung ein Herzenswunsch sein. »Ihr Zutrauen gegenüber dem heutigen Deutschland berührt zutiefst«, so Maas.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erinnerte auch an die Todesmärsche in den letzten Kriegstagen 1945 sowie den beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten.

»Mit Blick darauf beschämt es mich zutiefst, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland wieder aufkeimen«, sagte der Brandenburger Regierungschef. Diese Entwicklung müsse benannt und ihr entschieden entgegengetreten werden. Das Gedenken an die Hunderttausenden Opfer nationalsozialistischer Konzentrationslager bleibe daher unabdingbar verbunden mit der Verpflichtung, Werte wie Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Rechtsstaat immer wieder zu verteidigen.

Auch der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, mahnte, das unvorstellbare Leid der Häftlinge nicht zu vergessen, ihre Biografien zu teilen und ihre Erinnerungen weiterzugeben. So können aus ihren Geschichten und aus der Beschäftigung mit Geschichte fundamentale Werte des Miteinanders erwachsen.

Am Vormittag hatten die Gedenkveranstaltungen in Ravensbrück begonnen. Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sagte dort, die Schicksale aller Verfolgten, Gequälten und Ermordeten blieben unvergessen: »Sie zeugen unmittelbar von Unmenschlichkeit, Terror, Krieg, Gewaltherrschaft und Mord.« Lager wie Ravensbrück stünden für »schlimmste Zerstörungen der Individualität«.

An beiden Orten wurden Totengebete gesprochen und zahlreiche Kränze niedergelegt. Der KZ-Überlebende Klaus Reichmuth, der 1942 als Jugendlicher für mehrere Monate im KZ Sachsenhausen inhaftiert war, berichtete in einer Videoeinspielung von seiner Verhaftung und der Zeit im Konzentrationslager. (mit kna)

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Relativierung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußerte sich zuvor in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025

Paris

EJC warnt vor wachsender Radikalisierung junger Menschen im Netz

»Hass ist viral gegangen«, sagt Moshe Kantor, der Präsident der Organisation

 21.11.2025